Bach Consort Wien. Copyright: Julia Wesely
STIFTSBASILIKA ST. FLORIAN: Gedenkkonzert zu Anton Bruckners Todestag als ABSCHLUSS DES INTERNATIONALEN BRUCKNERFESTES LINZ 2018
11.10. 2018 – Karl Masek
Mozart-Sakralwerke als Bruckner-Bezug? Das ist auf den zweiten Blick vollkommen plausibel.
Mozarts Messe, c-Moll, KV 427 (417a) hat Anton Bruckner wahrscheinlich schon als 11- oder 12-Jähriger in Hörsching kennen gelernt. Lebte doch dort damals sein Cousin und Firmpate Johann Baptist Weiß, ein damals regional sehr geschätzter Musiker. So hieß es in einer Bruckner-Biografie: „Beim ersten Erntefeste, das der Junge in Hörsching verbrachte, wurde Mozarts Große Fugen-Messe (1782/83 entstanden, aber unvollendet geblieben) aufgeführt.“ Mozarts Requiem, d-Moll, KV 626 wiederum war für Bruckner ein zentrales Werk und wichtiges Vorbild für die eigenen Sakralkompositionen. Enge Beziehung Bruckners zum Requiem bestand auch durch häufiges Hören, mehrmalige Mitwirkung als Organist und durch gründliche eigene Werkanalyse.
Die Fachwelt bezeichnet die c-Moll-Messe und das Opus summum Mozarts als seine bedeutendsten Sakralwerke. Nach diesem Abend in der Stiftsbasilika St. Florian kann man nur vollinhaltlich beipflichten.
Das Bach Consort Wien, der Salzburger Bachchor und die Starbesetzung mit den Sopranistinnen Yeree Suh und Sophie Karthäuser, dem Mezzosopran Anna Bonitatibus, dem Tenor Martin Mitterrutzner und dem Bassisten Luca Pisaroni sorgten für ein Musikereignis der besonderen Art.
Spannend die Entstehungsgeschichte der monumentalen c-Moll-Messe (sozusagen Mozarts „Missa Solemnis“) und die Vermutungen, warum das fast einstündige Werk unvollendet blieb. Es ist eine Kantatenmesse mit Wechsel von gewaltigen, monumentalen Chorpassagen voll ausufernder Polyphonie und bisher un-erhörten Klangexperimenten mit innigen, aber auch bravourösen Ensemble-Abschnitten und teilweise arienhaften Soli. Mozart sprengte in jedem Fall den Rahmen aller seiner bisherigen Messkompositionen durch die Auseinandersetzung mit Bachs Polyphonie sowie dem monumentalen Stil der Oratorien Händels. Warum die Messe ein Torso blieb, ist ungeklärt. Vielleicht, weil man meinte, dass eine „vollständige Vertonung des Messtextes in den begonnenen Dimensionen eine Aufführung innerhalb eines Gottesdienstes unmöglich habe erscheinen lassen“, vielleicht aber auch die Abwendung Mozarts vom dogmatischen Katholizismus und Hinwendung zum Freimaurertum im Jahr 1784.
Wie auch immer: Die stilistische Vielfalt des Werkes, seine gewaltigen Dimensionen, atemberaubenden Modulationen und Wendungen (z.B. von g-Moll nach Es-Dur im „Qui tollis“), die besonderen technischen und klanglichen Herausforderungen für Solisten, Chor und Orchester: das reizt einen Erzmusiker wie Rubén Dubrovsky. Mit der ihm eigenen Impulsivität und seinem enormen Gestaltungswillen durchmisst er die Messteile, spielt gekonnt mit der Nachhallakustik in der Basilika, erreicht mirakulöse Klangwirkungen, lässt die Chromatik, die dissonanten Reibungen und monumentalen Steigerungen zu ihrem Recht kommen., gebietet souverän über die komplizierten polyphonen Verästelungen.
Der Bachchor Salzburg (gegründet 1993 und seit 2003 mit gewohnt perfekter Einstudierungsarbeit durch den großen Könner unter den Chorleitern, Alois Glaßner) bestätigt das große internationale Renommee bestechend mit einem Ensembleklang, wie er homogener, klangschöner und kraftvoller kaum sein kann. Mit stratosphärischen Schwebetönen und unfehlbarer Intonation die Soprane, kraftvoll die Tenöre, perfekt grundierend Alt und Bass.
Yeree Suh. Copyright: Marco Borggreve
Yeree Suh als Sopran 1 mit glockiger Engelsstimme zum Niederknien bei der bewegenden „Et incarnatus est“-Arie (kongenial die Holzbläser-Begleitung) mit himmlischen Längen, die man mehr als vierzig Jahre später Schubert zugeordnet hat.
Sophie Karthäuser als Sopran 2 mit noblem Legato, klar fokussierter Stimme und souveränen Intervallsprüngen im „Laudamus Te“,ist sie die Lyrische und verschmilzt mit ihrer Kollegin in den Duetten aufs Beste.
Das „Sanctus“ hat freudiges Brio, das“Benedictus“ ist von perfekter Homogenität (hier beweisen auch der Tenor Martin Mitterrutzner und der Bass Luca Pisaroni große Klasse).
Dann das bekanntlich ebenfalls von Mozart unvollendet gebliebene Requiem. In einem Skizzenblatt hat Mozart offensichtlich eine vierstimmige Exposition einer „Amen“-Fuge notiert. Es sind 16 Takte, diese erklangen ganz am Ende des Mozart-Fragments, also nach dem „Hostias“, wobei im letzten Takt der Vokal „A“ gleichsam in der Luft hängen bleibt, und das Amen „gefriert dem Chor gleichsam auf den Lippen“. Mit diesem „A…“ endet das Konzert – und man wagt lange nicht zu atmen, bis der Applaus sich langsam, wie aus dem Nichts kommend, mit immer mehr Händen Bahn bricht.
Auch davor ereignet sich Epochales vom „Requiem aeternam“ bis zur Sequenz III – Eine künstlerische Einheit bei den Mozart-Teilen (ohne Süßmayer-Fortsetzung), das „Lacrimosa“ bricht mittendrin ab.
Martin Mitterrutzner. Copyright: Emanuel Altenburger
Das Orchester spielt mit edler Tongebung, samtdunklem Sound, Akzente werden ohne klangliche Schroffheit gesetzt. Der Chor gestaltet auch hier mit allen Gefühlsschattierungen, dem tiefen Ernst, der diesem Werk innewohnt („Dies irae“, „Rex tremendae…“). Luca Pisaroni mit dunklem „Tuba mirum“ – grandios das Posaunen-Solo! Auf einer Wellenlänge Sophie Karthäuser (intensiv ihr „Kyrie“) Anna Bonitatibus (pastos ihr stilkundiger Mezzosopran) und Martin Mitterrutzner (souverän mit edlem, lyrischem Timbre „Liber scriptus proferetur“)
Nochmals: Ein Musikereignis der besonderen Art – ein würdiger Abschluss des heurigen Bruckner-Festivals!
Karl Masek