SCHWEIZ / Verbier Festival:
Konzertante Opern; Gianni Schicchi (Giacomo Puccini) und Cavalleria Rusticana (Pietro Mascagni)
24. Juli 2025
Unter der Leitung von Andrea Battistoni erwies sich das Verbier Festival Orchestra als ein Ensemble von bemerkenswerter Reife und klanglicher Raffinesse. Er ist ein Dirigent mit grosser Opernerfahrung und feinem Gespür für musikalische Dramaturgie und führte das Orchester mit kontrollierter Energie und scharfer stilistischer Klarheit durch die beiden Partituren. Das Orchester selbst zeigte sich in Hochform. Es war ein echtes Zusammenspiel von Bühne und Graben auch in dieser konzertanten Form.
Gianni Schicchi als witziges Ensemblespiel.
Bryn Terfel verkörperte die Titelfigur mit dämonischem Charme. Sein Schicchi war kein reiner Schelm, sondern ein listiger Überlebenskünstler, der das soziale Gefüge von Florenz auf den Kopf stellt, mit stimmgewaltiger Autorität, aber auch mit feinem Gespür für Ironie und Timing. Er liess seine Stimme in sarkastischen Linien blitzen und formte jede Geste ohne jemals routiniert zu wirken.
Ying Fang als Lauretta entzückte mit einer wunderbar klaren, leuchtenden Sopranstimme. Ihre berühmte Arie „O mio babbino caro“ geriet zu einem der stillsten, aber berührenden Momente des Abends – ein Kontrast, der die Handlung nicht bremste, sondern ihr emotionale Tiefe verlieh. Ihr gelang der seltene Spagat zwischen kindlicher Zärtlichkeit und innerer Entschlossenheit. Als Rinuccio überzeugte Sungho Kim mit kraftvoll lyrischem Tenor und jugendlicher Dringlichkeit.
Die zahlreichen Nebenrollen – und das ist das Besondere an diesem Einakter – waren allesamt klug besetzt und präzise geführt. Besonders hervorgetan haben sich Elena Zilio als herrlich grantige Zita und Giorgi Guliashvili als ewig empörter Gherardo.
Die jungen Sängerinnen und Sänger, darunter Katrīna Paula Felsberga (Nella), Maryam Wocial (Gherardino), Maksim Andreekov (Betto de Signa), Ossian Huskinson (Simone), Ellen Pearson (La Ciesca), Felix Gygli (Spinelloccio, Ser Amantio di Nicolao) Edward Birchinall (Guccio) und Anton Beliaev (Pinello) brachten mit viel Spielfreude grossen Ensemblegeist auf die Bühne, wie man ihn sich bei diesem Stück wünscht – chaotisch, komisch, aber musikalisch glasklar, einfach herrlich!
Cavalleria Rusticana als intensives Musikdrama.
Die Aufführung offenbarte sich als eindrucksvolle Demonstration musikalischer Dramatik und vokaler Kraft. Auch ohne szenische Umsetzung (aber dafür mit einer beeindruckenden Videoproduktion im Hintergrund mit wunderbaren Bildern aus Sizilien) gelang es dem Ensemble, die emotionale Wucht und das archaische Pathos dieser Oper voll zur Entfaltung zu bringen – getragen von einer sorgfältig zusammengestellten Besetzung und einem eindringlich hervorragend agierenden Chor.
Yulia Matochkina als Santuzza – eine expressive Wucht. Sie verkörperte die tragische Figur der Santuzza mit einer durchdringenden Intensität. Ihre Stimme, dunkel timbriert, gleichzeitig kontrolliert und aufwühlend – verlieh der verlassenen und verzweifelten Frau eine grosse innere Kraft. In „Voi lo sapete, o mamma“ zeigte sie ein tiefes psychologisches Porträt einer leidenden Seele, ohne ins Sentimentale zu verfallen. Sie verstand es, die Spannung über den gesamten Abend hinweg zu halten, mit fein abgestuften dynamischen Bögen und toller Phrasierung.
Freddie De Tommaso als Turiddu, mit tenoralem Glanz. Er überzeugte als Turiddu mit einem strahlenden, schön gefärbten Tenor, der in den dramatischen Passagen förmlich aufloderte. In der berühmten Arie „Mamma, quel vino è generoso“ gelang ihm ein tiefgehendes Porträt eines Mannes zwischen Reue, Stolz und Todesahnung. Sein Gesang besass Schmelz und gleichzeitig die nötige Attacke, eine hervorragende Interpretation.
Ludovic Tézier – ein nobler, bedrohlicher Alfio. Mit seinem warmen, vollgriffigen Bariton gab er dem Wagenlenker Alfio eine eindrucksvolle Bühnenpräsenz. Seine Eifersucht wirkte kontrolliert, beinahe beherrscht. Besonders im Duett mit Santuzza zeichnete er sich durch nuanciertes Zusammenspiel und eine feine klangliche Balance aus.
Nebenrollen mit Charaktertiefe. Elena Zilio, gestaltete die Rolle der Lucia mit edler Zurückhaltung und einem Hauch bitterer Würde. Ihre Stimme, gereift und voller Charakter, verlieh der Mutterfigur eine berührende Glaubhaftigkeit. Ava Dodd als Lola glänzte mit hellem, sinnlich geführtem Sopran, genau das verführerische Element, das diese Figur verlangt.
Chorische Geschlossenheit und atmosphärische Dichte.
Ein besonderer Trumpf des Abends war das Oberwalliser Vokalensemble, das dem Chor eine bemerkenswerte Präsenz und Tiefe verlieh. Besonders der berühmte „Regina Coeli“ und das Finale profitierten von der klanglichen Geschlossenheit und der sorgfältigen Balance zwischen religiöser Inbrunst und dramatischer Wucht. Der Chor war nicht bloss akustisches Beiwerk, sondern gestaltete aktiv die emotionale Topographie der Oper mit.
Auch ohne Bühnenbild und Kostüme waren die beiden Aufführungen ein witziges wie berührendes Erlebnis. Das Publikum würdigte beide Aufführungen mit stehenden und langanhaltenden Ovationen.
M.B.