Stuttgart: 13.05.2025: „NACHT / TRÄUME“ – Tanzphantasien zwischen Schlafen und Wachen
Der Titel des neuen modernen Ballettabends ist gleichzeitig auch Programm, denn in NACHT / TRÄUME zeigen fünf Choreographen in vier Werken ihre Auffassungen über das Reich zwischen Schlafen und Wachen, Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart sowie Stimmungen und Transformationen in dieser Zwischenwelt.
„SOSPESI“ (ital. „schwebend“) heißt das erste Stück, auf gleichnamiger Musik von Davidson Jaconello sowie von ihm arrangierten Serenaden von Elgar, Schubert und Chopin, in dem Vittoria Girelli das Publikum „zum Nachdenken über die Dualität der menschlichen Existenz anregen“ will, „über Schönheit und Dunkelheit, die in jeden von uns stecken“. In der Choreographie spiegelt sich das durch Bewegungen, die das Animalische sowie das Göttliche in den Menschen auszudrücken versuchen, durch flügelartige Bewegungen der Arme, käferartiges Rollen am Boden, aber auch immer wieder nach oben steigenden Körpern, die sich auch gegenseitig stützen, um auf dem Bühnenbild von nach unten abgerundeten Mauern hinaufzusteigen. Christopher Kunzelmann tanzt Schritte voller Leichtigkeit, symbolisch für den Geist der Jugend, der uns immer vorantreibt, Fabio Adorisio erinnert teils an den Herrn des Dschungels, Aoi Sawano, Dorian Plasse, Daiana Ruiz, Joana Senra und Fernanda Lopes ergänzen die Tänzergruppe, die sich in wellenartigem Kanon am abgerundeten Ende des Bühnenbildes bewegt. Die Metamorphose zwischen den Welten geht weiter…
Aoi Sawano und Dorian Plasse in „Sospesi“ von Vittoria Girelli. Foto: Stuttgarter Ballett
Um Transformation geht es auch in „LA JEUNE FILLE ET LES MORTS“ des Duos Sasha Riva und Simon Repele und zwar die von einem Mädchen zu einer jungen Frau. „Geleitet von zwei Kräften – von der Wahrnehmung der schwindenden Unschuld und dem Aufkommen der Sinnlichkeit – umarmt das Mädchen die Schönheit und die Komplexität dieser Transformation.“ Die elegante Verführung stellen in Schwarz Martino Semenzato und Lassi Hirvonen sehr stimmig dar. Elisa Badenes berührt als mit sich und dem (Gefühls-) Leben kämpfende Frau, die dennoch immer ihre innewohnende Göttlichkeit behält und im weißen, fließenden Kleid wie ein Engel strahlt.
Elisa Badenes, Martino Semenzato und Lassi Hirvonen in „La Jeune Fille et les Morts“ von Riva & Repele. Foto: Stuttgarter Ballett
„NACHTMERRIE“, sagt Marco Goecke über sein Stück „ist das holländische Wort für Albtraum. Doch für mich meint es nichts Negatives…Ich fand das Wort schon immer schön.“ Dass auch Albträume ihre Dualität haben können, zeigen Rocio Aleman und Martí Paixà auf beindruckende, fesselnde Art. Sie wirken wie eine Einheit, denn beide beherrschen gleichermaßen Goeckes von Zuckungen geprägte und mit extremer Spannung in allen Gliedern herausfordernde Bewegungssprache, die auf faszinierende Weise dennoch fließend wirken kann. Grimassen durchziehen ihre Gesichter, doch treffen sie sich immer wieder, halten auch zusammen inne und Mitten in der Dunkelheit zaubern sie mit Streichhölzern immer wieder Licht und Magie. Dafür sorgen auch Teile vom „Budapest Concert“ von Keith Jarrett und das Lied „Bad Romance“ von Lady Gaga, die wieder einmal auch Goeckes Talent für die Musikauswahl beweisen.
Rocio Aleman, Martí Paixà in „Nachtmerrie“ von Marco Goecke: Foto: Stuttgarter Ballett
Zwei Cello-Sonaten von Sergei Rachmaninow und Edward Grieg, eigens von Marc Strobel bearbeitet, waren die Inspiration für Fabio Adorisio zu seinem Stück „LOST ROOM“. Adorisio fühlte sich dadurch in eine andere Welt versetzt, Gefühle aus der Kindheit, Gerüche von Feldern und Wiesen sowie Stimmen seiner Freunde wurden dadurch wieder geweckt. Dieser verlorene Ort (lost room) und dessen Atmosphäre versucht Adorisio mit schlichtem, dunklem Bühnenbild (ein Raum mit grauen Wänden) und durch seine Choreographie wieder zu finden bzw. zu vermitteln. Ob dies beim Publikum auch gelungen ist, ist fraglich. Aoi Sawano (Rollendebüt), Eva Holland-Nell, Natalie Thornley-Hall, Edoardo Sartori, Lassi Hirvonen, Leon Metelsky und Riccardo Ferlito tanzen zwar allesamt tadellos, die Bewegungssprache zeigt jedoch nichts Neues oder gar Spannendes, so bleibt am Ende kaum etwas vom Stück in Erinnerung.
Dies vermochte den Gesamteindruck des Abends jedoch nicht zu trüben und so zeigte sich das Publikum begeistert und würdigte ihn mit lang anhaltendem Applaus.
Dana Marta