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STUTTGART/ BAD CANNSTADT/ evang. Stadtkirche: ORGELKONZERT ALEXEJ SEMYONOV

STUTTGART-BAD CANNSTATT: UNGESTÜMER ELAN – Der Organist Alexej Semyonov gastierte beim Orgelsommer in der evangelischen Stadtkirche am 24. August 2014

Seit 2002 ist Alexej Semyonov Professor für Orgelspiel am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau. Er ist ein Meister des differenzierten Klangfarbenspiels, was man beim Konzert in Bad Cannstatt in eindrucksvoller Weise erfahren konnte. Gleich zu Beginn überzeugte er bei der subtilen Wiedergabe von Johann Sebastian Bachs Toccata in d-Moll BWV 538,1. Die Teilmotive des Hauptthemas wurden sofort facettenreich erfasst – und auch die kernige Kraft der verschiedenen Klangformen kam dabei nie zu kurz. Akkordbrechungen und feinnervige Passagen ergänzten sich hier wie von selbst, Skalen und Trillerfiguren betörten das Ohr. Auch Fugato-Sequenzen mit elegisch-feierlicher Stimmung prägten sich bei dieser konzentrierten Wiedergabe tief ein, die nie ihre Intensität verlor. Ein scharf rhythmisierter Kontrapunkt fiel besonders positiv auf. Kapriziös und fantasievoll zugleich wirkte diese Interpretation.

Ebenso pathetisch gestaltete Alexej Semyonov Johann Sebastian Bachs Fuge d-Moll BWV 538,2, wo er den dynamischen Reichtum wirkungsvoll herausarbeitete. Der gedrängte und spannungsreiche Satz dieser Fuge stach immer wieder nuancenreich hervor, wobei die chromatische Differenzierung des Details nicht zu kurz kam. Südliche Inspiration und deutsche Satzkunst wuchsen ganz zusammen und wurden zu einem Gebilde von geradezu beglückender lyrischer Harmonie. Hervorragend arbeitete Alexey Semyonov ferner die Cantus-firmus-Passagen von Johann Ludwig Krebs‘ Choralpräludien „Jesu, der du meine Seele“ und „Ach Herr, mich armen Sünder“ nach Psalm 6 aus den drei Choralpräludien heraus. Allerdings merkte man auch hier, dass Krebs stilistisch kaum über seinen Lehrer Johann Sebastian Bach hinausging, dem er kompositorisch unterlegen war. Den einfallsreichen Choralvariationen von Sergej Tanejew entlockte der versierte Organist Semyonov ein fast schon sinfonisches und harmonisch ausgesprochen vielschichtiges Gepräge, das sich forsch weiterentwickelte. Die thematische Vielschichtigkeit mit ihren Verbindungslinien akzentuierte er mit klarer Präzision und virtuoser Gestaltungskraft. Ein Höhepunkt dieses Orgelkonzerts war aber die grandiose Wiedergabe der monumental ausufernden Passacaglia aus der Oper „Katerina Izmaylova“ op. 114 von Dmitri Schostakowitsch. Die ständige Wiederholung des Themas als „Basso continuo“ in der altitalienischen Variationsform besaß dabei etwas unverhohlen Bedrohliches – und auch bei dieser gelungenen Deutung beschwor Alexej Semyonov den sinfonischen Charakter der Komposition. Ständig wechselnde Gedanken führten zu einer furiosen Gesamtsteigerung, wobei alle Register der Orgel plötzlich zu sprechen schienen. Das war ein ganz ungewöhnliches Klangerlebnis.

Eine weitere positive Überraschung war dann „Hell und Dunkel“ aus dem Jahr 1976 von Sofia Gubaidulina, wo insbesondere die Cluster-Effekte und kühnen Oktavensprünge mit Skalenläufen die Zuhörer fesselten. Sofia Gubaidulina wurde übrigens von Dmitri Schostakowitsch unterstützt, der ihr riet, den eingeschlagenen kompositorischen Weg trotz Widerständen fortzusetzen.

Die letzten beiden Konzerte der Reihe „Sommer! 8 X Orgel“ in der spätgotischen Stadtkirche Bad Cannstatt werden am 31. August 2014 von Magnus Kjellson aus Göteborg und am 7. September 2014 von Hans-Jürgen Kaiser aus Fulda bestritten.

 Alexander Walther

 

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