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St.Margarethen: „CARMEN“. Premiere

12.07.2012 | KRITIKEN, Oper

 

Das Phänomen St. Margarethen

Ohne Zweifel, es ist ein Phänomen, dieses so wenig phänomenale Gesamt“kunstwerk“, das sich seit Jahrzehnten, wie man uns immer wieder versichert, stetiger Beliebtheit erfreut, ein Gemengsel aus provinziellem Event, kulinarischem Marktcharakter, ausgezeichneten WC-Anlagen und herzeigbarer Parkplatzorganisation. Und ja, da wird auch Oper gemacht, angepasst an all die Gegenbenheiten für die Versorgung eines Massenpublikums, welches mit der Darbietung einer quasi singenden Ansichtskarte scheinbar zufrieden zu stellen ist und welches mit der eher dröhnenden Verstärkeranlage, den, Chorgesang mimenden Statisten und einer auf gefällige Arrangements ausgerichteter Regie abgespeist wird. Denn das wichtigste kommt ja als die sehnlichst erwartete Draufgabe: das Feuerwerk. Aber das ist wirklich phänomenal!

Aber ich sollte meinen Bericht der gestrigen Premiere nicht allzu kritisch beginnen und bei jenen verbleiben, die sich um den künstlerischen Erfolg trotz aller Hindernisse bemühten und die während und nach der Vorstellung vom – das muß man auch einmal sagen – ziemlich lethargischen Publikum um einen etwas verdienteren als den gebotenen Applaus gebracht wurden. Da wäre der musikalische Leiter, Alfred Eschwé, dessen Impulse verleihende Interpretation trotz der alles einebnenden Verstärkung nicht zu überhören war und der trotz des tief in den Kulissen verborgenen Klangkörpers, dem sogenannten Festspielorchester, den Kontakt zu den Sängern und dem Chor zu halten instande war. Ja, auch letzterer war verborgen, auf der Bühne agieren nur Statisten, von denen auch einige den Mund bewegen, das sind die Mitglieder des sogenannten Bewegungschors, eine offenbar neue Berufssparte. Dem Herrn Regisseur ist scheinbar noch nicht aufgefallen, dass sich echt singende Menschen auf der Bühne anders bewegen als die gewöhnlichen Mundbeweger, da gebärden sich also die Zigarettenarbeiterinnen im Streit tatsächlich wie Insassinnen eines Mädchenpensionats im Schlafsaal. Und dieses Chorproblem zieht sich durch den gesamten Abend, überhaupt dann, wenn nur eine handvoll Personal auf der Bühne steht, der Chor aber in voller Lautstärke zu hören ist.

Die Männer stechen diesmal die Damen aus: selbst nach Abzug des Lautsprechermalus gibt es da mit Dimitrios Flemotomos als José einen interessanten Tenor mit markant-dramatischem Timbre und guten Höhen auf der Bühne zu hören. Auf eine Wiederbegegnung mit dieser Stimme unter normalen Hörverhältnissen  darf man gespannt sein. Dass er im letzten Bild wieder in voller Uniform, allerdings ohne Rangabzeichen, auftaucht, ist wiederum neu. Da scheint ihn Generalissimus Franco begnadigt zu haben, der am Arenabalkon in unverkennbarer Maske und mit Faschistengruß erscheinen darf. Josef Wagner, der Frauenheld aus der vorjährigen Produktion des „Giovanni“ auf der Ruffini-Bühne ist sich auch heuer der Gunst der Damenwelt sicher, bringt er doch als Escamillo  gute Erscheinung und einen voll klingenden Bariton in die burgenländische Opernarena mit. Auch Christian Sturm und Martin Achrainer haben sich für die Schmugglerszenen als Remendado und Dancairo gut eingesungen, während Aurora Perry und Florecia Machado als Mercedes und Frasquita ihrem Gesang und der Darstellung noch zu viel Outrage beimischen. Und wenn man einen so gut geführten lyrischen Sopran, wie ihn als Micaela Evelin Nowak zeigt, vorweist,kann in dieser Rolle nicht viel schiefgehen.

Tiziana Carraro ist in ihrer Rolle als bekannteste Verführerin der Operngeschichte nicht zu beneiden. Am wenigsten noch wegen der blonden Frisur, aber da ist ihr Kostüm im ersten Akt total danebengegangen, weder sexy noch erotisch, eher Hausfrau. Da müßte schon eine Schauspielerin anderen Kalibers diese Hindernisse überspielen. Nicht einmal ein kleiner Vamp kam da gegangen, offensichtlich unberührt von jeglichen regielichen Ambitionen. Erst im Schlussbild, nachdem sie vorher im dritten Akt eine eher frustrierte Terroristin mimen muss, erscheint sie glaubhaft als eine, die mit dem Leben abgeschlossen hat. Da das Stück in die Dreißiger des letzten Jahrhunderts verlegt wurde, Picassos „Guernica“ lässt als Grossprojektion grüßen, wären Strumpfnähte angesagt gewesen. Susanne Özpinar sollte man darüber aufklären. Kurz, Frau Carraro tritt hier mit markanter, zu Schrille neigender und vibratoreicher Stimme eigentlich im falschen Fach auf, wäre also in veristischen Stücken eher ein Gewinn als in dieser  angeblich männerbetörenden Rolle.

Das wohl größte Atout der Opernfestspiele ist – wie immer, kann man sagen – Manfred Waba. Sein sehenswertes Bühnenbild, raffiniert bewegt, ist Marktplatz, Schenke, Felsenlandschaft und Arena, die letztere wird im Vorspiel zum vierten Akt mit einer sehenswerten Lichtschau überflutet, ein echter Hingucker!

Dass die letzte Oper Bizets in der Fassung mit den französich gesprochenen Zwischentexten aufgeführt wird, scheint eine besondere Verneigung vor dem Publikum zu sein, haben wir doch alle schon diese Sprache mit der Muttermilch eingesogen. Die Zuschauer zeigten sich dafür mit besonderer Unaufmerksamkeit erkenntlich. Das und auf den ersten Auftritt Micaelas, den Auftritt des Kinderchores und dem Wachwechsel zu verzichten, gehört zu den Undurchschaubarkeiten der Veranstalter.

Vier Minuten Schlußapplaus und das Schlussfeuerwerk beschließen einen regenfreien Abend.

Dem Impressario, Wolfgang Werner, eine gute Besserung, denn eine Lungenembolie zwang ihn ins Spitalsbett, seine Grüße kamen diesmal vom Tonband. Im kommenden Jahr, angeblich sein letztes als Intendant in Margarethen, gibt es Puccinis „Boheme“. Angesichts des Jubeljahres für Wagner und Verdi und einer drohenden Überfütterung mit deren Werken eine gute Wahl.

Peter Skorepa / 12.7.2012

Foto:Opernfestspiele St.Margarethen

 

 

 

 

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