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SOFIA/ Nationaloper: TOSCA. Radostina Nikolaeva feiert 25 Jahre Bühnenkarriere – eine eindringliche „Tosca“ in Sofia

Radostina Nikolaeva feiert 25 Jahre Bühnenkarriere – eine eindringliche „Tosca“ in Sofia

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Radostina Nikolaeva, Kostadin Andreev. Copyright by Sofia Opera and Ballett

Am 4. Mai 2025 wurde die Nationaloper Sofia zum Schauplatz großer Opernkunst. Radostina Nikolaeva, seit 25 Jahren eine zentrale Figur der bulgarischen Musikszene, feierte ihr Bühnenjubiläum mit einer Aufführung von Giacomo Puccinis „Tosca“ – eine Darbietung, die weit über eine Gala hinausging. Was sich dem Publikum bot, war eine künstlerisch dichte, stilistisch klare und psychologisch raffinierte Inszenierung, getragen von einer Ausnahmesängerin auf dem Höhepunkt ihres Könnens.

Radostina Nikolaeva, ausgebildet an der Nationalen Musikakademie „Pantcho Vladigerov“ in Sofia, fiel früh durch ihre vokale Brillanz auf. Ihr Repertoire umfasst nicht nur die großen Partien Verdis und Puccinis, sondern auch das deutsche Fach – ein in Bulgarien seltener Werdegang. Besonders in Rollen wie Brünnhilde (Siegfried) und Isolde (Tristan und Isolde) zeigt sich ihre beeindruckende Bandbreite: eine Stimme von dramatischer Kraft und leuchtender Klangschönheit, verbunden mit musikalischer Intelligenz und gestalterischer Fantasie. Sie setzt in beiden Repertoires Maßstäbe.

Die Jubiläumsproduktion verzichtete bewusst auf äußerlichen Prunk. Regisseur Plamen Kartaloff entschied sich für ein konzentriertes Kammerspiel, das dem inneren Drama von Tosca Raum gab. Die Bühne von Miodrag Tabachni und das Lichtdesign von Arsen Petkov schufen symbolisch aufgeladene Räume: In Sant’Andrea della Valle dominierte ein schwebendes Kreuz mit ikonografischen Gemälden. Ein dunkles Bodenmosaik in Kreuzform und gezielte Lichtkegel erzeugten eine Atmosphäre zwischen Sakralität und Bedrohung. Die Personenführung war stringent aus der Musik heraus entwickelt. Scarpias erster Auftritt – zentral, mit markanter Körpersprache – vermittelte sofortige Macht und latente Gewalt. Besonders gelungen: die feine Herausarbeitung seiner inneren Unsicherheit im Zusammenspiel mit Tosca.

Radostina Nikolaeva betrat die Bühne in einem schwarzen Kleid und einem weiten weißen Mantel – ein starkes Bild zwischen Reinheit und Vorahnung. Ihre Erscheinung erinnerte an die Stummfilm-Diven des alten Hollywood, etwa eine Gloria Swanson: stilisiert, kraftvoll und zugleich verletzlich. Vom ersten Moment an fesselte sie das Publikum nicht durch Effekthascherei, sondern durch eine Ruhe, die Stärke ausstrahlte.

Gesanglich war Nikolaeva in Topform. Ihr Sopran klang satt und cremig, dabei stets durchlässig für feinste Schattierungen. Sie spannte mühelos große Bögen, ohne die Zwischentöne zu vernachlässigen. Ihre Technik ermöglichte dynamische Flexibilität – vom schwebenden Pianissimo bis zum leidenschaftlichen Ausbruch – stets getragen von innerer Wahrhaftigkeit.

Kostadin Andreev als Cavaradossi überzeugte an ihrer Seite mit expressiver Emotionalität und einem Tenor von großer Strahlkraft und Wärme. In der Höhe sang er gelegentlich mit zu viel Druck, was Intonationsunschärfen und Vibratoprobleme verursachte. Diese technischen Mängel traten jedoch hinter seinem intensiven Spiel zurück. Sein Cavaradossi war kein makelloser Held, sondern ein Künstler, der mit ganzer Seele für seine Überzeugungen einsteht. Regisseur Kartaloff sorgte dabei für szenische Überraschungen: Nach dem triumphierenden „Vittoria“ attackiert Cavaradossi Scarpia körperlich – eine Szene von explosiver Wucht. Die folgende Prügelszene durch Spoletta verstärkte das Gefühl brutaler Willkür.

Kartaloff reduzierte Scarpias Arbeitszimmer im Palazzo Farnese auf kühle Geometrien. Karge Farben und sparsame Requisiten erzeugten eine Atmosphäre eiskalter Macht. Tosca erschien nun in Dunkelrot – ein subtiles Zeichen ihrer inneren Transformation. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen ihr und Scarpia glich einem Thriller, präzise aufgebaut. Nikolaeva gestaltete den zweiten Akt mit souveräner vokaler Fülle. Ihre hohen Cs waren spektakulär sicher, ihr „Vissi d’arte“ geriet zum emotionalen Höhepunkt: feingesponnene Phrasierung, schwebende Linien, eine intime Intensität, die tief berührte.

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Radostina Nikolaeva, Ventseslav Anastov. Copyright by Sofia Opera and Ballett

Ventseslav Anastasov überzeugte als Scarpia mit seiner klangvollen, souverän geführten Baritonstimme auf internationalem Niveau. Sein Timbre war dunkel und edel, seine Bühnenpräsenz dominierend. Besonders stark: die differenzierte Darstellung des Spannungsfeldes zwischen höfischer Contenance und innerer Verderbtheit. Anastasov verzichtete auf plakative Effekte und entschied sich für psychologische Genauigkeit. Im zweiten Akt zeigte er die Doppelgesichtigkeit Scarpias eindrucksvoll: hier der kultivierte Genießer, dort der sadistische Machtmensch. Nachdem Cavaradossi abgeführt wurde, entblößt sich Scarpia und signalisiert Tosca unmissverständlich seine Absichten. Der Mord geschieht ohne Pathos, aber mit erschütterndem Realismus – die Wunde blutete drastisch echt. Einzige Einschränkung: Seine Sprachgestaltung blieb recht eindimensional – mehr schön gesungener Verdi als expressiver Puccini. Doch auch das ist ein zulässiger Interpreationsansatz, wenngleich zuviel Schöngesang Scarpia eine vokale Harmlosigkeit verleiht, die Puccini nicht intendiert hatte.

Petar Buchkovs Sacristano überzeugte mit markanter Charakterisierung, lebhafter Mimik und einem resonanten Bass, der dem ersten Akt zusätzlich Vitalität verlieh. Angel Hristov gab dem Angelotti stimmliches narkantes Profil. Nikolay Pavlovs Spoletta bestach durch schneidende Präzision und szenische Präsenz. Auch kleinere Rollen wie Sciarrone oder der Schließer (Alexander Georgiev, Angel Hristov) sowie Joana Kuleva mit frischem Sopran als Hirte waren auffallend gut besetzt – ein durchgängig starkes Ensemble.

Im dritten Akt verlagerte sich die Szene in die Engelsburg – die Atmosphäre kippte ins Surreale. Das einst helle Kreuz war nun düster verfärbt, die Gemälde verdunkelten sich zu gespenstischen Schatten. Nikolaeva kehrte im Schwarz-Weiß-Kostüm zurück – eine Reflexion ihres ersten Auftritts, nun gezeichnet von Erschöpfung und Verzweiflung. Andreevs „E lucevan le stelle“ überzeugte im lyrischen Fluss erlebter Trauer, trotz erneutem Hochtondruck. Emotional war es ein stimmiger, glaubwürdiger Abschied vom Leben. Toscas Sturz ins Nichts wurde nicht physisch gezeigt, sondern als poetischer Moment der Auflösung in Licht und Schatten inszeniert, ein rotes Seidentuch fiel vom Bühnenhimmel zu Boden – ein berührender Schlusspunkt.

Der Chor der Nationaloper Sofia (Einstudierung: Violeta Dimitrova) agierte homogen und ausdrucksstark, besonders in den sakralen Momenten. Unter Francesco Rosa spielte das Orchester fein differenziert und klanglich ausgewogen. Rosa hielt die Balance zwischen Dringlichkeit und lyrischer Entfaltung, ließ Spannungsbögen atmen und bewahrte stets die innere Energie der Musik. Allein es fehlte seinem Dirigat Leidenschaft und Dringlichkeit.

Am Ende: lang anhaltender Jubel für die Mitwirkenden und viele Ehrungen auf der Bühne für die Jubilarin. Von Generaldirektor Plamen Kartaloff erhielt Radostina Nikolaeva die Ehrenmedaille des Opernhauses und von Stanislav Pochekanski (Vorsitzender der Musiker und Tänzer) erhielt sie die höchste künstlerische Auszeichnung, die „goldene Lira“. Die Sängerin zeigte sich tief bewegt und bedankte sich bei ihrem treuen Publikum mit einer kurzen Rede.

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Die Engelsburg: Copyright by Sofia Opera and Ballett

Diese „Tosca“ war kein Fest für äußere Effekte, sondern ein Abend der künstlerischen Integrität. Radostina Nikolaeva bewies, dass eine große Karriere durch Ausdruckskraft, musikalische Wahrheit, innere Bescheidenheit und künstlerische Reife lebt – nicht durch Glanz allein. Ein Opernabend, der die existenzielle Kraft dieser Kunstform eindrucksvoll spürbar machte.

Dirk Schauß, 06. Mai 2025

Giacomo Puccini an der Nationaloper Sofia am 04. Mai 2025

 

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