Foto: Silke Winkler
Schwerin /Alter Garten: „LA TRAVIATA“ – OPEN AIR–3.7.2015Pr.
Etwas abseits der großen Touristenströme gelegen, ist Schwerin dennoch eine attraktive Stadt, deren Reiz sich kaum ein Besucher entziehen kann. Auf dem „Alten Garten“, einem der schönsten und imposantesten Plätze Norddeutschlands zwischen Theater, Museum, Schloss, See und Altstadt finden seit über 20 Jahren die SCHLOSSFESTSPIELE SCHWERIN des Mecklenburgischen Staatstheaters unter freiem Himmel statt, von Jahr zu Jahr mit steigendem Erfolg und zunehmender Ausstrahlung. Nach „Nabucco“ im vergangenen Jahr wird der Verdi-Zyklus nun in diesem Jahr mit „La Traviata“fortgesetzt.
Für die Bühnengestaltung gibt es jedes Jahr neue Ideen. Regie führteGeorg Rootering, der auch schon „Nabucco“ erfolgreich 2014 an gleicher Stelle inszeniert hatte. Für Bühne und Kostüme zeichnet RomaineFauchère verantwortlich. Die Bühne ist in diesem Jahr nicht mehr seitlich, sondern frontal zum weitläufigen Schlossaufgestellt, dessen Reiz in seinen vielen großen und kleinen Türmen liegt und das zunächst nur mit den obersten Türmen herausschaut und während der Aufführung, passend zur Opernhandlung, mit Hilfe einer Art breiter „Lamellen“als bewegliche Wand-Elemente, die je nach Handlungsablauf den Blick auf das Schloss partiell freigeben und mit einbeziehen oder abschotten, direkt in das Bühnenbild einbezogenwird – eine eigentlich einfache Lösung, aber wirkungsvoll.Das Wetter spielte bei der Premiere auch mit, was wollte man mehr.
Das Orchester sitzt unter der Bühne, vor Wettereinflüssen und Sonneneinstrahlung geschützt durch eine dunkle Wand aus Glas (?), die nur wenig Licht hindurchlässt und dadurch die Musiker mehr ahnen oder nur schemenhaft sichtbar werden lässt, was auch bei einsetzender Dunkelheit beim Schein der Lampen an den Notenpulten nur unwesentlich anders wird. Der Orchesterklang wird technisch verstärkt und lässt nur wenig von den Feinheiten des Musizierens erkennen. Dennoch war der Eindruck des Orchesters sehr gut. Unter der musikalischen Leitung von Daniel Huppert spielte die traditionsreiche Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin im richtigen Zeitmaß, der richtigen Lautstärke, in guter Abstimmung mit Solisten und Chor und mit viel Sinn für Verdis Musik.

Gabriela Herrera auf dem Fest des ersten Aktes Foto: Silke Winkler
Während der Ouvertüre findet bereits eine Art „Vorspiel auf dem Theater“ statt, u. a. mit einem Tanzpaar im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Tisch als Anspielung auf Floras ausgelassene Feste. Als Einstimmung sah man zuvor den großen Chor in Kostümen der „Verdi-Zeit“gemessenen Schrittes vom Theater zur Bühne „wandeln“, die Herren mit Gehrock und Zylinder,die Damen in gestreiften Kleidern (was eher für Tageskleider üblich war, nicht für Festkleider), und mit Tournüre. Sie waren alle gleich oder ähnlich gekleidet, da sie letztendlich doch alle, wenn auch in der „besseren Gesellschaft“,gleiche „Persönlichkeiten“ mit gleichen Zielen und Interessen – und gleichem(durchschnittlichem) Horizont waren.
Es ist immer wieder ein sehr erfreulicher Anblick, welch wirkungsvolle Kostüme sich manches Theater (noch) leistet, während an großen Häusern die Alltagskleidung auf der Bühne immer mehr ermüdend wirkt und langsam zum Überdruss führt. Schließlich lebt die Oper auch vom optischen Eindruck.
Es wird viel aufgeboten bei dieser Inszenierung. Eine Pferdekutsche bringt erst Kinder in Tracht, danach zweimal „vornehme Herrschaften“ (aus dem Chor),Gäste der „Vip.-Gesellschaft“ der damaligen Zeit, zu Floras Fest, und schließlich Flora selbst (Sophia Maeno) im extravagant „ausgeflippten“ Kleid (später im grau-weißen Fantasie-Frack).
Es gibt einen überaus großen Chor, bestehend aus dem Chor des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin, Chorgästen und Extrachor, der auch noch gut singt (Einstudierung: Ulrich Barthel), viel Statisterie und unterschiedliche Tanz-„Einlagen“, u. a. mit Julian Schilling als „Violettas Tänzer“ mit weiten Sprüngen in einem, leicht spanisch, leicht „obszön“ anmutenden Ausdruckstanz, einen Tanz vier junger Pagen (Choreografie: Julian Schilling) usw.

AdorjánPataki und Gabriela Herrera
Foto: Silke Winkler
Unter den Gesangssolisten war es besonders Gabriela Herrera, die als Violetta sehr beeindruckte und sich immer mehr in ihre Rolle hineinsteigerte.Mit ihrer sensiblen Stimme und feinen Gestaltungskunst entsprach sie sehr hohen Ansprüchen und wirkte besonders im Leiden und Verzicht ihrer Liebe zu Alfredo überaus glaubhaft und berührend.
AdorjánPataki konnte als Alfredo Germont überzeugen, erreichte aber wegen Indisposition die höhenTöne nur mit Anstrengung. Carsten Wittmoser war mit seiner Statur wie geschaffen als GiogioGermont und konnte auch mit seiner guten Darstellung überzeugen. Seine Stimme hat eine gute Tiefe. Wenn auch gesanglich manches nicht so perfekt war, wie man es mit dieser Rolle verbindet, hatte er doch die Gestalt des adelsstolzen Vaters getroffen.
Jasmin Etezadzadeh machte mit ihrem sehr guten Gesang und ihrer verbindlichen Darstellung die kleinere Rolle der Anninazu einer bedeutsamen Mitgestalterin. Allein wie sie besorgtim Hintergrund leise vorbeigeht, wenn sich die Situation zwischen Violetta und Germont immer mehr zuspitzt, bereicherte die Handlung. David Steffens ließ bei seinem kurzen Auftritt als Doktor Grenvilaufhorchen. Er machte mit seiner fülligen, wohlklingenden und sauber geführten Bass-Stimme die Gestalt Arztes zu einer vertrauensvollen, wohlwollenden Persönlichkeit und goss etwas „Balsam“ in die Leiden der Jungen Frau.
Zu einer starken Szene gestaltete sich das Terzett zwischen Violetta und Germont-Vater und Sohn und dem konform singenden Chor im Hintergrund, der die Szene entsprechend ergänzte. Mit zarten, berührenden Tönen ihrer schönen Stimme verlieh Gabriela Herrera dem Seelenschmerz Violetta starken Ausdruck. Mit sehr feinen, leisen Tönennahm sie Abschied von ihrer Liebe zu Alfredo und schließlich vom Leben. Äußerlich legte sie ihren Mantel ab und war im weißes Kleid in ihrem ganz privaten Leben angekommen und schließlich im Nachthemd des Krankenlagers. Der Chor zog sich als Verkörperung der Gesellschaft im doppelten Sinne langsam und diskret während der Musik zurück. Gabriela Herrera ging als Violetta eindrucksvoll und berührend zu ihrer leidensvollen Auseinandersetzung mit Tod und Leben über, während die Vergnügungen des Karnevals an ihr Ohr drangen, die Festgesellschaft in einem eindrucksvollen Bild in magischem Licht auf der Bühne versammeltsaß und das Schloss im Hintergrund noch einmal in großer Festbeleuchtung voll erstrahlte, bis der Lichtglanz erlosch wie Violettas Leben.
Ingrid Gerk