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SCHWETZINGEN: POLIFEMO von Nicola Antonio Porpora. Premiere

08.12.2012 | KRITIKEN, Oper

Barock-Fest „Winter in Schwetzingen“: „Polifemo“ von Nicola Antonio Porpora (Premiere: 7. 12. 2012)


Rinnat Moriah auf der Wolkenschaukel und Terry Wey waren die Stars der Premierenvorstellung von „Polifemo“ (Foto: Florian Merdes)

 Das Barock-Fest „Winter in Schwetzingen“, wurde am 7. Dezember 2012 im Rokokotheater mit der Deutschen Erstaufführung der Oper „Polifemo“ von Nicola Antonio Porpora, der zu den bedeutendsten Vertretern der Neapolitanischen Schule gezählt wird, eröffnet (in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln). Uraufgeführt wurde das Werk Anfang des Jahres 1735 mit den berühmten Kastraten Senesino und Farinelli in Anwesenheit der englischen Königsfamilie in London. Die Daily Post berichtete damals vom „vollsten Haus der Saison“!

 Porpora (1686 – 1768) wurde am Konservatorium seiner Geburtsstadt Neapel ausgebildet. Seine erste Oper Agrippina kam 1708 am dortigen Hof zur Aufführung, wo er von 1709 bis 1714 Kapellmeister des in Neapel residierenden Landgrafen von Hessen-Darmstadt wurde. Danach wurde er Kapellmeister am Konservatorium San Onofrio und machte sich einen Namen als Lehrer u. a. von Farinelli, Caffarelli und Hasse. Ab 1714 wurden seine Werke bereits in Wien aufgeführt, während sich sein Ruf als Opernkomponist in Italien erst in den 20er Jahren festigte. Auf Einladung einer Gruppe englischer Adeliger, die ein Gegenunternehmen zu Händels berühmtem Haymarket Theatre planten, reiste er 1733 nach London, wo er bis 1736 für die Opera of the Nobility tätig war. Er war dann in Neapel, Venedig und Dresden, ehe er von 1752 bis 1760 in Wien als Lehrer wirkte und danach wieder nach Neapel zurückkehrte. Insgesamt schrieb er 50 Opern.

 Die Oper „Polifemo“, deren Libretto Paolo Antonio Rolli verfasste, gilt als Perle unter den unbekannten Werken. In ihr sind zwei Mythen verknüpft, die sich um die Gestalt des Polyphem ranken. Während dieser bei Homer als bedrohlicher Gegner von Odysseus geschildert wird, wandelt er sich in den Metamorphosen des Ovid zum lüsternen Alten, der der Nymphe Galatea ihr Liebesglück mit dem jungen Acis nicht gönnt. Herzstück der Oper ist das berühmte Solo der Titelfigur „Alto Giove“, eine der bekanntesten und ergreifendsten Arien der Barockzeit.

 Die junge Regisseurin Clara Kalus übernahm kurzfristig statt der erkrankten Karoline Gruber die Inszenierung der Oper, die sie mit Humor und einigem Augenzwinkern auf die Bühne brachte, was der mythologischen Handlung des Werks gut tat. Sie stellte die Titelfigur nicht als Monster auf die Bühne, sondern als unglückliches, von allen angefeindetes Wesen. In ihrer Werkeinführung gab die Dramaturgin Ulrike Schumann dazu eine plausible Interpretation, die auch im Programmheft zitiert ist: „Begreifbar wird uns dieser Polifemo als ein, in ganz »modernem« Sinn, fühlendes Wesen, das nie etwas anderes als Ablehnung und Isolation erfahren hat, dessen Lebens- und Verhaltensweisen allen anderen fremd sind, und das darum mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln – Verunsicherung, Gefangennahme, Totschlag – durchsetzen will, dass auch ihm Aufmerksamkeit, Achtung und Liebe entgegengebracht werden.“

 Für die Ausstattung zeichnete Sebastian Hannak verantwortlich. Er arbeitete mit nur wenigen Requisiten – zwei Felsbrocken, ein riesiger „Götterstuhl“, farbige Tücher und vor allem eine Himmelslandschaft von Wolken, die in der Inszenierung eine besondere Rolle spielten – und entwarf passable bunte Kostüme, wobei er die Darstellerinnen eindeutig bevorzugte.

 Aus dem stimmlich erstklassigen Sängerensemble ragten der Countertenor Terry Wey und die junge Sopranistin Rinnat Moriah besonders heraus. Der „Wahlwiener“, der seine Sängerausbildung als Solist der Wiener Sängerknaben hatte, beeindruckte in der Rolle des Acis, die bei der Uraufführung der legendäre Farinelli sang, schauspielerisch und stimmlich. Sein Countertenor wirkte noch geschmeidiger und war in der Höhe von unglaublicher Sicherheit und Brillanz, die das Publikum voll in seinen Bann zog. Starker Szenenapplaus nach seinen Arien und viele Bravo-Rufe am Schluss der Vorstellung belohnten Terry Wey für seine großartige Leistung. Eine ideale Partnerin als Galatea war ihm die junge hübsche Rinnat Moriah, deren höhensicherer Sopran wunderbar klang und in ihrer Klagearie das Publikum zu rühren verstand – und wohl auch Jupiter, der ihrem Geliebten danach die Unsterblichkeit der Götter schenkte.

 Der australische Bariton Haris Adrianos spielte und sang den machtgierigen, aber unglücklichen Polifemo mit großen Gesten. Mit seiner lyrischen Stimme konnte er seine Sehnsucht nach Liebe glänzend Ausdruck verleihen. Der österreichische Countertenor Jakob Huppmann meisterte die Rolle des nach langen Irrfahrten auf der Insel der Kyklopen gefangen genommenen Ulisse auch stimmlich recht gut und erhielt gleichfalls des Öfteren Szenenapplaus. Sehr engagiert spielte die Mezzosopranistin Tijana Gruijc die Rolle der Calipso, die – in Ulisse verliebt – ihn mit aller Leidenschaft zum Verbleib auf der Insel verführt. Die abenteuerlustige Nerea, Calipsos Begleiterin, wird von der Sopranistin Irina Simmes dargestellt.

 Das Philharmonische Orchester Heidelberg wurde von Wolfgang Katschner geleitet, der sich seit Jahren um die Verbreitung der Alten Musik verdient macht und hiefür bereits mit einigen Auszeichnungen geehrt wurde, wie 2010 mit dem renommierten Musikpreis ECHO Klassik. Zur Musik des Komponisten, die im zweiten Teil der Oper schwungvoller und dramatischer war und deshalb wohl beim Publikum mehr Anklang fand, noch ein Zitat aus dem Programmheft: „Charakteristisch für Porporas musikalische Sprache war die Verbindung des in Frankreich gebräuchlichen »stile antico« und des in Italien bevorzugten «stile moderno». Er legte großen Wert auf eine dramatische Ausformung des zu vertonendes Textes und legte insbesondere die Rezitativgestaltung dahingehend an.“ Dazu ergänzend ist festzuhalten, dass Porpora die beiden Countertenorpartien für die Kastratenstars Farinelli (Aci) und Senesino (Ulisse) auf den Leib geschrieben und die beiden Rollen daher mit besonderen Schwierigkeiten für die Sänger ausgestattet hat.

 Das Premierenpublikum war vor der Pause in zwei Lager geteilt. Nach dem Zwischenruf „Fürchterlich“ eines Herrn brandeten starker Beifall und einige Bravo-Rufe auf, dennoch leerten sich ein paar Logen (Kommentare: „Musik zu monoton“, „zu fad“). Am Schluss feierte das Publikum alle Mitwirkenden mit nicht enden wollendem Applaus und vielen Bravo-Rufen, wobei die Phonstärke bei Terry Wey und Rinnat Moriah verdientermaßen besonders hoch ausfiel.

 Udo Pacolt, Wien – München

 PS: Ein Tipp für Freunde der Barockopern, die den Weg nach Schwetzingen im Winter scheuen: Das Theater an der Wien bringt am 22. 2. 2013 „Polifemo“ von Porpora in einer konzertanten Aufführung. Rubén Dubrovsky wird das Bach Consort Wien dirigieren.

 

 

 

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