Sommer-Festivals in Finnland 2018 – 2. Teil
„Pikovaya Dama“ (Savonlinna, 10.7.)
Außer Reprisen von „Otello“, „Faust“ und „Madama Butterfly“ und dem Gastspiel des Puccini-Festivals von Torre del Lago mit „Tosca“ und „Turandot“ gab es bei den diesjährigen Opernfestspielen von Savonlinna, zum vorletzten Mal unter der Leitung Jorma Silvastis, nur eine einzige Neuproduktion, Tchaikovskys „Pique Dame“, ein Werk, das zur Zeit Hochkunjunktur zu haben scheint. Mit zwei Ausnahmen (Gräfin, Yeletsky) waren die Hauptrollen in allen sechs Aufführungen doppelt besetzt. Ich besuchte die zweite Vorstellung am 10. Juli.
Der Dirigent ALEXANDER VEDERNIKOV war der Garant dafür, dass der orchestrale Teil authentisch umgesetzt wurde, die ganze Bandbreite der Musik von lyrischen Feinheiten bis hin zu aufpeitschenden Höhepunkten auskostend, bestens unterstützt vom hervorragenden Orchester und einem Chor (Einstudierung: MATTI HYÖKKI), der wie immer von einem umwerfenden Klangvolumen war. Es machte den Rang dieser Aufführung aus, dass für die Hauptcharaktere dieser Oper Sänger aus Russland, der Ukraine und Bulgarien gefunden worden waren, die mit der Sprache und der Musik bestens vertraut sind. Im Mittelpunkt standen ELENA ZAREMBA (Gräfin) und MISHA DIDYK (Herman).
Elena Zaremba als Gräfin (Foto: Savonlinna Opera Festival)
Diese Gräfin war keine Künstlerin am Ende einer langen Karriere mit Stimmresten und einer Vorliebe für Sprechgesang, sondern eine älter gewordene, aber immer noch attraktive Frau, als Sängerin „im besten Saft“ stehend mit einer alle Facetten ihrer Partie auskostenden Stimme. Misha Didyk, der seine Karriere als lyrischer Tenor begonnen hatte (ich hörte ihn 1998 in Helsinki in „Anna Bolena“), hat sich die Geschmeidigkeit seiner Anfänge bewahrt, sich aber inzwischen zu einem dramatischen Zwischenfachtenor entwickelt, so dass deutlich wurde, warum er heute zum „Herman vom Dienst“ geworden zu sein scheint. Wie Zaremba überaus überzeugend als Darsteller, warf er sich mit Verve in die mit viel Strahlkraft und Effekt produzierten Spitzentöne, von denen es nicht wenige gibt, ohne die lyrische Komponente seiner Partie zu vernachlässigen.
Elena Guseva als Lisa (Foto: Savonlinna Opera Festival)
Dritte im Bunde der Hauptpartien war die junge ELENA GUSEVA, die mir vor vier Jahren beim Mirjam-Helin-Wettbewerb in Helsinki aufgefallen war (Jury-Vorsitzender war damals der Künstlerische Leiter Savonlinnas, Jorma Silvasti). Eine sehr individuell timbrierte Stimme von fast nordischer Klarheit, dazu von großer Ausdruckskraft, machte Guseva deutlich, weshalb sie ihre Karriere bisher bis an die Wiener Staatsoper geführt hat (Polina in Prokofievs „Der Spieler“. KONSTANTIN SHUSHAKOV war ein Yeletsky mit der nötigen lyrischen Noblesse, während Tomsky richtig mit dem voluminöseren KIRIL MANOLOV besetzt war, der lediglich Schwierigkeiten hatte, sich auf die lyrischeren Passagen seiner Rolle (Pluto) einzustellen.
Obwohl Savonlinna (anders als die Finnische Nationaloper) ein internationales Festival ist, in dem die Partien eigentlich nach Klasse und nicht nach Nationalität besetzt werden sollten, hatte man für die kleineren Rollen – wie bei Jorma Silvasti üblich – Sänger aus Finnland (bzw. aus Estland) gefunden, die, wenn sie so gut sind wie MELIS JAATINEN (Polina & Daphnis) und der mit einem voluminösen „schwarzen“ Bass gesegnete KOIT SOASEPP (Surin), nicht nur als „Quotenfinnen“ abqualifiziert werden sollten.
Für die Regie hatte man mit JERE ERKKILÄ einen ehemaligen Tänzer und Sänger gewonnen, der auch als Regisseur (1989 Paavo Heininens „The Knife“) und Revival-Regisseur mit den speziellen Erfordernissen der Burg Olavinlinna bestens vertraut ist. Im Verbund mit dem für Bühne und Kostüme verantwortlichen JANI ULJAS (nicht zu vergessen den Lightdesigner WILLIAM ILES) gelang ihm eine eindrucksvolle und im besten Sinn „traditionelle“ Umsetzung von Tchaikovskys Meisterwerk, wobei das Stück nicht durch „eigene Ideen“ überdeckt wurde, sieht man einmal durch das aber Sinn machende Hinzufügen einer neuen Figur ab, dem Tod. Abgesehen von der Pastorale, bei der der Auftritt von Tänzern immanent ist (jedoch für meinen Geschmack zu sehr à la commedia del’arte ausgefallen), störte mich, dass auch in weiteren Szenen (zu aufdringlich) Tänzer zum Einsatz kamen, bei einem ehemaligen Tänzer als Regisseur vielleicht verständlich, aber unnötig. Der Schluss, bei dem Herman wieder aufsteht, nachdem er sich zuvor erschossen hatte, und mit Lisa einer harmonischen Zukunft entgegengeht (?), hatte zumindest für mich zu viel Ähnlichkeit mit Kitsch, änderte aber nichts am großartigen Eindrucks eines durch verspäteten Beginn (in Savonlinna früher undenkbar) recht langen Abends.
Festival „Urkuyö & Aaria“ (Espoo, 12.7.2018)
In Espoo, Finnlands zweigrößter Stadt in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt, leitet ERKKI KORHONEN, ehemaliger Intendant der Finnischen Nationaloper, ein kleines, aber feines Festival. Im eindrucksvollen Dom von Espoo aus dem 15. Jahrhundert hatte man Gelegenheit, nur wenige Tage nach ihrem Recital bei Valery Gergievs Mikkeli Musik-Festival ein weiteres Mal die hier als „Mariinskys Neuer Star“ angekündigte Sopranistin PELAGEYA KURENNAYA mit ihrer kongenialen Klavierpartnerin MARITA VIITASALO zu hören.
Marita Viitasalo, Erkki Korhonen und Pelageya Kurennaya. Foto: Archiv Sune Manninen
300 Zuhörer (ausverkaufter Dom) waren gekommen, um sich davon zu überzeugen, ob dieses Attribut „Star“ auf die junge Sängerin zutrifft, das sich wirksam zu Promotionszwecken eignet, aber selten etwas über die tatsächliche Qualität aussagt. Nun, jemanden, der am Mariinsky außer bei Werken des Komponisten Rodion Shchedrin lediglich in kleineren Rollen eingesetzt wird, sollte man nicht als „Star“ bezeichnen, aber auf Kurennaya trifft hoffentlich zu, was der finnische Dirigent Hannu Lintu nach ihrem Debüt in St. Louis sagte: „Pelageya hat eine große Karriere vor sich.“ Perfekt am Flügel von Marita Viitasalo unterstützt, bewies die junge Künstlerin in einem außerordentlich weit gespannten Repertoire, wozu sie fähig ist: Beginnend mit Mozart-Liedern (in bemerkenswert gutem Deutsch!) über Romanzen von Tchaikovsky und Rachmaninov, bei denen sie naturgemäß zu Hause ist, zeigte sie im Arienteil des gut einstündigen Recitals die ganze Spannbreite ihrer Fähigkeiten. Auf Arien aus „Gianni Schicchi“, der „Zarenbraut“ und „Louise“ folgte die erste Lucia-Arie aus „Lucia di Lammermoor“. Natürlich ist Pelageya Kurennaya kein genuiner Koloratursopran, sondern eine Lyrische mit Koloratur, und ein Vergleich mit solchen Spezialistinnen wie Edita Gruberova müsste zu ihren Ungunsten ausfallen, aber es war eine wahre Freude, diese Arie einmal von einem vollstimmigen lyrischen Sopran zu hören, der keine Furcht vor den Verzierungen bzw. den Spitzentönen haben musste.
Auf den offiziellen Teil folgten zwei Zugaben: Oskar Merikantos Wiegenlied „Pai, pai, paitaressu“, wie bei Mozart konnte Kurennaya hier, finnisch gesungen, unter Beweis stellen, welch großes Sprachtalent sie ist, und mit Rusalkas Lied an den Mond überzeugte sie die begeistert applaudierenden Zuhörer völlig von ihren Qualitäten als lyrischer Sopran von großer Ausdrucksstärke. Wer weiß, vielleicht kommt ja jemand vom Mariinsky auf die Idee, sie in dieser Rolle anzusetzen, denn dieses Stück befindet sich im Repertoire dieses Theaters.
Sune Manninen