Jacques Offenbach: La Belle Hélène, Theater St. Gallen, Premiere: 07.12.2019
Angela Merkel, Hohepriesterin der Venus
Mit feiner, scharfer Feder ist Regisseur Ansgar Weigner eine grandiose Umsetzung von Offenbachs «La Belle Hélène» gelungen. Weigner gelingt es in der Antikenparodie sowohl den Stoff mit der Gegenwart zu verbinden, ohne dabei jemals plump oder plakativ zu werden, wie auch die Heroen auf menschliches Mass zu reduzieren. König Menelaos kann jeder beliebige Potentat der Gegenwart mit Vorliebe für protzig-kitschiges Gold zu sein. Seine Frau Helena reist, wie das bei Frau von Welt so heute üblich zu sein scheint, mit umfangreichem Gepäck zur Busse nach Kythera. Paris erscheint in seiner Verkleidung als Hohepriesterin der Venus als Angela Merkel auf einem notdürftig aus Bauholz und leeren Plastikflaschen zusammengezimmerten Floss. Selbstverständlich mit Europa-Fahne, einem Jutesack mit gelben Sternen. Weigner erzählt die Geschichte werkgetreu und vor allem auch werkdienlich eng am Libretto: er gibt dem Zuschauer Raum selbst zu assoziieren ohne ihn dabei mit dem erhobenen Zeigefinger in eine bestimmte Richtung zu drängen. Ausnahme ist der Auftritt der Bacchis unter dem Motto «Women for Future», der, was die Thematik angeht, doch arg abgedroschen und ausgelutscht ist. Jürgen Kirner hat Weigner ein Bühnenbild geschaffen, das von einer Welle und einer multifunktionalen Scheibe, die sowohl Deko-Element, wachsames Auge oder auch Bar sein kann, dominiert wird. Farbenfroh und zu den Figuren hervorragend passend sind die Kostüme von Kristopher Kempf. Ganz wesentlich zum positiven Eindruck des Abends trägt die raffinierte Beleuchtung von Andreas Enzler bei. Für die Choreografie zuständig ist Sabine Arthold.
Bild: Andreas J. Etter
Es ist ohne weiteres verständlich, dass aus theaterpraktischen Gründen eine Mischfassung, französisch mit deutschen Dialogen, gespielt wird. Dass es keine Angaben gibt, von wem die Dialoge stammen und wer sie bearbeitet hat, ist als klares Versäumnis der Dramaturgie zu werten.
Einen perfekten Offenbach spielt das in korrekterweise kleiner Besetzung angetretene Sinfonieorchester St. Gallen unter Nicolas André. Der Klang ist duftig leicht, wenn gefordert aber durchaus auch zugriffig. Exponierte Instrumente sind bestens vernehmbar.
Bild: Andreas J. Etter
Marie-Claude Chappuis feiert als Helena einen grossen Erfolg. Mit runder, voller Stimme gestaltet sie die Gesangspartie und überzeugt in den Sprechpassagen mit bester Textverständlichkeit. Der deutschbrasilianische Tenor Gustavo Quaresma ist mit seinem Tenore di grazia als Paris nahezu eine Idealbesetzung. Er wird als Surfer gezeigt und absolviert seinen ersten Auftritt auf dem Brett aus der Welle hinaus. Riccardo Botta gibt einen überzeugenden Menelaos und überzeugt nicht nur mit seinem Tenor sondern auch mit seinen tänzerischen Fähigkeiten. Jennifer Panara, optisch eine Schwester von Conchita Wurst, trifft den Orest mit ihrem jugendlich-arroganten Auftreten ganz genau. Zu dem nennt sie einen wunderschönen, hellen Mezzo ihr Eigen. David Maze singt einen herrlich blasierten Kalchas und Shea Owens verkörpert Agamemnon. Das Ensemble ergänzen Nik Kevin Koch als Achilles, Eva Zalenga als Leaena, Tatjana Schneider als Parthenis, Anton Leiss-Huber als Ajax Eins, Bruno Riedl als Ajax zwei und Pascale Pfeuti als Bacchis.
Das Theater St.Gallen schafft Offenbach! Und wie!!!
Weitere Aufführungen:
Dienstag 19:30-22:00, 10. Dezember 2019, Grosses Haus
Freitag 19:30-22:00, 27. Dezember 2019, Grosses Haus
Dienstag 19:00-21:30, 31. Dezember 2019, Grosses Haus
Sonntag 14:00-16:30, 5. Januar 2020, Grosses Haus
Sonntag 19:00-21:30, 12. Januar 2020, Grosses Haus
Samstag 19:00-21:30, 18. Januar 2020, Grosses Haus
Dienstag 19:30-22:00, 28. Januar 2020, Grosses Haus
Donnerstag 19:30-22:00, 30. Januar 2020, Grosses Haus
Donnerstag 19:30-22:00, 6. Februar 2020, Grosses Haus
Sonntag 17:00-19:30, 9. Februar 2020, Grosses Haus
Sonntag 14:00-16:30, 16. Februar 2020, Grosses Haus
Montag 19:30-22:00, 24. Februar 2020, Grosses Haus
Mittwoch 19:30-22:00, 26. Februar 2020, Grosses Haus
Mittwoch 19:30-22:00, 4. März 2020, Grosses Haus
Sonntag 19:00-21:30, 15. März 2020, Grosses Haus
Freitag 19:30-22:00, 22. Mai 2020, Grosses Haus
07.12.2019, Jan Krobot/Zürich