STEPHEN GOULD
Wie ein Gemälde von Monet…
Kammersänger Stephen Gould, unser geliebter „Siegfried vom Dienst“ des gegenwärtigen „Rings des Nibelungen“ an der Wiener Staatsoper, wechselt den Richard – in der Premiere von Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ singt er den Kaiser. Weil er seine Partner einfach unwiderstehlich findet…
Mit Stephen Gould sprach Renate Wagner
Herr Kammersänger Gould, Richard Strauss ist ja nicht eben großzügig gegenüber Heldentenören gewesen, nach dem Bacchus ist der Kaiser die zweite Rolle Ihres Stimmfaches. Sie haben schon ein bisschen über die zu hohe Tessitura geklagt?
Strauss schreibt immer zu hoch für Tenöre, er behandelt die Tenorstimme eigentlich wie die Sopranstimme. Aber ich liebe die Rolle, ich habe den Kaiser ja auch schon 2011 bei den Salzburger Festspielen unter Thielemann gesungen. Wolfgang Koch war damals der Barak, Evelyn Herlitzius, die jetzt bei uns die Amme singt, damals noch die Färberin. Für mich ist immer besonders wichtig, mit wem ich arbeite – und dass hier in Wien auch Nina Stemme dabei ist, mit der ich meine wunderbarsten Tristan-Erinnerungen habe, und Camilla Nylund, mit der ich in Dresden viel Wagner gesungen habe, da war es keine Frage, dass ich bei dieser Produktion dabei sein wollte.
Die Schwierigkeit der Rolle des Kaisers liegt ja nicht nur in der Musik, sondern auch in Hofmannsthals Sprache und der verklausulierten Handlung, die es schwer macht, die Figuren psychologisch zu fassen?
Was die Musik betrifft, so ist Strauss Symphoniker, der die Stimmen in die Orchesterfluten einfließen ließ, und mir scheint die „Frau ohne Schatten“ die symphonischste seiner Opern, man steht vor Wällen von Klang. Die Figuren sind in meinen Augen mehr Archetypen als richtige Menschen, sozusagen Allegorien. Ich könnte die Frage „Wer ist der Kaiser?“ nicht definitiv beantworten, und ich mag es an der Inszenierung von Vincent Huguet, dass sich der Zuschauer selbst entscheiden kann, ob er die Welt der Oper als menschlich oder spirituell (human or spiritual) begreift. Und was den Text betrifft, so ist Hofmannsthal für mich schwieriger als Wagner: Auch Wagner ist gelegentlich verklausuliert, aber bei ihm weiß man, was er sagen will. Bei Hofmannsthal ist da immer Zwiespältigkeit und Ungewissheit. Um es zusammenzufassen – für mich ist die „Frau ohne Schatten“ wie ein wunderbar verschwimmendes impressionistisches Gemälde von Monet…
Und wie ist das nun mit der „Höhe“ der Partie?
Meine Stimme ist schwerer, ich habe nicht immer die Brillanz der ganz hohen Töne, und am Ende gibt es ein hohes C, das glücklicherweise die beiden Frauen auch zu singen haben. Thomas Moser, der wirklich ein C-Tenor war, hat mir gesagt: Mach einfach den Mund weit auf, lass die Frauen singen, und jeder wird meinen, er habe dich auch gehört… Ich weiß nicht, ob ich das machen werde!
Das Problem des „C“ trifft Sie ja auch beim „Siegfried“ in der „Götterdämmerung“…
Ja, und ich stoße es immer nur ganz kurz an, so wie es bei Wagner steht, aber so wie die Opernwelt heute funktioniert, erwartet man von dem Tenor, dass er es lange hält… Siegfried ist für mich eine ganz wichtige Rolle, wobei der große Erfolg erst mit der Wiener Inszenierung 2008 einsetzte. Zuvor, 2006 in Bayreuth, hatte ich 35 Kilo abgenommen, um auch nach der Rolle auszusehen, mit dem Effekt, dass mir die Luft ausging… das hätte meiner Karriere fast geschadet. Aber in Wien konnte ich mit Sven Eric Bechtolf arbeiten: Man mag von seinem „Ring“ halten, was man will, aber er ist in erster Linie Schauspieler, mit ihm konnte ich die Rolle richtig erarbeiten. Grundsätzlich besteht das Problem des Siegfried ja darin: Wenn Du alt genug bist, ihn gut zu singen, bist Du zu alt, ihn überzeugend zu spielen… Ich werde ihn aber trotzdem noch ein paar Jahre im Repertoire behalten, auch im Wiener „Ring“ der letzten Saison von Dominique Meyer noch einmal singen.
Die Figur des Siegfried kann man ja in alle Richtungen interpretieren…
Ja, und ich bin wirklich seit Jahrzehnten dabei, mir den Kopf über ihn zu zerbrechen. Dabei ist interessant, wie viel Partner neue Aspekte aufzeigen können, etwa der Mime von Gerhard Siegel, der mir klar machte, dass Siegfried nicht brutal ist, sondern ein Naturgeschöpf, der aus Instinkt handelt. Je weniger man den jungen Siegfried „interpretiert“, umso näher kommt man, glaube ich, der Selbstverständlichkeit der Figur. Man erlebt auch wunderbare Augenblicke mit Partnern. Wenn Siegfried mit Notung Wotans Speer zerschlägt, gibt es zahllose Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Mein schönstes Erlebnis war mit Bryn Terfel als Wotan in einer „Götterdämmerung“ in der Met: Er stand da nicht empört über diesen ungezogenen jungen Mann, sondern erwartete sein Schicksal wie etwas Unabwendbares. Und nachdem der Speer zerschlagen war, hat Wotan gelächelt – als wäre er erleichtert, dass dieser Teufelskreis von Macht und Gewalt nun ein Ende hat. Und am Ende wissen wir alle, die wir uns mit dem „Ring“ immer wieder beschäftigen, dass Wagner recht hatte, wenn er an Liszt schrieb: „Die Welt gehört Alberich“. Sich mit Wagner auseinanderzusetzen, wird man nie müde.
Wagner also, der für Sie wichtigste Komponist. Heuer gibt es wieder eine Bayreuth-Premiere, den „Tannhäuser“ unter Gergejew.
Mein erster Bayreuther „Tannhäuser“ 2004 war auch mein Debut dort. Die Inszenierung von Arlaud hat mir gut gefallen, und ich genieße seit damals dieses Bayreuther Gefühl einer „großen Familie“, das sich in einem solchen Sommer der Zusammenarbeit einstellt. Ich habe dort letztes Jahr auch den Siegmund gesungen, der bei mir eher selten am Repertoire steht, und bin schon seit Jahren der Tristan. Schade, dass es nie der Parsifal in Bayreuth geworden ist. Die Wagner-Rolle, die ich für meinen Geschmack zu wenig gesungen habe, ist der Lohengrin – aber es ist zu verstehen, Klaus Florian Vogt hat eine so außerordentliche Stimme dafür, die wie für diese Partie geschaffen ist, dass verständlicherweise jeder versucht, ihn für diese Rolle zu bekommen.
Warum singen Sie so selten anderes als Wagner?
Stimmt, außer dem Otello so gut wie keinen Italiener. Man bekommt es als Wagner-Sänger nicht so leicht angeboten. Den Samson würde ich gerne singen, der würde auch zu meiner Statur passen (Stephen Gould ist 1,94 m groß), aber man denkt für diese Rolle nicht an mich. Der Loge würde mich reizen, aber wenn man die derzeitigen Besetzungen ansieht, sind das meist schlanke Männer in mittleren Jahren… Zubin Mehta, zu dem ich ein besonderes Vertrauensverhältnis habe, meint immer, ich solle den Herodes singen – er möchte die Rolle einmal wirklich gesungen hören und nicht von ausgeschrienen Sänger… Aber mein Agent verbietet es mir noch. Er sagt immer, „Sobald du den Herodes singst, glauben alle, du bist am Ende.“ Allerdings werde ich im Jahr 2022 dann 60 Jahre alt, das heißt nicht, dass ich aufhöre, aber ich will auf keinen Fall den richtigen Zeitpunkt verpassen, der den Leuten dann ermöglicht zu sagen: „Es wäre doch besser, er hört auf…“
Wäre es schmerzlich für Sie, an ein Karriere-Ende zu denken?
Opernsingen ist das, was ich tue, es ist nicht das, was ich bin. Ich betreibe diesen Beruf, weil ich ihn liebe, weil er mich interessiert, weil er mich ausfüllt. Und weil es für mich wichtig ist, mit wem ich zusammen arbeite. Es ist nicht so wichtig, was man über mich sagt – darum lese ich schon seit längerer Zeit keine Kritiken mehr. Ich habe das Gefühl, man sucht heutzutage mehr das Schlechte als das Gute, und jedem Opernhaus ist ein Skandal recht, damit man darüber spricht. So sehe ich das nicht. Und wenn ich einmal aufhöre, kann ich mich mit Dingen beschäftigen, die zu kurz gekommen sind, etwa das Malen und Bildhauern, und man kann auch unterrichten.
Das wäre aber dann in den USA. Jetzt, Herr Kammersänger, leben Sie ja in Wien…
Ja. Ich habe meine definitive Karriere als Opernsänger bekanntlich mit 37 Jahren in Linz begonnen. Mein Gesangslehrer in Amerika, der mir Mut zum „Heldentenor“ machte, hatte gesagt, ich müsse in einer deutschsprachigen Stadt leben, nur dort lerne sich eine Sprache wirklich, und in einem nicht allzu großen Theater den Betrieb von Grund auf lernen. In den USA sah ich als Opernsänger keine Chance, war jahrelang mit dem „Phantom der Oper“ auf Tournee, was ich absolut nicht mehr wollte. Da kam ich nach Europa, sang an vielen Häusern vor, gar nicht schlecht, wie ich fand, aber niemand hatte Interesse, den meisten war ich zu alt. Nur Linz bot mir eine Chance, dort war ich drei Spielzeiten lang engagiert und lernte alles, was ich brauchte – und habe auch durchgesetzt, dass „Peter Grimes“ dort auf Englisch gespielt wurde. Danach suchte ich einen Standort in Europa, und Wien hat sich angeboten. Jetzt lebe ich schon 18 Jahre im 7. Bezirk. Ich muss allerdings sagen, dass die Frage der Aufenthaltsgenehmigung durch die EU in den letzten Jahren immer schlimmer geworden ist. Das ist natürlich auch ein Grund dafür, innerhalb der nächsten Jahre dann wieder in die USA zurück zu kehren, wo mein Vater und meine Schwester leben und es auch andere Bindungen gibt.
Da werden Sie dem Wiener Publikum aber sehr abgehen.
Nächste Saison singe ich an der Staatsoper noch Bacchus und Otello und meinen Siegfried im „Ring“. Darüber hinaus haben allerdings noch keine Gespräche stattgefunden…
Was nicht ist, kann noch , muss noch werden! Herr Kammersänger, wir danken für dieses Gespräch.