Stefan Franke
EIN BISSERL SCHIMPFEN EIN BISSERL RÄSONIEREN
Leserbriefe anno dazumal
160 Seiten, Carl Ueberreuter Verlag. 2023
Sicherlich gibt es auch heute noch zivilisierte Zeitungen mit zivilisierten Leserbriefen. Aber im allgemeinen wird beschimpft und beleidigt, verhöhnt und herunter gemacht, vor allem in den Sozialen Medien. Einen Blick in die Vergangenheit, gerade einmal gute hundert Jahre zurück, bietet Stefan Franke, der sich als besonderer Fan alter Zeitungen outet, wenngleich er sie (mit Dank an die Österreichische Nationalbibliothek) im Internet liest…
Er hat die einst brav-bürgerliche Zeitschrift „Wiener Hausfrau“ ausgewählt, die zwischen 1904 und 1920 erschienen ist, eingegangen aus nur zu bekannten Gründen: finanzielle Probleme. Vielleicht hatten die Frauen in der neuen Republik auch nicht mehr so viel Sinn für Kochrezepte und Modetipps.
Solange die Monarchie noch währte, konnte sich ein bürgerliches Leserpublikum noch sicherer fühlen – der Autor hat Beiträge aus den Jahren von 1909 bis 1915 ausgewählt, die in der Rubrik „Der Klaghansl“ erschienen, wo sich die Damen (und obwohl die Zuschriften anonym waren, wirken die meisten doch, als wären sie von Frauen gekommen) ihre ganzen Sorgen und Probleme ausbreiten konnten. Im allgemeinen auf gutem sprachlichen Niveau, weniger schimpfend als räsonierend. Ausfällig wurde man in diesen Kreisen nicht.
Kommen einem die Klagen bekannt vor? Möglicherweise werden heute Damen, die sich Au Pair-Mädchen leisten können, über deren Inkompetenz genau so stöhnen wie die Damen von einst über ihre Kindermädchen. Vielleicht werden sich auch heute ernsthafte Frauen den Kopf zerbrechen, wie inflationär mit dem Begriff „meine Freundin“ umgegangen wird, als ob Freundschaft nicht höher zu gewichten wäre als mit beiläufigem Zusammensein und Tratschen. Dass man sich heute genau wie einst ärgert, wenn undisziplinierte Sitznachbarn den Konzertbesuch stören, das ist keine Frage.
Es sind nicht die großen, elementaren Probleme des Lebens, die hier zur Sprache kommen, aber die Ärgernisse des Alltags, wobei man oft den Eindruck gewinnt, Frauen wollten ihren Geschlechtsgenossinnen auch gute Ratschläge geben (Pass auf, wenn Dein Mann zu oft alleine ausgeht!).
Illustrationen aus alten Zeitungen haben, wie man weiß (umd wenn man Sinn dafür hat), besonderen Reiz, und sie sind diskret in das Buch eingestreut, das auch in seiner Aufmachung auf sympathische Weise „gestrig“ wirkt.
Es soll ja noch Nostalgiker geben in dieser Welt – und nicht nur jene, die lüstern gebannt darauf starren, wie entmenschlicht wir bald durch KI sein werden.
Renate Wagner