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Stefan Frey: FRANZ LEHAR

20.04.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Stefan Frey
FRANZ LEHAR
Der letzte Operettenkönig
436 Seiten, Böhlau Verlag, 2020

Der Rang, den Franz Lehar (1870-1948) in der Welt der Musik einnimmt, ist unbestritten: Mit und neben Johann Strauß gilt er bis heute als legitimer König der Operette. Obwohl er, wie man in seiner Biographie nachlesen kann, jahrzehntelang fast wie am Fließband jährlich ein neues Werk schuf, stellt gerade ein Quartett seiner Schöpfungen national und international seine ewige Präsenz auf den Bühnen sicher: „Die lustige Witwe“, „Das Land des Lächelns“, „Der Graf von Luxemburg“ und „Der Zarewitsch“. Andere („Paganini“) werden gelegentlich gespielt, andere wie „Giuditta“ sind als Lehars „einzige Oper“ im Gespräch (ohne dass man sich dem Werk oft live nähern würde), dies und jenes wird zumal von Lehar-Festivals als Rarität hervor geholt („Eva“, „Frasqita“, „Zigeunerliebe“). Und von den meisten seiner Werke hat man kaum je den Titel gehört.

Und um Werke, alle Werke Lehars,  geht es in erster Linie in der umfangreichen Biographie, die Autor Stefan Frey zu Lehars 150. Geburtstag vorlegt. Er hat sein erstes, vor 20 Jahren erschienenes Buch zu dem Komponisten gewaltig erweitert. Blättert man gelegentlich auch in die Anmerkungen, sieht man, wie viel ungedrucktes Material aus Nachlässen er diesmal befragt hat.

Und die Aufführungsgeschichte jeder einzelnen Operette wird vorbildlich dokumentiert, ganz abgesehen davon, dass der Autor jede Operette auch stilistisch untersucht, hat Lehar doch tatsächlich von Werk zu Werk das Genre quasi neu zu erfinden gesucht, immer mit neuen Aspekten versehen.

Warum die „Lustige Witwe“ 1905 ein so überdimensionaler Erfolg wurde, analysiert der Autor aus allen Aspekten des damaligen Zeitgeistes und allen Glücksfällen, die damals zusammen kamen: Wie sehr hier die neue Psychoanalyse hineinspielte, wie sehr die neuen Rollenbilder der selbstbewussten Frau und des nicht-aggressiven Mannes. Dazu kam die Sinnlichkeit der Musik (für Karl Kraus, dem neben Richard Strauss wohl heftigsten Feind von Lehar, waren es einfach „Zoten“, die er hier registrierte) und der Event-Charakter. Wer nicht a priori negativ eingestellt war, musste die unglaubliche Qualität des Werks anerkennen, und das tat selbst Gustav Mahler… Die „Lustige Witwe“ ging dann über den „Marktplatz London“ buchstäblich in die ganze Welt, und Lehar stand in der Folge vor der schier unlösbaren Aufgabe, einen Erfolg wie diesen zu wiederholen. Was selbst ihm nicht gelang, obwohl er noch viele „Renner“ produzierte und von ihm oft mehrere Werke gleichzeitig die Spielpläne beherrschten. Dennoch, im großen Überblick und Rückblick, die die „Witwe“ ja doch die Operette schlechthin… Dieses Kapitel  ist nur ein Beispiel dafür, wie vorzüglich der Autor damit umgeht, das Werk Lehars auch in seiner Entwicklung zu schildern und dann punktuell zu erklären, wobei angesichts der Entstehungsgeschichten die volle Garde der damals tätigen jüdischen Librettisten vorbei paradiert…

Der Leser sucht aber in einer Biographie auch den Menschen Lehar, der sich hinter seinem Werk zu verstecken scheint – was vermutlich tatsächlich so war. Nur wenn er sich im Schaffensrausch einsperrte, war auch mit dem nach außen hin immer so freundlichen und höflichen Herrn nicht gut Kirschen essen…

Was erfährt man also über Lehar? Dass er ein echtes Kind der Monarchie war, mit deutsch-ungarischen-tschechischen Wurzeln, sich nach Ende des Ersten Weltkriegs die neue Staatsbürgerschaft aussuchen konnte und für Ungarn (!) entschied, was ihn nicht hinderte, nach wie vor seinen Lebensmittelpunkt in Wien (und Bad Ischl) zu haben. Daraus ergaben sich keine Probleme.

Man erlebt seine Kindheit, immer auf der Achse mit einem Vater, der als Militärkapellmeister von einem Ort zum anderen versetzt wurde. Lehar hat dann auch diesen Beruf ergriffen und sehr viel dabei gelernt. Ein langes Leben auf den Bühnen in Wien (wo die meisten seiner Uraufführungen stattfanden) und Berlin, wo er sehr begehrt war, führen ins volle Theaterleben von Direktoren und Stars (Louis Treumann und dann Richard Tauber waren mit seinen Werken aufs engste verbunden), aber man hört auch von Querelen, obwohl Lehar nicht der Typ war, der sich durch große Donnerwetter in Szene gesetzt hätte. Er war auch privat unendlich solide, lange glücklich liiert, dann glücklich verheiratet mit Sophie Paschkis, die er nie verlassen hätte, auch als es nicht mehr opportun war, eine jüdische Ehefrau zu haben.

Am berührendsten begegnet man dem „privaten“ Lehar, der sich als solcher stets versteckt hat, in seiner verehrenden Freundschaft zu Giacomo Puccini, und es muss wunderbar gewesen sein, wie die beiden gemeinsam am Flügel saßen, einer mit der linken, einer mit der rechten Hand spielend und sie sich gegenseitig ihre schönsten Melodien vorgesungen haben… (Man fragt sich auch, warum angesichts der bekannten Freundschaft und gegenseitigen Schätzung niemand daran gedacht hat, Lehar die „Turandot“ vollenden zu lassen – es hätte weder an Können noch Einfühlungsgabe gefehlt.)

„Lehar unterm Hakenkreuz“ ist ein Lieblingsthema der Medien geworden, als bei der Vergangenheitsbewältigung ein Berühmter nach dem anderen nach seinen Nazi-Verbindungen befragt  wurde. Lehar selbst vermerkte, dass er nichts dafür konnte, dass „Die lustige Witwe“ Hitlers Lieblingsoperette war, dass er von den Nazis nie etwas gebraucht oder gewollt hätte (außer den Schutz für seine jüdische Frau). Dennoch kann der Autor, der es gewissermaßen unaufgeregt tut, ohne Schaum vor dem Mund, einiges Negative vermerken – etwa wie (geboten) begeistert Lehar von seinen Zusammentreffen mit Hitler gewesen sei. Angeblich sei er auch zu diesem gefahren, um persönlich seinen Librettisten Fritz Löhner-Beda aus dem Konzentrationslager zu holen. Wenn der Führer zwar versprach, sich den Akt kommen zu lassen, dann aber nichts geschah, was hätte Lehar tun können…?

Mit seiner „Giuditta“, der „Oper“, war er 1934 erstmals in die Wiener Staatsoper eingezogen, womit ihm ein Herzenswunsch erfüllt wurde.  Obwohl er im Dritten Reich nicht nur Freunde hatte, wurden seine Werke (wenn auch oft arg bearbeitet, nicht nur inhaltlich, auch musikalisch!) damals viel gespielt. Die auch vom Autor gestellte Frage, warum Lehar nicht emigriert sei, erledigt sich eigentlich angesichts seines hohen Alters – wie hätte er das durchstehen sollen?

Für Lehar war damals schon der Vorhang gefallen. Nach dem Krieg kamen die Anschuldigungen, 1947 starb seine Frau, wenig später starb der Lebensfreund Richard Tauber. Lehar schloß am 20. Oktober 1948 im Alter von 78 Jahren die Augen für immer. Die Ischler Villa, der letzte Ort seines Lebens und der seines Sterbens, vermachte er der Stadt mit der Auflage, ein Museum daraus zu machen.

Wer Lehars Leben, vor allem aber sein Schaffen ganz genau kennen lernen will – hier ist das Buch dafür.

Renate Wagner

 

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