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STUTTGART/ Ballett: DORNRÖSCHEN – Spannung bis am Schluss

Stuttgarter Ballett: „DORNRÖSCHEN“ 28.+29.7. 2015– Spannung bis zuletzt

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 Strahlend neuer Prinz (Constantine Allen) mit gut beherrschter Aurora (Anna Osadcenko). Copyright: Stuttgarter Ballett

  Erst im Mai war Hyo-Jung Kang nach einer Verletzungspause in kleineren Parts auf die Bühne zurück gekehrt, weshalb ihr Auftritt als Aurora mit besonders viel Spannung verbunden war, obwohl es sich um kein Rollendebut handelte. Genau das schien aber die Situation zu erleichtern. Die Rolle hatte sie offensichtlich so zuverlässig „abgespeichert“, wie sonst hätte sie jetzt so entspannt und locker zur Sache gehen können. Mit kindlich strahlender Miene trat sie zu ihrem 16. Geburtstag durch das Rosenspalier in den Kreis der Festgratulanten und begann mit einem Rosen-Adagio zum Niederknien: sicherst und nachempfunden bis in die kleinste Fußdrehung und mit jener Freiraum-Nutzung im Umgang mit den vier anwerbenden Prinzen, der dieses Glanzstück klassischer Ballett-Kunst zu einem Fest puren Genusses werden lässt. Auch als Vision, wiedererweckte Frau und spätere Braut stellte sie sich den höchsten Anforderungen mit einer Ausgeglichenheit und zugleich bescheiden uneitlen Hingabe, die aus einer höchst musikalischen Durchdringung des Schrittmaterials resultieren.

Dass David Moore ihr bei seinem Debut als Prinz Desiré nicht das Wasser reichen konnte, soll seine Leistung keineswegs schmälern. In Proportion und Haltung ein idealer Vertreter des Prinzen-Fachs, ging der Brite nachvollziehbar auf Nummer Sicher und riskierte durch eine noch gemäßigte, aber tadellos präzise und stilistisch feine Absolvierung von Drehungen und Sprüngen, gepaart mit sauberem Port de bras keinen Faux pas. Auch weil die Gestaltung des zuerst unbekümmerten, dann nachdenklichen, die Vision Dornröschens genau reflektierenden und nach dem Wachküssen total erleichterten jungen Mannes stimmte, darf dieses Debut als durchaus positiv bewertet werden.

Mit dem Halbsolisten Robert Robinson trat erfreulicherweise wieder eine Carabosse ins Rampenlicht, die sich von allen bisher gesehenen Variationen deutlich abhob. So sehr er vor einer Woche als zu zahmer Ali Baba hinter den Erwartungen zurück blieb, umso stärker kam er nun in der Personifizierung von abgrundtiefer Verachtung und Enttäuschung zur Geltung. Im schillernden Wechsel von weiblichen und männlichen Gesichtszügen zeigte er die böse Fee in ihrer ganzen Widerwärtigkeit, unterstützt von leicht attackierten Grätsch-Sprüngen und zackigen Wendungen, als Dornröschens Entwicklung während des Panorama-Intermezzos fesselnd lenkende Figur.

Im Hochzeits-Divertissement glänzten Elisa Badenes und Daniel Camargo als nicht ganz so flügelleichter, aber dennoch virtuos entfalteter Blauer Vogel bzw. funkelnd bravouröse Prinzessin. Es hat schon seinen Grund, wenn diese Einlage mit ersten Kräften besetzt wird.

Noch einmal war Arman Zazyan als Ali Baba in einer seiner in kurzer Zeit auf den Punkt gebrachten Glanzrollen zu erleben. Da greifen alle wichtigen Elemente perfekt ineinander: der männlich stolze Ausdruck, das Timing, die Vehemenz der schnellen Schraubsprünge und Knielandungen. Obwohl bis zum Solisten aufgestiegen und trotz zahlreichen Beweisen als melancholisch komischer Charakter mit überdurchschnittlicher Technik sind zuletzt erhoffte größere Einsätze ausgeblieben. Ob er deshalb zu einer anderen Compagnie, dem amerikanischen Tulsa Ballet wechselt oder generell einen Ortswechsel beabsichtigt hat, bevor es zu spät in der kurzen Tänzer-Karriere ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Extra-Ovationen für ihn bei der Verabschiedung durch Intendant Reid Anderson.

Am folgenden Spielzeit-Abschlussabend sorgten weitere Rollen-Debutanten noch einmal für gespannte Erwartung. Constantine Allen als neuer Prinz brachte nach der ersten Pause die bis dahin noch etwas antriebslose Aufführung mit seiner ungestümen Bühnen-Vereinnahmung in Schwung. Gleich das erste Solo zeigte einen Tänzer, bei dem sich überlegene technische Ausstattung und gewinnende Ausstrahlung zu einer Einheit optimierten. Mag auch gelegentlich sein Hang zur Selbstdarstellung noch durchschlagen, hier passte vom formell organischen Zusammenhalt bis zur Partner-Kommunikation und einem spürbaren Enthusiasmus zur Befreiung Dornröschens alles. Explizit hervor zu heben sind seine effektive Beschleunigung von Pirouetten und klar durchgestreckten Sprung-Kombinationen.

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 Eine Aurora zum Abheben: Hyo-Jung Kang (getragen von den vier Prinzen). Copyright: Stuttgarter Ballett

Woran lag es, dass von Anna Osadcenko als ansonsten mitteilsamer Tänzerin diesmal so wenig an Detailzeichnung der Aurora ausging? Von Beginn an fehlte der mädchenhafte Charme, das lebhafte Mienenspiel; nur phasenweise blitzte die Seele durch ihre durchweg gut beherrschte, in den langen Balance-Akten nicht ganz schwerelos funktionierende Technik.

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 Überraschender Abschied als Carabosse (Damiano Pettenella). Copyright: Stuttgarter Ballett

Auch Damiano Pettenella, der sich zum immer wieder für Überraschungen guten Charakterdarsteller sowohl ernster wie komödiantischer Natur entwickelt hatte und nach dieser Vorstellung (ohne vorherige Ankündigung) verabschiedet wurde, blieb der normalerweise bannenden Präsenz von Carabosse einiges schuldig, indem er auf eine zwar finstere, aber durchweg fast starre und entschieden männliche Mimik setzte. Ausgleich dafür schafften seine abrupt angesetzten weiten Sprünge. Ami Moritas Fliederfee begeisterte mehr durch weich abgefederte Arabesquen als durch eine noch wenig ausgeprägte Leuchtkraft für die Dominanz und Durchsetzung des Guten, die Myriam Simon am Vorabend wieder so reichlich aussandte.

Darüber hinaus lag letztlich bei aller Freude über den Gesamteindruck von Haydée/Roses Augenschmaus eine gewisse Wehmut über der Vorstellung, weil sich außer Pettenella weitere 6 TänzerInnen zum letzten Mal vor dem Stuttgarter Publikum verneigten. Ganz besonders traurig stimmt der Weggang des Ersten Solisten Alexander Jones, der als Blauer Vogel (an der Seite der entzückend spitzenagilen Prinzessin von Hyo-Jung Kang) noch einmal seine glückliche Zusammenfügung von kraftvollem Körper und geschmeidigem Bewegungsduktus und damit auch seine besondere Vielseitigkeit veranschaulichte. Hoffen wir, dass er an seiner künftigen Wirkungsstätte, dem Zürcher Ballett, auf diesem breiten Level weiter agieren kann.

In dieselbe Compagnie folgen ihm die Halbsolistin Elizabeth Wisenberg (hier noch einmal als temperamentvolles Kätzchen im Einsatz) und mit Jesse Fraser ausgerechnet der Gruppentänzer, der als Persönlichkeit und Charakter am deutlichsten aus dem Corps de ballet hinausragte. So dominierte er auch als Prinz des Ostens seine Mitbewerber um Dornröschens Hand um Längen. Unbedingt zu würdigen ist auch Rachele Buriassi, die als in einigen großen Rollen bewiesene erstklassige Solistin in letzter Zeit zu wenig eingesetzt war und eventuell deshalb einen Wechsel zum Boston Ballet vorgezogen hat. Ihre mit Schmackes hingelegten Soli als Rubin und Fee der Kraft bewiesen noch einmal, was dem Stuttgarter Ballett mit ihr verloren geht.

Viele Blumen und Jubel, auch für Wolfgang Heinz und das Staatsorchester Stuttgart, die Tschaikowskys farbenreiche Komposition zugkräftig und einfühlsam zugleich zu ihrem Recht kommen ließen.                                                                                    

Udo Klebes

 

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