Bernhard Fetz, Arnhilt Inguglia-Höfle, Arturo Larcati (Hg.)
Stefan Zweig
WELTAUTOR
350 Seiten, Reihe „Profile“, Paul Zsolnay Verlag, 2021
Ausstellungen sind unverzichtbar, weil sie den interessierten Betrachter mit dem „Zauber des Originals“ konfrontieren und ihm Objekte in neuem Zusammenhang präsentieren. Aber Ausstellungen währen nur kurz – die dazu entstandenen Kataloge bleiben. Viele gehen vollinhaltlich als „Bücher“ in die privaten und öffentlichen Bibliotheken ein, liefern sie doch über den so wichtigen Schaueffekt hinaus in wissenschaftlichen Artikeln weiter führende Betrachtungsweisen.
Stefan Zweig, dem in den letzten Jahren so viel Beachteten (das Theatermuseum hat ihm erst 2014 eine Einzelausstellung gewidmet, die allerdings das Exil in den Fokus der Betrachtung rückte), ist nun in das Literaturmuseum im Grillparzer Haus (unter der Schirmherrschaft der Österreichischen Nationalbibliothek) eingezogen. In Zusammenarbeit mit dem Stefan Zweig Zentrum Salzburg und dem Literaturarchiv Salzburg wurde hier Dokumentarisches in Fülle ausgebreitet.
Neue Bücher, die stets neue biographische Aspekte beleuchten, gibt es gerade zu Zweig auffallend viele – als wollte sich die Nachwelt dafür entschuldigen, dass die Mitwelt ihn nicht immer nobel behandelt hat. Die Ausstellung und der dazu gehörige Katalog widmen sich nun dem Thema „Weltautor“, und das könnte ergiebiger nicht sein. Denn Stefan Zweig wurde (und wird wahrscheinlich) weltweit mehr gelesen als alle seine Zeitgenossen – nicht zuletzt, wie man bewiesen bekommt, weil er sich unermüdlich darum gekümmert hat.
Und er war, teils freiwillig, teils unfreiwillig einen großen Teil seines Lebens unterwegs – in aller Welt. Er konnte es sich leisten (was damals wie heute auch eine wichtige Voraussetzung für das Reisen ist), und er kam bis in die beiden Amerikas, nach Russland und Indien (und sorgte dafür, dass das auch medial wahrgenommen wurde). Bis er eines Tages nicht mehr zurück konnte und dann in Brasilien seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat… Weil „seine“ Welt eine „Welt von gestern“ geworden war und er keinen Lichtstreifen am Horizont sah, der vom Ende des Nazi-Terrors gekündet hätte.
Viele Kollegen mochten ihn nicht. Hugo von Hofmannsthal sprach neidisch vom „Erwerbszweig“. Er war ein Mann, der Geld hatte und viel Geld verdiente, was manche (wie sein Freund, der immer finanzschwache Joseph Roth) auch ausnutzten. Thomas Mann anerkannte, wohl zähneknirschend, weil selbst sehr auf seine eigene Reputation bedacht: „Sein literarischer Ruhm reichte bis in den letzten Winkel der Erde.“
Stefan Zweig bediente die Leserschaft auch mit einer breiten Fülle von menschlich ansprechenden Geschichten bis zu leicht fasslichen biographischen Werken. Zu billig, urteilten die Kollegen, auch manche Kritiker, aber letztendlich ging es darum, dass er „Verkäufliches“ schrieb. Es ließ sich – faszinierende Dokumente des Buches bestätigen es – in Film, Theater, Vertonungen umsetzen. Und es ließ sich in unfassliche viele Sprachen übersetzen. Die Buchführung zeigt es: Zweig kümmerte sich penibelst darum, was in welcher Sprache erschienen war. Man macht nicht nur Karriere, indem man schreibt. Man macht auch Karriere, indem man sich selbst um die Verwertung kümmert.
Das Buch begleitet den Leser (und die Ausstellung) mit einer Fülle von Bildern und Dokumenten – der immer elegante Herr, verbindlich lächelnd, in allen Lebenslagen, in der Salzburger Nobeladresse am Kapuzinerberg, im Auto über die Fifth Avenue, im Truck durch Indien.
Und dazu wird das Thema in einer Fülle von Einzelartikeln ausgeführt, die ihn als „weltumspannenden Literatur-Industriellen“ ebenso zeigen wie als ganz realen Reisenden, der mehr war als ein impressionistischer Weltenbummler, sondern sehr genau beobachtete. Der sich allerdings (etwa über die „neue Heimat“ Brasilien) zu gewissermaßen Auftragswerken herabließ. Schreiben war auch ein Handwerk. Und doch mochten die Reisen ihn dazu inspirieren, die Welt der tragisch-schönen Gefühle zu verlassen und eine Novelle wie „Der Amokläufer“ zu schaffen, die in ihren extremen Emotionen sowohl an Ostasien wie vielleicht auch an Somerset Maugham erinnert… Dass er letztendlich die Position des Weißen in einer Kolonialgesellschaft einnahm, mag man ihm heute vorwerfen, war damals eine gewissermaßen unhinterfragte Einstellung.
Wenn es je einen „international“ denkenden und fühlenden Künstler gab, dann Stefan Zweig, ungeachtet seiner Bindung an das Österreich, aus dem er einst kam. Dennoch war sein Judentum für ihn von Bedeutung, nicht nur, weil es aus ihm einen Vertriebenen machte. Als Theoretiker, der sich in Zeitungsartikeln äußerte, forderte er eine „geistige Internationale“.
Und weil auch heute international und darüber hinaus gegenwärtig gedacht wird, haben Ausstellung und Buch „Kommentare“ von Zeitgenossen zu Zweig eingeholt. Da erzählt Christopher Hampton, der zuletzt aus „Brief einer Unbekannten“ für die Josefstadt das Stück „Geheimnis einer Unbekannten“ machte, von seiner Beziehung zu Zweig, da erinnert sich Julian Schutting angesichts eines Besuchs in der Conciergerie an die Lektüre von Zweigs „Marie Antoinette“ und seiner Schilderung ihrer letzten Stunden, da berichtet Daniel Kehlmann darüber, wie viele Menschen in New York mit dem Namen Stefan Zweig und zumal mit der „Welt von gestern“ etwas anfangen können. Aber auch Filmemacher Wes Anderson, der in seinem Film „Grand Budapest Hotel“ Eindrücke aus Zweig-Novellen eingebracht hat, kommt zu Wort oder die Chinesin Zhang Yi, die von Zweigs Präsenz in ihrer Heimat berichtet.
Ein Weltautor, einst wie heute.
Renate Wagner