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SOFIA/ Alexander-Newski-Kathedrale: DER EINSIEDLER VON RILA von Kiril Popov nach Tihomir Pavlov. Spirituelles Drama und große Bühnenkunst in Sofia

„Der Einsiedler von Rila“ – Spirituelles Drama und große Bühnenkunst in Sofia

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Fotos: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Bulgarien, das kulturell reiche Land auf der Balkanhalbinsel, offenbart sich als ein faszinierendes Opernland. Plamen Kartaloff, der visionäre Regisseur, und sein hingebungsvolles Ensemble erschaffen mit bescheidenen Mitteln wahre Bühnenwunder. Nahezu 200 Inszenierungen zeugen von seiner unermüdlichen Schaffenskraft und der intensiven Wirkung seiner Produktionen. Nach dem durchschlagenden Erfolg des Richard Wagner Festivals folgte nun eine weitere bemerkenswerte Inszenierung, die besonders das bulgarische Publikum berührte, ebenso wie auch internationale Besucher.

Vor der imposanten Kulisse der Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia fand am 26. Juli 2024 die Premiere des musikalischen Gedichts „Der Einsiedler von Rila“ statt. Dieses Werk, das halb Oper, halb Oratorium ist, wurde von Tihomir Pavlov textlich gestaltet und von Kiril Popov musikalisch vertont. Anlässlich des 100. Jahrestags der Weihe der Kathedrale präsentiert die Sofia Opera dieses eindrucksvolle Stück, das tief in der bulgarischen Geschichte und Spiritualität verwurzelt ist.

Die Glocken der Kathedrale läuteten feierlich den Abend ein. Regisseur Plamen Kartaloff ließ damit eine bedeutende Tradition der Oper auf dem Platz wieder aufleben, die in den 90er Jahren an symbolträchtigen Orten in Sofia ins Leben gerufen wurde. Die Aufführungen des „Rila-Einsiedlers“ sind nicht nur dem 100. Jahrestag der Weihe der Kathedrale gewidmet, sondern erhielten auch den persönlichen Segen des neu gewählten Patriarchen Daniil, was die spirituelle Bedeutung der Inszenierung unterstrich und die Feierlichkeit durch dessen Anwesenheit betonte.

„Der Einsiedler von Rila“ ist ein musikalisches Gedicht, das die Lebensgeschichte des Heiligen Johannes, eines bedeutenden bulgarischen Heiligen, erzählt. Die Inszenierung umfasst zwei Akte und zehn Szenen und zeichnet sich durch eine Mischung aus opernhaften und oratorischen Elementen aus. Das Werk transportiert den Zuschauer in die bulgarische Vergangenheit und offenbart die tiefen geistlichen, kulturellen Wurzeln des Landes.

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Fotos: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Der Autor Tihomir Pavlov, geboren als Aleksandar Aleksandrov Pavlov am 14. Juni 1880 in Kazanlak, offenbahrte sein schriftstellerisches Talent schon in jungen Jahren. Pavlovs Werk „Der Einsiedler von Rila“ entstand kurz vor seinem Tod im Jahr 1937 und blieb lange in Vergessenheit. Erst 2022 wurde es von Kiril Popov wiederentdeckt und erhielt durch ihn eine musikalische Vertonung. Pavlov war ein engagierter Schriftsteller und Journalist, dessen Schaffen stark von der bulgarischen Geschichte und der nationalen Identität geprägt war. Sein literarisches Erbe umfasst Gedichte, Romane, Kurzgeschichten und historische Studien.

Erzpriester Kiril Popov, geboren am 5. Dezember 1955, ist eine herausragende Persönlichkeit in der bulgarischen Kirchenmusik. Popov ist seit Jahrzehnten als Dirigent und Komponist tätig und hat über 100 Kirchenhymnen und weltliche Lieder komponiert. Mit „Der Einsiedler von Rila“ schuf er ein Werk, das die bulgarische Spiritualität und Geschichte auf eindrucksvolle Weise zum Leben erweckt. Popov wohnte dem Spektakel bei und wurde für sein Werk am Ende intensiv bejubelt. An dieser Stelle muss auch Georgi Strezov erwähnt werden, der eine ausgezeichnete, vielfarbige Instrumentierung verfasste.

„Der Einsiedler von Rila“ spielt in der Zeit des goldenen Zeitalters Bulgariens, als das Land unter der Herrschaft der Könige St. Boris-Michael, Simeon der Große und St. Peter eine Blütezeit erlebte. Die Geschichte beginnt mit dem jungen Johannes, der nach dem Tod seiner Eltern seinen Besitz an Bedürftige verschenkt und sich in die Einsamkeit der bulgarischen Wälder zurückzieht, um ein Leben in völliger Hingabe an Gott zu führen.

Der erste Akt schildert Johannes‘ Eintritt in ein Kloster, seine ersten spirituellen Erfahrungen und die Begegnung mit seinem Bruder, der versucht, ihn zurück in die weltliche Gesellschaft zu holen. Sein kleiner Neffe Lukas sucht ihn auf, um bei ihm zu bleiben. Lukas’ Vater holt den Sohn zurück, der kurz darauf an den Folgen eines Schlangenbisses stirbt. Johannes ist davon sehr getroffen, doch bleibt er standhaft in seiner Entscheidung, sein Leben der Einsamkeit und dem Gebet zu widmen. Der zweite Akt zeigt Johannes‘ tiefes Gebet für das bulgarische Volk und die Begegnung mit König Peter, der seinen Rat sucht. Johannes, der jeglichen weltlichen Besitz ablehnt, betet für das Wohl seines Volkes und prophezeit den Bau eines Tempels an der Stelle, wo sein Neffe Lukas gestorben ist. Das Werk endet mit der Himmelfahrt des Heiligen Johannes und der jahrhundertelangen Verehrung seiner Reliquien im Rila-Kloster.

Die Aufführung fand am Abend vor der beeindruckenden Kulisse der Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia statt. Dieses monumentale Bauwerk bot eine majestätische und spirituell aufgeladene Atmosphäre, die dem Werk angemessen war. Die Sofia Opera hat mit dieser Inszenierung eine neue, tief bewegende Darstellung des bulgarischen Nationalheiligen geschaffen. Die Regie von Plamen Kartaloff war durchdacht und respektvoll gegenüber dem historischen und religiösen Kontext des Werkes. Kartaloff schuf eine Inszenierung, die sowohl die historische Bedeutung des Heiligen Johannes von Rila als auch seine Botschaft eindrucksvoll vermittelte. Die Nutzung des offenen Raumes vor der Alexander-Newski-Kathedrale bot eine großartige visuelle Kulisse. Das Lichtdesign von Emil Dinkov war subtil und wirkungsvoll. Es schuf die verschiedenen Stimmungen von Kontemplation und Dramatik, die das Werk erforderte. Die äußerst wirkungsvollen Multimedia-Projektionen von Vladimir Granchanov ergänzten die Bühnenbilder und brachten die bulgarischen Landschaften und die Lebensreise des Heiligen Johannes visuell zur Geltung. Diese Projektionen waren nicht nur dekorativ, sondern trugen wesentlich zur erzählerischen Dichte der Aufführung bei. Erstmals war es erlaubt, auf die Kathedrale Bildeffekte zu projizieren. Und es waren faszinierende Bildwelten: Ikonen, Waldstimmungen, Blitz und Sturm, die Grablegung, übergroße Kerzen. Eine faszinierende Bilderflut.

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Fotos: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Der Alexander-Newski-Platz bot eine 50-Meter-Bühne, die Plamen Kartaloff die Möglichkeit gab, seinen kreativen Spielraum als Regisseur und Szenograf zu entfalten. Die Dekoration wurde im Filmstudio in Boyana speziell für diese besondere Einstudierung angefertigt. Das Bühnenbild, gestaltet von Nela Stoyanova, war mit zwei gewaltigen Felsmassiven eindrucksstark und brachte den Entwicklungsweg des Einsiedlers eindrucksvoll zur Geltung. Die Kostüme, entworfen von Marta Mironska, waren detailreich und historisch akkurat. Die Roben und Mönchskutten spiegelten die Kleidung des 9. und 10. Jahrhunderts wider und trugen zur Glaubwürdigkeit der Darstellung bei. Besonders hervorzuheben sind die prachtvollen Gewänder von König Peter, die seine königliche Würde und die Ernsthaftigkeit seiner Bitte um den Segen des Einsiedlers betonten.Auf der Bühne vor der Kathedrale wurde auch ein echter Schimmel geritten von der Figur des Königs Peter, mit weiteren vier Reitern als Begleiter.

Die Besetzung der Solisten war hochkarätig und trug wesentlich zum Erfolg der Aufführung bei: Irinei Konstantinov als der ältere Johannes von Rila war bewegend und glaubhaft. Er brachte die Weisheit und den Frieden, den der Einsiedler ausstrahlte, eindrucksvoll zum Ausdruck. Seine Sprechrolle stand in harmonischem Dialog mit den gesungenen Parts, was die Interaktionen auf der Bühne lebendig machte. Atanas Mladenov, ein kultivierter Bariton mit viel Charisma, verlieh dem jungen Einsiedler eine kraftvolle Stimme und überzeugte durch seine intensive Darstellung der inneren Kämpfe und spirituellen Entwicklung des Heiligen.  Vesselin Mihaylov als der Bruder des Heiligen brachte die Zerrissenheit und die Verzweiflung um seinen Bruder in seiner Rolle hervorragend zur Geltung. Seine kraftvolle Stimme gab dem aufbrausenden Charakter klingende Gestalt. Besonderes Lob und ebensolchen Anklang beim Publikum verdiente der junge Ivan Radev als sein Sohn Lukas. Mit reinem Knabensopran und viel darstellerischem Engagement ging sein kurzer Lebensweg besonders zu Herzen. Mit seiner majestätischen Bassstimme gab Angel Hristov einen beeindruckenden König Peter, der in seinem Dialog mit Johannes die menschliche Seite des Herrschers offenlegte. Nikolay Petrov als Vater Auxentius mit tiefer, warmer Stimme agierte mit viel Präsenz auf der Bühne. Ein würdiger geistlicher Führer, der dem jungen Johannes seinen Weg weist. Der verdiente Bass Dimitar Stanchev war eindrucksvoll als Stimme Gottes zu erleben. Stefan Vladimirov gefiel mit viel Anteilnahme und weicher Bassgrundierung als Stimme aus dem Volk. Die vielen Sänger und Sängerinnen der kleineren Rollen überzeugten mit ihrer hohen Identifikation und stimmlichem Engagement.

Der Chor der Sofia Opera, geleitet von Violeta Dimitrova, und das Orchester, dirigiert von Metropolitan Kyprian von Stara Zagora schufen eine musikalische Basis, die die emotionale Tiefe des Werks unterstützte. Die musikalische Interpretation der Partitur war beeindruckend und bewegend. Chorleiterin Violeta Dimitrova und der Leiter der Kindergesangs- und Theaterformation Dimitar Kostanzaliev sorgten dafür, dass auch die Chöre und Kinderstimmen perfekt in die Gesamtinszenierung integriert waren. Das Orchester interpretierte die Kompositionen von Kiril Popov mit großer Sensibilität und Dynamik. Die Tonsprache ist eher kontemplativ, mit vielen Streicherpassagen in orthodoxer Stilistik. In den großen Chorszenen, insbesondere im Finale, steigert sich die Musik zu großer Apotheose.

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Fotos: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Ein beeindruckendes Spektakel bot diese so besondere Aufführung, die sowohl musikalisch als auch visuell überzeugte. Die Sofia Opera hat mit dieser Produktion einen bedeutenden Beitrag zur bulgarischen Kulturlandschaft geleistet und die Geschichte des Heiligen Johannes von Rila in einer Weise zum Leben erweckt, die tief berührte und inspirierte. In der Kombination aus historischer Genauigkeit, musikalischer Exzellenz und der eindrucksvollen Regie wurde diese Aufführung zu einem unvergesslichen Erlebnis. Die textlichen Qualitäten von Tihomir Pavlov und der musikalischen Komposition von Kiril Popov ergaben ein Werk, das sowohl historisch als auch inhaltlich bedeutungsvoll ist. Die Sofia Opera unter der Leitung von Plamen Kartaloff und das engagierte Ensemble haben mit dieser Aufführung ein einzigartiges Werk der bulgarischen Kulturgeschichte wiederbelebt. Mit der Darstellung des Lebens und der Taten des Heiligen Johannes von Rila vermittelte sich eine Botschaft der Hoffnung, der selbstlosen Hingabe und des unerschütterlichen Glaubens. Dieses musikalische Gedicht ist ein Zeugnis für die reiche kulturelle Tradition Bulgariens und eine Hommage an einen der größten Heiligen des Landes. Dementsprechend stark und ausdauernd war der intensive Beifall des hingerissenen Publikums, das sich sogleich von den Plätzen erhob und ausdauernd den Ausführenden huldigte.

Dirk Schauß, 27. Juli 2024

Besuchte Aufführung vor der Alexander-Newski-Kathetrale in Sofia

Kiril Popov

Der Einsiedler von Rila

Inszenierung: Plamen Kartaloff

Musikalische Leitung: Metropolitan Kyprian von Stara Zagora

Fotos: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

 

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