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STUTTGART/ Ballett: MAYERLING – Interpretations-Varianten I


Subtiles Verhältnis:  David Moore (Rudolf) und Hyo-Jung Kang (Gräfin Larisch). Copyright: Stuttgarter Ballett

Stuttgarter Ballett: „MAYERLING“ 1.6.2019 – Interpretations-Varianten I

Sir Kenneth MacMillans Historienballett in der neuen Ausstattung und mit Kostümen von Jürgen Rose, die in ihrer Transparenz und auserwählten Ästhetik die Konturen der so weit in die Zukunft weisenden Pas de deux-Szenen umso geschärfter hervor treten lässt, erweist sich besetzungsunabhängig als ein Ballett-Ereignis von singulärer Größe. Wie bei seinem Zeitgenossen und Freund John Cranko bietet die Choreographie reichlich Gestaltungs-Spielraum sofern nicht entscheidende persönliche Details im Wege stehen.

Für David Moore bedeutet die zentrale Rolle des Kronprinzen Rudolf zweifellos eine altersmäßig frühe und deshalb umso höhere Herausforderung, nicht nur in der psychologischen Anlage der Figur, fast mehr noch in der konditionellen Bewältigung dieses Mammut-Parts. Die außergewöhnlich komplizierten,  oft verwinkelten und vor allem den Rücken gefährlich belastenden Pas de deux zehren beständig an den Kräften, spielen damit andererseits einem glaubhaften stufenweisen Zusammenbruch des leidenden Kronprinzen hilfreich in die Hände. Eventuell ist die Rolle dadurch überhaupt erst in ihrer Psyche wie Körper gleichermaßen beanspruchenden Komplexität zu bewältigen.


Hochspannung im Brautgemach:  David Moore (Rudolf) und Jessica Fyfe (Stephanie). Copyright: Stuttgarter Ballett

Moore kommt der Physiognomie Rudolfs von Grund auf sehr nahe, zeigt schon bei der auferzwungenen Hochzeit eine kaum zu verbergende Missstimmung und im Brautgemach mit seiner Gemahlin Stephanie von Belgien ( Jessica Fyfe mit bezaubernder Erscheinung, sublim geschmeidiger Bewegung und einer aus gleichzeitiger Beherrschung und Angst geborenen Spannung) Züge eines von Todessehnsucht Getriebenen. Aus anfangs schwungvoll eleganten Drehungen, vor allem in der für etwas Zerstreuung sorgenden Tavernen-Szene mit seiner Halbwelt-Geliebten Mizzi ( Angelina Zuccarini mit verlockendem Wesen und wie immer knackiger Souveränität auf Spitze) wurden mit seinem Zerfall zusehends kantigere Körper-Dehnungen, durchmischt mit verzweifelten Momenten, wo er sich in Verzweiflung an den Kopf fasst, als ob er seine Sinne zurecht rücken wollte. In den explosiven Szenen mit der ihm wesensverwandten Mary Vetsera harmonisieren sich die aus Moores Sensibilität natürlich erwachsenden Leidenszüge phasenweise zum Aufflackern eines mit dem Tod lockenden Glücks. Wo der Premieren-Interpret Züge des Wahnsinns erkennen ließ, bleibt Moore doch noch Herr seiner selbst und schafft sich mit einer letzten Morphium-Spritze den Mut zum gemeinsamen Selbstmord.

Mögen die teils risikoreichen  Körperumschlingungen doch kraftbedingt nicht in voller Konsequenz und Ausgiebigkeit gelungen sein, so überzeugt das Gesamtpaket Moores letztlich in der Dichte seines Darstellungs-Vermögens und einer doch gut eingeteilten Verausgabung. Es wäre ja auch zu viel verlangt, wenn nach dieser seiner zweiten Vorstellung nicht noch Luft nach oben wäre. Sicher hätte es ihm auch eine körperlich flexibler mitziehende Partnerin in den Pas de deux erleichtert, wirkt Anna Osadcenko bei allen gestandenen Tugenden einer reifen Ballerina für die leichtfertig naive Mary ( auch in der Mimik) zu schwerfällig und darüber hinaus zu alt, was auch in den Szenen mit der im Vergleich zu ihr jünger anmutenden Magdalena Dziegielewska als ihre Mutter Baronesse Helene irritiert.

Aus dem weiteren Ensemble der Frauen sticht Hyo-Jung Kang mit einem auf edler technischer Basis sehr feinen, zwischen eigenem Begehren und kupplerischem Wohlwollen subtil wechselnden Portrait der Gräfin Larisch heraus. Daiana Ruiz fehlt es für die Kaiserin Elisabeth etwas an Persönlichkeit,  sie gewinnt jedoch zusehends an gestalterischem Profil.

Vittoria Girelli  macht im Flirt-Pas de deux mit Rudolf als Schwägerin Louise mit Frische und der richtigen Mischung aus Irritation und Geehrtsein auf sich aufmerksam. Auf männlicher Seite tut dies Alessandro Giaquinto als gleichzeitig brillanter wie rührend Anteil nehmender Leibfiaker Bratfisch.

Die 4 neuen ungarischen Offiziere Adhonay Soares Da Silva, Matteo Miccini, Noan Alves und Daniele Silingardi stehen ihren Vorgängern an Sprungstärke und Engagement in nichts nach. Ebenso komplettieren Louis Stiens ( Graf Larisch), Clemens Fröhlich (Graf Hoyos), Shaked Heller (Loschek) das weitere gegenüber der Premiere unveränderte Ensemble.


Gemeinsame Todessehnsucht:  David Moore (Rudolf) und Anna Osadcenko (Mary). Copyright: Stuttgarter Ballett

Das Corps de ballet füllt seine wichtigen, wenn auch choreographisch die Konvention des Kaiserhofes prägende und darum choreographisch weniger auffallenden Funktionen genauso engagiert, wie dies das Staatsorchester Stuttgart, jetzt unter der Leitung von Wolfgang Heinz, für die von Mal zu Mal ihre Schönheiten, Eigenarten, Akzente wie auch Farben mehr offenbarende Musik tut, die John Lanchberry aus Kompositionen von Franz Liszt arrangiert und instrumentiert hat.

Die Publikums-Reaktion fiel auch jetzt wieder ausgiebig heftig aus.

                                                                                                                      Udo Klebes

 

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