Hg. Barbara Schedl / Franz Zehetnet
St. STEPHAN IN WIEN.
DIE „HERZOGSWERKSTATT“
372 Seiten, Großformat, Verlag Böhlau, 2021
Heute steht der Stephansdom mitten in Wien, eine der mächtigsten Kathedralen Europas, 110 Meter lang, 34,2 Meter breit, höchste Spitze 136,44 Meter. Dies zu erbauen, hat Jahrhunderte in Anspruch genommen, und bis heute ist sich die Wissenschaft über Einzelaspekte des Baus (etwa die Chronologie der Bauausführung) noch nicht im klaren.
Ein großes Stück neuester Forschungsarbeit findet sich in dem großformatigen Buch „St. Stephan in Wien“, der sich dezidiert mit der „Herzogswerkstatt“ auseinandersetzt, dem Anteil, den Herzog Rudolf IV. von Habsburg an diesem Werk hatte.
Barbara Schedl, Dozentin für Kunstgeschichte an der Universität Wien, Schwerpunkt mittelalterliche Kunstgeschichte, und Franz Zehetner, Archivar der Dombauhütte St. Stephan in Wien, sind die Herausgeber des großformatigen, in jeder Hinsicht schwergewichtigen und instruktiv bebilderten Bandes, der Beiträge internationaler Experten zusammenfasst, die auf einer interdisziplinär ausgerichteten Tagung diskutiert wurden. Der Wunsch der Herausgeber besagt, „dass wir uns mit diesem Band einen Schritt weiter dem Verständnis für einen kurzen, aber für St. Stephan so wichtigen Zeitraum, nämlich der Regierung von Herzog Rudolf dem Stifter, angenähert haben.“
Begonnen hat den Bau bekanntlich der Babenberger Markgraf Leopold IV. von Österreich unter dem Patronat der Passauer Bischöfe 1137 – weshalb die Kirche auch nach dem heiligen Stephanus benannt wurde, dem Patron der Bischofskirche von Passau. (Stefan ist auch der Nationalheilige von Ungarn, zu Wien hat er keinen ersichtlichen Bezug, darum muss man die Namensgebung auf die von Passau geprägten Anfänge zurückführen.)
Das Interesse des vorliegenden Forschungsprojekts konzentriert sich allerdings auf jenen Habsburger Rudolf IV. ((1339 – 1365), den die Nachwelt „der Stifter“ nennt, obwohl er 25jährig gestorben ist. Was er in aller Eile – als hätte er geahnt, nicht viel Zeit zu haben – für sich und die Habsburgische Herrschaft unternahm, ist außerordentlich, von der berühmt-berüchtigten Fälschung zur Erhöhung seiner Familie bis zur Gründung der Wiener Universität 1365, wenige Monate vor seinem Tod. Damit wollte er mit seinem Schwiegervater, Kaiser Karl IV. aus dem Hause Luxemburg, gleichziehen, der 1348 in Prag die erste deutschsprachige Universität gegründet hatte. Wien war die zweite, mit Heidelberg folgte 1386 dann die erste auf heute deutschem Boden. Schon damit hat sich Rudolf IV. für alle Zeiten in die Geschichte eingeschrieben. Auch damit, dass er sich malen ließ (als erstes bekanntes Porträt eines mittelalterlichen Herrschers) und damit, dass er trachtete, alle seine Dokumente selbst zu unterschreiben… mit dem Blick auf die Nachwelt.
Doch er hatte auch große Pläne für die Stephanskirche, an der damals schon seit mehr als 220 Jahren gebaut wurde. Erstens plante er für Wien einen eigenen Bischofssitz (mit entsprechendem Bau), um sich aus der Abhängigkeit von Passau zu lösen, zweitens dachte er an eine repräsentative Grablege für seine Familie, nachdem seine Eltern Albrecht II. und Johanna von Pfirt noch in der Pfarrkirche von Gaming ihre letzte Ruhe gefunden hatten,
Folglich erzählt Barbara Schedl, alte Dokumente befragend, im ersten Beitrag, wie der damals 19jährige Rudolf und seine Gattin Katharina, die Tochter von Karl IV., damals 17 Jahre alt (die beiden hatten am 3. Juli 1357 in Prag geheiratet), im Frühjahr 1359 bei der Stephanskirche erschienen und beim ersten Spatenstich zum Aushub der Fundamente für die Erweiterung der Kirche dabei waren. Wenige Tage später soll das Herzogspaar persönlich den Grundstein gelegt haben. Die nun einsetzenden Arbeiten der hochrangigen Baumeister und Bildhauer werden unter dem Begriff der „Herzogswerkstatt“ zusammen gefasst.
Nicht alle Quellen reichen aus, um völlige Klarheit über die Vergangenheit zu ergeben. Hier bemüht man sich, das konkrete Konzept zu erforschen, das Herzog Rudolf IV. bezüglich der Kirche hatte, auch eine bauhistorische Forschungsanalyse über die Erweiterungen zu erstellen, wobei nach Rudolfs frühem Tod sein ihm nachfolgender Bruder Herzog Albrecht III. das Unternehmen mit ähnlichem Eifer betrieb.
Man liest folglich in den anschaulich bebilderten Einzelbeiträgen Beobachtungen zur Baukonstruktion und zum Bauablauf von Fürstenportalen und Rudolfs-Kenotaph (der ja dann leer blieb), von Langhaus und Südturm, über höfisches Dekorum und kunstgeschichtliche Kontexte und Vergleiche aller Art.
Als Rudolf im März 1365 plötzlich und unerwartet in Mailand verstarb, war das Bauprojekt Stephansdom noch nicht weit gediehen. Allerdings hatte es schon eine erste Grablege in der unterirdischen Herzogsgruft gegeben – sein jüngerer Bruder Friedrich war 1362 gestorben und hier beigesetzt worden. Rudolf sollte der zweite sein – der steinerne Deckel für einen Doppelsarkophag für sich und seine Gattin zeigt bis heute berührend im Grunde zwei junge Menschen, die hier liegen…
Keiner ahnte, wie jung Rudolf tatsächlich sterben sollte – und dass Gattin Katharina von ihrem kaiserlichen Vater in eine zweite politische Ehe gezwungen werden sollte, mit dem Wittelsbacher Otto, der damals in Brandenburg herrschte. Karl IV. hegte dabei nur Machtbestrebungen und zerstritt sich mit dem zweiten Schwiegersohn, mit dem Katharina (wie mit Rudolf) auch keine Kinder hatte. Otto starb 1379, Katharinas Vater Karl IV., zu dem sie immer wieder nach Prag zurück gekehrt war, war 1378 verstorben. So kam es, dass sie nach Wien kam (wo Rudolfs Bruder Albrecht mit ihrer Schwester Elisabeth verheiratet gewesen war, doppelte Familienbande also) und Katharina, als sie 1395 immerhin 30 Jahre nach Rudolf starb, an seiner Seite in der Herzogsgruft von St. Stephan beigesetzt wurde.
Renate Wagner