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Stefan von der Lahr: DAS GRAB DER JUNGFRAU

14.06.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Stefan von der Lahr
DAS GRAB DER JUNGFRAU
Kriminalroman
400 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2020

Im wirklichen Leben kommt dergleichen wohl eher nicht vor (und wenn, würde es die Öffentlichkeit vermutlich nicht erfahren), aber für das Genre des Religions- und Archäologie-Krimis ist die Vorgabe unersetzlich (und schon hunderte Mal unter den verschiedensten Gesichtspunkten abgespult worden): Dass ein uraltes Dokument entdeckt wird, das die Dogmen der Kirche in Frage stellt – und dass in der Folge die Höllenhunde losgelassen werden, um das neue Wissen zu vernichten…

Autor Stefan von der Lahr, der zuletzt rund um das Grab von Alexander dem Großen (bzw. um dessen Gebeine) spekuliert hat („Hochamt in Neapel“, 2019), ist nun beim Grab der Jungfrau Maria, das sich irgendwo in Ephesos befinden mag (oder auch nicht). Peinlich daran ist nur – wenn es, wie ein aufgefundener alter Papyrus behauptet, sich tatsächlich in der Nähe des Artemis-Tempels befindet, dann ist die Muttergottes am Ende gar nicht leiblich in den Himmel aufgestiegen, wie es ein Papst „unfehlbar“ deklariert hat…? Das wäre mehr als peinlich.

Zwei amerikanische Wissenschaftler wissen um den Papyrus, der von den „Krokodilmumien“ aus Tebtunis stammt. Der eine der beiden stirbt auf grauenvoll raffinierte, geradezu schreckliche Weise (man könnte Alpträume davon bekommen). Der andere, der noch jugendliche Professor Bill Oakbridge, schnappt das Dokument und rast damit nach Rom zu seinem alten Studienkollegen Gian Carlo Montebello. Der arbeitet in der Vatikanischen Bibliothek (wo ihm der Autor ausgerechnet einen ganz „hässlichen Deutschen“, Kardinal Angermeier, als verständnislosen Vorgesetzten gegeben hat), und er soll Oakbridge helfen, seinen Papyrus mit einem Stück aus dem Vatikan zu ergänzen. Dann wüsste man nämlich vielleicht tatsächlich, wo der Apostel Johannes und seine Glaubensbrüder die Mutter von Jesus begraben haben…

Aber Glück muss man haben (bevor alles schief geht): Der als Leiter der Bibliothek emeritierte, hoch gebildete und überraschend freundliche Kardinal Ambroso ist hilfreich, kümmert sich um die Ergänzung des Papyrus – jetzt müsste man nur noch nach Ephesos reisen und die Suche beginnen. Der archäologie-begierige Leser freut sich schon darauf – da wird Oakbridge der Papyrus brutal gestohlen…

Und die Handlung verlässt nun ihre Helden, das Trio Oakbridge / Montebello / Ambroso, und gerät in einen unglaublichen Wirbel, wo bestechliche Polizisten, die Mafia und eine Geheimorganisation des Vatikans ziemlich undurchsichtig und wild agieren. In Gestalt der Wissenschaftlerin Jacqueline O’Connor taucht eine Gestalt auf, von der man lange nicht weiß, ob man ihr trauen kann oder nicht. Ein Mafioso wechselt die Seiten und rettet die Dame (und seine Oma in Nola beweist, dass energische alte Frauen auch die Flinte zücken, schießen und treffen können, wenn man ihre Angehörigen bedroht).

Die einen (der korrupte Polizist, die Mafia) wollen viel Geld, die andere Seite, die erzkonservative vatikanische Geheimorganisation FOEDUS. erweist sich als komplett unchristlich, wenn es darum geht, Gegner auszuschalten… Glücklicherweise nimmt sich der Autor am Ende die Mühe, alle Verwirrungen, mit denen er den Leser überschüttet hat, ausführlich zu erklären.

Ja, das Grab wird gefunden, und letztendlich überschlagen sich die Pointen geradezu und konfrontieren den Leser am laufenden Band mit Unerwartetem. Wenn man bedenkt, wie man die einzelnen Menschen, die einem hier begegnet sind, eingeschätzt hat, dann gesteht man dem Autor zu, dass er einen wahrlich krimi-prächtig an der Nase herumgeführt hat. Und darum geht es ja schließlich auch – ganz abgesehen von dem historisch-archäologischen und kirchengeschichtlichen Wissen, die in das Buch einflossen sind. (Ein ehrenwerter schwarzer Papst, der dort, wo’s noch geht, für Happyends sorgt, ist natürlich ein Wunschtraum. Aber vielleicht nicht mehr lange…)

Renate Wagner

 

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