Stuttgarter Ballett: „MADE IN GERMANY“ 10.10. 2013- Kein Qualitätsverlust
Wie sehr sich die Qualität des Stuttgarter Balletts über die Erste Solisten-Garde hinaus in die ganze Compagnie erstreckt, zeigt dieses „Best of“-Programm aus Stuttgarter choreographischen Erzeugnissen seit Beginn der Aera Reid Anderson 1996. Es ist einfach beglückend festzustellen, wie Umbesetzungen mit Nachrückern aus den zweiten und dritten Reihen keinerlei Einbußen bedeuten und mehr oder weniger ähnlich enthusiastisch bedankt werden.
Die erstaunlichste Beobachtung an diesem Abend war bei den beiden Stücken von Hauschoreograph Marco Goecke zu treffen. Es scheint als ob sein nun wirklich ganz spezieller, unverwechselbarer und vor allem hinsichtlich kleinteiliger Bewegungen höchst anspruchsvoller Stil körperlicher Nervosität von den nachwachsenden Tänzern gleichsam mit der Muttermilch eingesogen wird, so selbstverständlich und sicher behaupten sie sich in den Kreationen, wo die freien Oberkörper wie unter Brennglas aus dem Dunkel heraus leuchten. In „FANCY GOODS“ bringt Halbsolist Constantine Allen als Latin Lover-Hingucker in die hier beinahe sezierende Ausprägung jeglicher Muskelfasern sogar noch etwas wärmenden Glanz hinein, musikalisch fein abgestimmt mit Sarah Vaughns aus den Lautsprechern dringender Röhre. Im unmittelbaren Vorfeld seines frühen Othello-Debuts in Neumeiers Ballett stimmte dieser Auftritt jedenfalls sehr hoffnungsvoll.
Halbsolist Robert Robinson hat sich spätestens mit seinem Krabat im Frühjahr als charakterlich eigenständiger Interpret hervorgetan. Die Gebrochenheit, das Flatterige, weg vom klassischen Schönheits-Ideal drängende wie in Goeckes größtem Erfolgsstück „ÄFFI“ findet in ihm auch prompt eine auf Anhieb viel persönliche Inneneinsicht bietende Variante. Dazu gesellt sich bei ihm noch der immer wieder zitierte britische schwarze Humor, eine komische Komponente, die in Roman Novitzkys köstlichem Wettstreit-Trio „ARE YOU AS BIG AS ME“ trefflich zum Vorschein kommt und in teilweise hypnotischer Auslebung eine bannende Wirkung erzielt. Der mit Coolness agierende Louis Stiens und der etwas geradlinigere Özkan Ayik komplettieren diesmal den wieder enorm viel Stimmung machenden Beitrag.
Um den Titel von Douglas Lees „FANFARE LX“ variierend zu erweitern, müsste sie bei der jegliche Naturgesetze aushebelnden, wie mit Gummi ins Extreme gedehnten Präsentation durch Alicia Amatriain und Jason Reilly eigentlich „XXXXXL“ heißen. Zu Michael Nymans wie von einem Automatismus gedrängten Minimal-Akustik wirkt das noch zusätzlich in den Sessel bannend. Für letzteren ist der mit einer langen einarmigen Hebung gekrönte Pas de deux (mit Anna Osadcenko als Partnerin) aus Katarzyna Kozielskas „SYMPH“ eine bombensichere Angelegenheit. Und Osadcenko macht auch in Bigonzettis Pas de deux aus „KAZIMIR’S COLOURS eine klar konturierte spannende Figur, wie sie für solcherlei neoklassische Akrobatik erforderlich ist, sicherst und genauestens gepartnert von Friedemann Vogel.
Keinerlei Schwierigkeiten und darob noch einen durchscheinenden Spaß haben auch Hyo Jung Kang und Alexander Jones das viel blitzschnelles Reaktionsvermögen verlangende Schreibmaschinen-Geratter in Galilis „MONO LISA“ zum bejubelten Erfolg zu führen.
Daniel Camargo bringt in das nachchoreographierte Solo aus Edward Clugs „Ssss…“ zu einem Chopin-Nocturne eine trotz aller teilweise geometrischen Anwinklung der Arme und Hände sowie diversen Fall-Bewegungen auffallend elegante Note ein.
Nur die quirlige Ruiqi Yang und der prägnante Pablo von Sternenfels fanden in Demis Volpis „LITTLE MONSTERS“ zu Elvis Presley-Softklängen noch nicht zu der vom Widmungspaar gebotenen Lockerheit und Ausgeglichenheit zwischen technischer Konzentration und spielerischer Ausfüllung.
Zusammen mit den weiteren, unverändert besetzten Beiträgen rundete sich auch dieser vielfältige Repertoire-Abend zum rauschenden Erfolg.
Udo Klebes