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STUTTGART: „BERENICE, REGINA D’ARMENIA“ – Mehr als historische Bedeutung

20.02.2015 | Allgemein, Oper

Stuttgart „BERENICE, REGINA D’ARMENIA“ 19.2.2015 (Pr.15.2.) – Mehr als historische Bedeutung

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Ansprechender Rahmen für Jommelli. Copyright: A.T.Schaefer

 Im Dezember feierte ihn das Heidelberger Theater im passenden Ambiente des Rokoko-Theaters des Schwetzinger Schlosses mit dem Spätwerk „Fetonte“ (1768), jetzt folgte die Stuttgarter Oper zur nachträglichen Feier von Nicolo Jommellis 300. Geburtstag mit einer Neubelebung von dessen Vertonung des vielfach für die Bühne adaptierten Dramen-Librettos „Lucio Vero“ von Apostolo Zeno. Nach einer ersten Version von 1754 unter diesem Titel schuf der ab diesem Jahr bis 1769 als Kapellmeister am württembergischen Hof des Herzogs Carl Eugen verpflichtete Neapolitaner 1766 eine Überarbeitung, die noch im gleichen Jahr unter dem Titel „Il Vologeso“ (dem Gegenspieler Lucio Veros) im damals größten Theater Deutschlands in des Herzogs Residenz Ludwigsburg erstmals präsentiert wurde. Mit diesem Titel stellte das Barockorchester Stuttgart unter Frieder Bernius (CD-Mitschnitt) das Werk bereits 1993 in konzertanter Form vor, allerdings in einer viele Striche aufweisenden Fassung nach einer handschriftlichen Partiturkopie der Württembergischen Landesbibliothek. Diese viele Fehler und Ungenauigkeiten aufweisende Handschrift wurde für die jetzige szenische Erarbeitung mit Hilfe des Librettodrucks der Uraufführung ebenso gründlich revidiert wie der Klavierauszug zur Erleichterung der Einstudierung.

Im Mittelpunkt der in Ephesos angesiedelten Handlung steht die armenische Königstochter Berenice, unter deren Namen im Zuge der in der Aufführungsgeschichte immer wieder gewechselten Titel diese szenische Version gegeben wird. Sie ist die Geliebte des Partherkönigs Vologeso, der den Kampf gegen die Römer verloren hat und von deren Feldherrn Lucio Vero gefangen genommen wurde. Dabei hat er sich in sie verliebt, gerät aber in einen Konflikt, weil er bereits mit des Kaisers Marc Aurels Tochter Lucilla verlobt ist, die ihn auffordert, zu ihr zu stehen. Unterstützt wird sie dabei durch den kaiserlichen Gesandten Flavio, der den Gerüchten von Lucio Veros Untreue auf den Grund gehen soll und diesem bei einer Verweigerung der Ehelichung Lucillas mit dem Verlust der Herrscher-Insignien droht. Da Vologeso unwissentlich den Kampf überlebt hat, versucht er verkleidet als Mundschenk Lucio Vero mit einem Gifttrank zu töten, doch reicht dieser den Becher an Berenice, weshalb Vologeso sie am Trinken hindern und sich in der Folge eines köstlich zwischen den Zuschauerreihen inszenierten Kampfes gegen einen Löwen, aus dem ihn Berenice mittels eines von Vero gereichten Schwertes rettet, seine wahre Identität preisgeben muss. Lange zeigen sich alle Beteiligten standhaft in ihren Positionen und setzen sich damit verstärkten Gefühlsqualen aus. Erst als Vero begreift, dass er Berenice das Herz förmlich aus dem Körper reißen muss, um sie zu gewinnen, und ihn Lucilla durch ihr Treuebezeugnis zur Raison bringt und die Gefangenen befreit, gibt er auf. So gesehen also ein glückliches Ende nach harten (inneren) Auseinandersetzungen, dem der inszenierende Intendant Jossi Wieler und sein fixer Dramaturg Sergio Morabito indes nicht so ganz trauen. Überhaupt weichen sie einer geschlossenen historischen Verortung aus, indem sie auf das inzwischen schon öfter angewandte „Theater auf dem Theater“-Prinzip zurückgreifen. Der Blick auf die offen durch eine breite Marmortreppe erhöhte Bühne zeigt im Vordergrund historische Säulen-Atrappen aus Stoffbahnen, einen Steintisch und ebensolche Sitze, eine Truhe und eine später herein getragene 3D-Version von Tintorettos Gemälde „Fußwaschung“, doch dahinter stehen moderne Häuser (Bühne und Kostüme: Anna Viebrock). Die Sänger erscheinen zunächst in Trainings-Klamotten wie zu Proben und schlüpfen während der Ouvertüre in historischen Formen angenäherten Gewänder. Am Schluss entledigen sie sich ihrer wieder und verlieren sich im Hintergrund, während das Orchester noch eine von Jommelli angehängte feierliche Chaconne zum Besten gibt, zu der auch die beiden Trompeter hinzustoßen, die davor noch in einer kurzen Fanfare als Auftakt der Arena-Spiele von oben zu hören waren.

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 Starke (vokale) Charaktere – v.l. Ana Durlovski (Berenice), Sebastian Kohlhepp (Lucio Vero) und Helene Schneiderman (Lucilla). Foto: A.T.Schaefer

Angesichts der auch hier wie so oft verinszenierten Ouvertüre und der Vermischung von historischer Vergangenheit und Gegenwart könnte die grundsätzliche Debatte angestoßen werden, inwieweit Regisseure der Musik vertrauen und dem Publikum das gedankliche Parallelen-Ziehen zur Gegenwart zutrauen und überlassen sollten.

Diese Aspekte können bei dieser Inszenierung insoweit vernachlässigt werden, als die Handlung mit ihren aneinander gereihten Arien (nur 1 Duett, Terzett und Quartett sowie Vaudeville-Finale) durch eine schlüssige, die Situationen mit vielen Zwischentönen auskostenden Personenführung stets am Laufen und mittels der zerrissenen Gefühlswallungen unter Spannung gehalten wird. Dazu gehören auch immer wieder Blicke und Gesten, die ein Lächeln hervorrufen und damit das Drama etwas von seiner Dauer-Tragik entlasten.

Die rund drei Stunden Spieldauer sind letztlich so gut gefüllt, dass auch die im Textbuch vorgesehenen und damals natürlich besonders herausfordernden vielfältigen Szenen-Verwandlungen überhaupt nicht vermisst werden. Nicht zuletzt ist da noch die Musik Jommellis, die zweifellos vor allem in der Auffächerung der Streicherstimmen und ihres motivischen Reichtums wegen für die damalige Zeit fortschrittliche Klangeffekte aufweisen, an die z.B. Luigi Cherubini deutlich hörbar anknüpfen konnte.

Dirigent Gabriele Ferro, als ehemaliger GMD des Hauses ein stets gern gesehener Gast, hat zur Optimierung dieser Streicher-Wirkungen diese in drei Gruppen aufgeteilt, d.h. jeweils links und rechts einen kompletten, mehrfach besetzten Satz und in der Mitte dahinter leicht erhöht ein Quartett, das die Seelentöne besonders lautmalerisch intim verdichtet. In der Folge entstehen auch in den vom Orchester begleiteten Rezitativen faszinierende Stereo-Effekte, die zusammen mit der straffen und doch auch lockeren Führung des Dirigenten ein geschlossenes und gleichzeitig doch auch gelöstes Klangbild ergeben.

Es fällt schwer einem der Protagonisten die Krone zuzuerkennen, so ideal verschweißen bei allen vieren Stimme und darstellerisches Profil zu einem Gesamtkunstwerk. Den Damen sei deshalb der Vortritt gewährt: Bei Ana Durlovski kann als Berenice weniger ihre bekannte Höhen-Virtuosität zum Tragen kommen als eine lyrisch edle, ganz ruhig auf dem Atem strömende Sopranstimme mit feiner Piano-Technik und einer beseelten Phrasierung, die Hand in Hand mit ihrer szenisch eindrücklich veranschaulichten Herzens-Schwere geht. Helene Schneiderman zeichnet Lucilla als feine Dame, die mit viel fraulichem Einfühlungsvermögen um die Rückgewinnung Lucio Veros ringt und ihr Ziel schließlich erreicht. Genauso wie an ihrer Erscheinung ist auch an ihrem leichten und apart timbrierten Mezzosopran die Zeit spurlos vorüber gegangen. Auch nach 30 Jahren Ensemble-Zugehörigkeit ermöglichen die gesunde Technik und eine kluge Repertoire-Auswahl eine immer noch frische, schlackenfreie und dabei menschlich berührende Ausfüllung feinster Nuancen. Diesbezüglich sollte Sophie Marilley eher ein bisschen vorsichtig sein, so entflammt, voller Glut und immer wieder berstender Intensität sie mit ihrem dunkleren Stimmlagen-Pendant den Qualen Vologeso intensiv mitreißenden Ausdruck gibt. Sebastian Kohlhepp wiederum überzeugt als zweigesichtiger Lucio Vero mit einer harten unnachgiebigen und einer weichen verunsicherten Seite und bringt den Widerstreit der Gefühle dank der gleichwertigen Qualität lyrischer wie heldischer Anforderungen mit seinem kernigen und ebenso geschmeidigen Tenor  wandlungsfähig zum Tragen. Dazu kommt eine Koloratur-Beweglichkeit, die seiner großen Arie im zweiten Teil einen wahrlich inhaltlich entsprechend stürmisch rasenden Charakter geben.

Als Flavio bringt die in ihrer Männer-Maske kaum wieder zu erkennende Catriona Smith ihren gehaltvollen Zwischenfachsopran mit erhalten gebliebener Leichtigkeit für schnellere Läufe analog zu ihrer szenischen Präsenz intensiv ein. Waren bei der erwähnten konzertanten Aufführung 1993 noch drei Partien mit Counter-Stimmen besetzt, beschränkte man sich diesmal auf einen Altus für Veros Vertrauten Aniceto, der seinen Herrn bei der Gewinnung Berenices deshalb so unterstützt, weil er selbst ein Auge auf Lucilla geworfen hat. Dass Igor Durlovski parallel dazu auch als Baß fungiert, mag zwar für sein technisches Vermögen sprechen, doch sollte er sich innerhalb einer Partie bitte auf eine Stimm-Gattung konzentrieren. Das phasenweise Herausfallen aus der Kopfstimme in die Basslage mag als Gag durchgehen, verhinderte aber letztlich eine einheitliche Gesangslinie.

Gemessen an der durchaus begeisterten Publikums-Aufnahme nach der Premiere dürfte das Stück gewisse Chancen im Repertoire haben, sofern Operndirektoren bereit sind,auch über den Tellerrand bekannter Komponisten-Namen hinaus zu schauen.

 Udo Klebes              

 

 

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