Kurhaus am Semmering: „DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL“ BEIM SOMMERTRAUM-FESTIVAL (30.6.2012)
Die wahren Abenteuer sind im Kopf oder nirgendwo – das könnte als Motto über dieser „ambulanten“ Produktion stehen, die im feudal-morbiden Ambiente des Semmering-Jugendstil-Hotels „Kurhaus“ seit gestern in Szene geht. Ohne großen Aufwand, mit viel Musikalität und großer Zustimmung seitens des Publikums wird hier Mozart zeitgemäß präsentiert.. Dazu gehören in jedem Fall Mut und Phantasie und von beiden gibt es offenbar am Semmering genug. Die Intendantin Elisabeth Jo Harriet hat wirklich nur bescheidene Mittel zur Verfügung , das Haus darf sie gratis nutzen, die nötigen Renovierungskosten aber muss sie übernehmen– das Resultat erstaunt jedenfalls und begeistert. Parallel zum Don Giovanni (Aufführungen im August) bietet man nun heuer als Alternative die „Entführung aus dem Serail“. Ein halbes Dutzend junge Musikerinnen und Musiker werden zeitweise durch Sänger verstärkt, die das Triangel oder die Pauke schlagen. Die Solisten übernehmen auch die Auftritte des Chores und das Publikum durchwandert ein Semmering-Hotel, beginnt im Festsaal und endet auf der monddurchfluteten Terrasse – Mozart at his best! Die Regie und zeitgemäße Textbearbeitung stammt von Alexander Kuchinka, einem Wahl-Wiener aus Kärnten, der neben Dramaturgie und Regie auch als Kabarettist Erfolge nachweisen kann. Dieser Alexander Kuchinka spielt denn auch den Selim (einem Cyber-Ganoven mit Selbstironie), er hat die Handlung dem ambulanten Konzept angepasst und eckt trotz der vielen Zeitbezüge nie an. Motor der Veranstaltung ist in so einem experimentellen Fall der Dirigent: Vito Cristoforo, ein Wahlösterreicher aus Italien und schon positiv aufgefallen in Klosterneuburg oder Gars, treibt das Tempo an, animiert und glättet. Kurzum – er verwandelt eine Schar von Talenten mit wenig Bühnenerfahrung zu einem hochkarätigen Ensemble. Immerhin: der Isländer Sveinn Sjörleiffson, der in Wien studierte und ins Linzer Ensemble engagiert wurde, gehört als Belmonte wie die Koreanerin Jay Kim als Blondchen zu den Hochtalenten, die zweifellos Karriere machen werden. Der isländische Tenor bewältigt besonders gut das schwierige „Passagio“, das schon für die Auftritts-Arie signifikant ist. Und die Koreanerin hat Charme, Witz und einen perfekten Stimmsitz, der sie sogar im Freien hörbar macht. Vielversprechend auch die etwas zu instrumental geführte Konstanze der persischen Sängerin Sbirin Asgari; wenn er die Höhenprobleme bei Arie „Auf zum Kampfe“ wegbekäme, wäre Richard Klein ein idealer Pedrillo, der vor allem mit dem „Mohrenlied“ punktete. Andreas Kammerzelt ist ein besonders attraktiver Osmin, der Wiener muss nur seine stimmlichen Potenzen in eine Körperresonanz bringen . Das heißt – der junge Mann hat Stimme, Timbre, viel Höhe und Tiefe – jetzt muss er nur mehr einen Klangkörper erzeugen, der weit über den eigenen Hals hinausgeht…Kostüme – wir sind ja im Heute! Dekorationen – sie werden nur angedeutet! Und die Gesamtwirkung? Hohe Zufriedenheit beim Sommerfrische-Publikum
Peter Dusek