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ST.PÖLTEN / GENT – Stream: YELLOW

11.03.2021 | KRITIKEN, Theater

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Foto: NT Gent c Maria Shulga 

NT Gent / Landestheater Niederösterreich / Le Manège Maubeuge
YELLOW – THE SORROWS OF BELGIUM II: REX von Luk Perceval
Stream: 11. März 2021

Das Phänomen der Vergangenheitsbewältigung ist den Kindern und Enkeln der Nazi-Generation hierzulande schmerzlich vertraut. Die jungen Leute von heute mögen, von eigenen Problemen umgeben, weniger damit zu tun haben. Andere Länder, deren „Schuld“ in der Epoche des Dritten Reichs nicht so unzweifelhaft fest stand, sind nun später an der Reihe, ihre Fragen zu stellen. Luc Perceval, Autor und Regisseur, unternimmt es jetzt für seine Heimat Belgien – und hier, in Gent zuhause, vordringlich für den flämischen Teil.

An sich ist das Projekt der historischen Aufarbeitung, das sich übergreifend „The Sorrows of Belgium“ nennt, dreiteilig: Jener, die sich mit der unrühmlichen Kolonialrolle Belgiens im Kongo befasst, hatte schon Premiere. Nun folgte – notgedrungen als Video-Präsentation – der zweite Teil in Zusammenarbeit mit dem Landestheater Niederösterreich. Der dritte Teil, der sich mit Belgien und seinen aktuellen Problemen mit dem Islamismus auseinandersetzt, wird folgen.

Der gut zweistündige Videofilm, der nun entstanden ist (live kommt die Produktion, so Corona will, noch heuer in Gent und nächste Saison in St. Polten heraus), läuft die längste Zeit schwarzweiß, erst wenn am Ende kurzfristig die Zeit nach dem Krieg behandelt wird, gesellt sich Farbe dazu.

Zu Beginn könnte man befürchten, dass hier nur am Tisch gesessen und ideologisch diskutiert wird, aber nach und nach entwickeln sich Einzelschicksale und eine Geschichte. Wie die flämische Bevölkerung (einst wie jetzt ungeliebt mit der französischen zu einer gar nicht einigen belgischen Nation zusammen gespannt) großteils den deutschen Einzug begrüßte, weil man sich ihnen näher fühlte als den dominierenden Franzosen, wird ohne Gehässigkeit geschildert. Sie haben ihr „Heil Hitler“ teilweise mit ähnlichem und ehrlichem Enthusiasmus vollzogen wie manche Österreicher am Heldenplatz. Gesprochen wird fast ausschließlich Flämisch, was die Augen des Betrachters auf die Untertitel fixiert.

Aber weil es ja doch eine belgisch-österreichische Co-Produktion ist, taucht eine deutsch sprechende Figur auf (gespielt von dem NÖ-Landestheater-Schauspieler Philip Leonhard Kelz). Anfangs nur ein Österreicher, der sich für Hitler begeistert. Als er diesen trifft und ihm die Hand reichen darf, erfahren wir auch seinen Namen: Otto Szorzeny. Er hat es ja nun an die Nazi-Spitze geschafft – und ist später unbehelligt davon gekommen…

Die flämische Familie hingegen merkt nach und nach, wie grausam sie sich verrechnet haben, wenn die Gestapo zu wüten beginnt und die Juden deportiert werden. Die junge Hanna ist keine Anne Frank (die gab es in Amsterdam, und sie war ein halbes Kind), aber eine tragische Figur, die aus der Universität expediert wird und sich dann verstecken muss. Doppelt tragisch zumal, wenn die flämische Mutter sie anfleht, ihren Sohn, der Hanna liebt, frei zu geben, weil er sonst auch in die Krallen der Nazis gelangen würde…

Luc Perceval klittert viele Einzelszenen, die dramaturgisch nicht in Form eines Theaterstücks zusammen hängen, zu einer szenischen Collage, teils langsam bis pathetisch, teils leidenschaftlich, mit stilisierten Aktionen. Viel Musik und viele Geräusche dienen zur Verstärkung der Stimmung, Nicht zuletzt sind die Informationen, die immer wieder transportiert werden, fesselnd, die darstellerischen Leistungen (wir kennen die Schauspieler nicht) stark.

Dann ist Hitler auf einmal tot, alles vorbei – Skorzeny pascht in Richtung Spanien ab, wo er bei Franco sein Auskommen findet, für die Normalbürger kehrt  wieder der Alltag ein, aber mancher enthusiastische Nazi-Anhänger steht hoch erhobenen Hauptes vor dem Hinrichtungskommando, und hält, wie ja auch viele Deutsche, am irre geleiteten Idealismus fest.

Nur am Ende, als es noch eine Passage gibt, die vom Jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs handelt, ist da einfach alles falsch (es sei erlaubt, darauf hinzuweisen, dass sich die Autoren weder mit den Toren noch den Zeitebenen des Friedhofs auskennen). Man kann annehmen, dass der belgische Teil der Geschichte, der unter die Haut geht, genauer recherchiert ist.

Renate Wagner

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YELLOW – THE SORROWS OF BELGIUM II: REX
von Luk Perceval

Eine Koproduktion von NT Gent, Landestheater Niederösterreich und Le Manège Maubeuge

Inszenierung Luk Perceval
Musik Sam Gysel
Dramaturgie Peter van Kraaij, Steven Heene, Margit Niederhuber
Kamera und Schnitt Daniel Demoustier
Bühnenbild Annette Kurz
Kostüme Ilse Vandenbussche
Licht Mark Van Denesse
Bewegungscoach Ted Stoffer

Mit

Peter Seynaeve,
Chris Thys,
Lien Wildemeersch,
Bert Luppes,
Maria Shulga,
Oscar Van Rompay,
Philip Leonhard Kelz,
Valéry Warnotte

 

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