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STRALSUND/ Theater Vorpommern: DIDO AND AENEAS von Henry Purcell. Premiere Saisoneröffnung

31.08.2020 | Oper, Oper international

Auftakt in Stralsund

Henry Purcells DIDO AND AENEAS als Eröffnungspremiere der neuen Spielzeit am 29. August 2020

 Aus der Not der Corona bedingten Beschränkungen – Mindestabstände, Gesichtsmaske, Höchstspieldauer von einer Stunde, keine Pause – hat das Theater Vorpommern eine Tugend insofern gemacht, als es sich ein Werk auswählte, dass diese Anforderungen erfüllt: Henry Purcells DIDO AND AENEAS. Das hat den großen Vorteil, dass man es nicht „zurechtstutzen“ muss, sondern original spielen kann (lediglich die Arie „The cold song“ aus Purcells „King Arthur“  wurde eingefügt). Allerdings bleibt eine gewisse Unfertigkeit des Werkes erhalten, Purcell schrieb es für eine „Schüleraufführung“ in einem Mädchen-Pensionat und die Frage, ob es sich tatsächlich um eine „vollgültige“ Oper handelt, wird nicht nur von unterschiedlichen Autoren sehr kontrovers, sondern auch im Praktischen nicht eindeutig beantwortet. Über weite Strecken des ersten Aktes jedenfalls wurde ich den Gedanken an eine Schüleraufführung nicht los. Sei es drum: Stralsund hat ein komplettes Werk aufgeführt und damit einen Theaterabend geschaffen, der nicht nur ein dankbares und auch beifallsfreudiges Publikum fand, sondern der in seiner Gesamtwirkung für Stralsund sicherlich ein Ereignis war.


Maciej Kozłowski und Nina-Maria Fischer gestalteten die Titelpartien der Mini-Oper – © Peter van Heesen / Theater Vorpommern

Die simple Handlung des Werkes – verwitwete  Primadonna will der Liebe auf ewig entsagen, verliebt sich dennoch neu und willigt in Verbindung ein, die dann durch „böse Mächte“ zerstört wird; obwohl missverständliche Kleinigkeiten im Spiel sind, trennen sich die neuen Liebenden, damit die Primadonna den ihr „von den Göttern“ vorgegebenen Weg gehen kann – wird leider durch die Musik Purcells nicht wesentlich differenziert. Eine gewisse Eintönigkeit liegt über dem Ganzen.  

Christopher Melching hatte die Bühne mit einem „Einheits“-Bühnenbild gestaltet, das für die unterschiedlichen Situationen optimale Sicht ermöglichte, das gut aussah und den Abend durchaus trug. Auch das Mini-Orchester (nur Streicher und Continuo) fand auf der Bühne seinen Platz, was ich nicht für einen Vorteil hielt. Der bespielbare Bühnenraum war dadurch erheblich eingeschränkt und zwang den Regisseur Dirk Löschner besonders im 1. Akt zu einer Statuarik, die mehr dem szenischen Oratorium denn der lebendigen Oper entsprach. Man „stand“ und „sang“ – später wurde es abwechslungsreicher. Mit den Hexen, der Zauberin und dem Geist – Figuren, die „Leben“ in die Bühnen-Einsamkeit brachten, ohne dramaturgisch im eigentlichen Sinn als „Partner“ zu funktionieren (!) – wurde die Spielweise interessanter, von szenischem Oratorium konnte man nun nicht mehr sprechen. Den größten Anteil am Erfolg der Aufführung möchte ich dem Opernchor des Theaters Vorpommern zusprechen (einschließlich seiner solistisch mitwirkenden Mitglieder) – verbunden mit einem großen Kompliment für Intonationsreinheit und Klangschönheit. Das war die eigentliche Überraschung und zeugt von intensiver Arbeit, für die Mauro Fabbri und Doris Vetter verantwortlich zeichnen. Bravo!

Diesem Chor hätte man, besonders in den Nachspielen und „Tänzen“, mehr Raum gegönnt. Allein die Hexen-Szenen bewiesen, dass er mehr leisten kann als zu sehen war. Namentlich die „Tänze“ verlangen nach einer Choreographie, das hier vorgeführte „organisierte Schreiten“ hat mit lebendigem Theater wenig zu tun.  Die Solisten zeigten sich in solider stimmlicher Verfassung, blieben darstellerisch leider weitgehend unverbindlich. Einzig Nils Wanderer als Geist hatte ansatzweise das, was man gemeinhin als „Gestus“ zu bezeichnen pflegt, die Überhöhung der Zauberin (im wahrsten Sinne des Wortes) konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Konstantin Derri darstellerisch noch große Reserven hat. Die Damen entledigten sich ihrer darstellerischen Aufgaben mit Routine (Franziska Ringe als Belinda) oder „starben in Schönheit“, wie Nina-Maria Fischer in der weiblichen Titelpartie, die es übrigens nicht nötig gehabt hätte, an einigen Stellen los zu powern, als gälte es die Isolde zu stemmen; ihre Stimme ist groß genug für dieses Haus – der Versuch, sie zu vergrößern geht zu Lasten der Intonation. Schönstimmig der Aeneas von Marciej Kozłowski, man bedauerte, dass Purcell ihn so  undankbar  knapp angelegt hat.  GMD Florian Csismadia hatte vom Cembalo aus sowohl Orchester als auch Chor und Solisten fest im Griff, leitete mit Disziplin und Genauigkeit, auch ihm hätte man etwas mehr „Feuer“ gewünscht.

So blieb: es war alles richtig, aber es ging nur an sehr wenigen Stellen und für nur kurze Zeit richtig los. Schade.  


Nils Wanderer (Geist) und Mitglieder des Damenchores – © Peter van Heesen / Theater Vorpommern

Und was mich mehr als die Aufführung bewegte, war das „Drum herum“. Corona hin und her – ich bin es leid, an jeder Ecke „belehrt“ zu werden, dass ich meine Gesichtsmaske „richtig“ aufsetzen soll, ich sehe nicht ein, weshalb es im Foyer keinen Kaffee gibt, den man nach einer langen und beschwerlichen Anreise (übrigens hat die nun wahrhaft nichts mit Corona zu tun!) gern getrunken hätte (statt der angebotenen vier Bier-Sorten!). Warum gibt es Programmhefte nur „online“ – an jedem Presse-Shop werden Zeitungen und Zeitschriften verkauft! Und die Garderobe kann man auch nicht mehr abgeben, weil ja im Saal neben einem genügend freie Plätze sind, auf denen man sie „lagern“ kann. Das alles sind hausgemachte und im Zuge des vorauseilenden Gehorsams ergriffene Maßnahmen, die die Pandemie nicht eindämmen – von der verordneten Beschränkung der „verfügbaren“ Plätze nicht zu reden. Ein nur halb besetzter Saal vermittelt den Eindruck einer Probe, auch wenn die Besucher – schon um zu beweisen, dass sie dankbar sind für das, was immerhin noch möglich ist! – begeistert applaudieren. „Richtiges“ Theater geht anders und ist dringend auch wieder erforderlich. Bei allem Verständnis für allesmögliche werde ich an solcherart „Übungen“ künftighin nicht mehr teilnehmen.

Werner P. Seiferth

 

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