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STUTTGART: ARIODANTE von G.F.Händel

07.10.2018 | Allgemein, Oper


Josefin Feiler, Ana Durlovski. Copyright: Christoph Kalscheuer

STUTTGART/ Staatsoper: „ARIODANTE“ von Händel am 6.102018

TÄNZERISCHE BEWEGUNGEN ERGÄNZEN DEN BOXKAMPF

 Der Einzug des Sportlichen im Theater spielt bei der Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito eine große Rolle. Die tiefen Einblicke ins Theatergeschehen bleiben trotz des modernen Outfits nicht aus. Ein riesiges viereckiges Stahlgerüst beherrscht den Raum, das sich nachher in geheimnisvoller Weise herabsenkt und in eine Boxkampf-Arena verwandelt. Dass Georg Friedrich Händel vor allem auch ein Meister der ausgefeilten rhythmischen Elemente war, kommt oft zum Vorschein. Die Sängerdarsteller machen sich dieses Charakteristikum zu eigen, beleben die eigentlich karge und schwarz-weiß gehaltene Bühne durch ihr elektrisierendes Charisma.

Händel persiflierte hier aber auch die in London üblichen Primadonnenkämpfe, wo sich die echauffierten Protagonistinnen wutentbrannt die Perücken von den Köpfen rissen. Ginevra schmückt sich als Prinzessin von Schottland für ihren Geliebten Ariodante, während sie die Avancen von Polinesso zurückweist. Doch Polinesso will Dalinda, die in ihn verliebt ist, dazu benutzen, sich an Ginevra und Ariodante zu rächen. Jossi Wieler und Sergio Morabito treiben das raffinierte Intrigenspiel immer wieder auf die Spitze, zumal der König von Schottland als Ginevras Vater Ariodante zu seinem künftigen Schwiegersohn erklärt. Zudem werden immer wieder Aphorismen  des Philosophen Rousseau eingestreut: „Die Schamlosigkeit passt so gut zum Stand der Schauspielerinnen, und sie wissen das selber so gut, dass es nicht eine unter ihnen gibt, die sich nicht lächerlich zu machen glaubte…“ Polinesso rezitiert diese Passagen sogar im Zuschauerraum.

Dadurch wird die Handlung ad absurdum geführt. Polinesso provoziert Ariodante sogar mit der Behauptung, Ginevra wäre mit ihm intim. Er hat seine Wut an Ginevras Kleidern ausgelassen. Auch dies kommt auf der Bühne zum Ausdruck, zumal die Sänger mit den riesigen Schleppen und dem Stahlgerüst in heftigster Weise kämpfen. Sie befinden sich immer unter Druck, kommen nicht zur Ruhe. Dann wird dem König die Nachricht von Ariodantes Tod überbracht – man klagt Ginevra öffentlich der Untreue an. Durch ein Gottesgericht soll sie sterben. Doch Ariodante hat seinen Selbstmordversuch überlebt. Ariodantes Bruder Lurcanio erschlägt den Intriganten Polinesso. Der gewaltige Boxkampf bringt schließlich die Entscheidung. Der totgeglaubte Ariodante kehrt zurück und spricht Ginevra von aller Schuld frei. Ginevra wird aus dem Gefängnis befreit und Dalinda erhört Lurcanios Liebe.

Der glückliche Ausgang dieses seltsamen Epos, das auf dem Drama „Der rasende Roland“ von Antonio Salvi und Ludovico Ariostos basiert, wirkt bei dieser Inszenierung im Bühnenbild von Nina von Mechow durchaus trügerisch. Anika Rutkofsky unterstreicht dies hinsichtlich der szenischen Leitung der Wiederaufnahme. Eine wichtige Rolle spielt außerdem das Beleuchtungs- und Videokonzept von Voxi Bärenklau, das neben gewaltigen Feuerwerk-Sequenzen am Schluss auch die einzelnen Szenen visuell abwechslungsreich begleitet. Im Hintergrund erscheinen in Großaufnahme die Gesichter der Protagonisten sowie unbekannter Gestalten, die sich in geheimnisvoller Weise zu einem optischen Kosmos zusammenfügen. Dies sind neben szenisch schwächeren Momenten die besten Regie-Einfälle. Sie geben dieser Inszenierung Leben.


Josefin Feiler, Sebastian Kohlhepp, Diana Haller, Ana Durlovski, Matthew Brook, Philipp Niklaus. Copyright: Christoph Kalscheuer

Unter der bewegenden Leitung von Christopher Moulds lässt das exzellente Staatsorchester Stuttgart die klanglichen Höhepunkte der Partitur immer wieder neu aufblitzen. Das kommt vor allem den Sängerinnen zugute, die hier die kontrapunktischen Spitzfindigkeiten voll auskosten können. Ana Durlovski (Sopran) als Ginevra und Diana Haller (Mezzosopran) als Ariodante überbieten sich gegenseitig mit großen Intervallsprüngen, rasenden Läufen und unheimlichen Trillern, wobei das neapolitanische Muster der Dacapo-Arie wiederholt in reizvoller Weise hervorblitzt. Vor allem wenn im zweiten Akt die Welt über Ginevra zuammenbricht, ist Ana Durlovski mit c-Moll-Trauer ganz in ihrem Element. Die klangliche Wandlung nach f-Moll trägt einen bewegend-sphärenhaften Charakter. Als im dritten Akt Ginevra über sich selbst hinauswächst, gewinnt die Abschiedsszene zwischen Vater und Tochter vor dem Zweikampf großes Gewicht. Christopher Moulds gelingt es als Dirigent vorzüglich, die zahlreichen rhythmischen Bewegungen auch auf die anderen Sängerinnen und Sänger zu übertragen. Davon profitieren neben Josefin Feiler (Sopran) als Dalinda, Kai Kluge (Tenor) als Lurcanio sowie Yuriy Mynenko (Altus) als Polinesso, der als ukrainischer Countertenor in der Staatsoper Stuttgart debütiert. Matthew Brook (Bass) als König von Schottland gibt dem Klangbild eine voluminöse Brillanz. Und als Günstling des Königs überzeugt Philipp Nicklaus (Tenor) in der Rolle Odoardos. Der lyrische Beginn steigert sich zu höchster Leidenschaft, auch die starke innere Dramatik der Deklamationen kommt nicht zu kurz. Selbst buffoneske Züge sind facettenreich auszumachen. Christopher Moulds trägt Händels cholerischem Temperament aber durchaus Rechnung, das Staatsorchester Stuttgart musiziert aus einem Guss. Die weibliche Maskerade und den Zorn der gekränkten Primadonnen hört man hier aus der Partitur in glanzvoller Weise heraus. Die detailreiche Kompositionskunst Händels trägt dabei reiche Früchte. Das Klangbild zwischen Dur und Moll wechselt sich in reizvoller Weise ab, Sarabandenrhythmus und sordinierte Violinen ergänzen das kunstvolle Pizzicato der Kontrabässe.  Franziska Finkch (Continuo, Gambe), Matthias Bergmann (Basse De Violon), Rudolf Merkel, Johannes Vogt  (Laute) und Alan Hamilton (Cembalo) bereichern den tonmalerischen Fundus ungemein.
Jubel.     

Alexander Walther

 

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