SCHLOSS KIRCHSTETTEN / Maulpertsch-Saal: Il TURCO IN ITALIA
2. August 2023 – Premiere
Von Manfred A. Schmid
„Klein aber fein“ wird so oft verwendet, dass man es schon nicht mehr hören kann. Es gibt aber Fälle, auf die dieses Attribut durchaus zutrifft. Eine Opernaufführung auf Schloss Kirchstetten im Weinviertel etwa ist ein Beispiel dafür. Anlass genug, das kleinste Opernhaus Österreichs vor den Vorhang zu holen.
„Belcanto hautnah“ ist das Markenzeichen des Klassikfestivals Schloss Kirchstätten. Nirgendwo sonst kommt man den Sängerinnen und Sängern so nahe wie bei einer Opernaufführung im Maulpertsch-Saal des Schlosses, der für 190 Personen Platz bietet. Zum 25-Jahr-Jubliläum hat Intendant Stephan Gärtner Rossinis Il Turco in Italia ausgesucht. Ein Werk, das musikalisch vielleicht nicht ganz an dessen erfolgreicher Oper L’Italiana in Algeri heranreicht, aber dramaturgisch höchst originell konzipiert ist. Die Einführung eines Dichters, der die Interaktionen der Figuren beobachtet, diese oft auch beeinflusst, um sie in eine bestimmte Richtung zu lenken, erinnert durchaus an Luigi Pirandellos Theaterstücke, in denen das traditionell-realistische Theater durch eine „Subversion von innen“ hinterfragt und aufgelöst wird. Prosdocimo, so der Name des Dichters, ist auf der Suche nach einem geeigneten Stoff für sein nächstes Werk und hofft, Anregungen dazu in seiner direkten Umgebung zu finden. Rossini und sein Librettist Felice parodieren sich damit gewissermaßen selbst.
Als Gioacchino Rossini seine Buffo-Oper Il Turco in Italia komponierte, war er erst 22 Jahre alt, hatte aber längst schon eine florierende Opernmanufaktur im Laufen und konnte bereits auf zwölf Opern aus seiner Feder zurückblicken. Wegen der Fülle an Kompositionsaufträgen und angesichts des Zeitdrucks beschäftigte er in seiner Werkstatt schon früh talentierte Mitarbeiter, die ihm bei Bedarf zuarbeiteten. Auch in Il Turco, bei der Uraufführung 1814 an der Mailänder Scala vom Publikum abgelehnt – dass ein italienischer Ehemann von einem Türken betrogen wird, wurde als Beleidigung des Nationalstolzes aufgefasst -, gibt es einige Stücke, die nicht von ihm stammen. Außerdem griff er beim Komponieren zu Anleihen aus seinen früheren Opern, eine Eigenart, die er bis zu seinem Entschluss, das Komponieren früh aufzugeben und sich den gastronomischen Köstlichkeiten zu widmen, beibehalten sollte.
Richard Panzenböck hat sich als Hausregisseur bereits einen guten Namen gemacht hat, weil er stets neue Lösungen entwickelt, um die oft komplexen Handlungsverläufe und Interaktionen auf kleinstem Raum nachvollziehbar auf die Bühne zu bringen. Man muss aber auch Intendant Gartner dafür dankbar sein, dass er nicht dem regietheaterlich und „politically“ korrekten Gebot der Stunde gefolgt ist und einen Türken mit der Regie beauftragt hat. So wie das jüngst an der Volksoper Wien der Fall war, wo die Inszenierung von Mozarts Die Entführung aus dem Serail zu einer Abrechnung mit dem Umgang mit Gastarbeitern in den 50er Jahren geworden ist. Das wäre zwar gewiss auch ein interessanter Gesichtspunkt gewesen, aber ob eine Opera Buffa Rossinis das dafür geeignete Objekt wäre, darf bezweifelt werden. Denn gerade das unablässige Verwirrspiel in Il Turco – es gibt zwei zentrale Paare, die aber im weiteren Verlauf durch Interventionen weiterer Verehrer und einer Kette von Missverständnissen ordentlich durcheinandergewirbelt werden – ist eine enorme Herausforderung. Doch es gelingt Panzenböck, im knappen Bühnenbild von Petra Fibich-Patzelt jeden Zentimeter optimal zu nützen und – Dank einer exakt getroffenen zeitlichen Abstimmung – die unablässigen Auf- und Abttritte und die dadurch rasant wechselnden Konstellationen übersichtlich und nachvollziehbar zu gestalten. Zum aktuellen Stand der Kirchstettener Bühnentechnik weiters zu vermerken: Es gibt, rechts und links der Bühne, je einen Overheadprojektor. Diese werden höchst kreativ dazu eingesetzt, um im Verlauf der Handlung das Bühnenbild entsprechend zu verändern. Es gibt sie also noch, die steinzeitlich anmutende, analoge Technik, und man registriert, dankbar und verwundert: Es geht auch so!
Gelungen ist die Idee, Prosdocimo seine Beobachtungen auf dem paravent-ähnlichen, weißen Bühnendbild mit Kreide in Stichworten festhalten zu lassen. Da das jedes Mal aber nur momentane Erkenntnisse sind, die sich flugs ändern und ins Gegenteil kehren können, werden sie von den Akteuren oft missbilligend per Schwamm gelöscht. Es handelt sich eben um ein dramaturgisches work in progress. Erst wenn nach dem obligatorischen Maskenball und der Verschleierung der wahren Identitäten alles in traditioneller, ultra-mozartischer Manier gelöst wird und das Happyend der beiden gefährdeten Paare gesichert ist, treten Ruhe und Gewissheit ein.
Mit Alexander Edelmann betritt ein Edelmann der dritten Generation die Bretter, die die Welt bedeuten. Er, derzeit noch Student an der Musikuniversität, ist mit einem angenehmen Bariton – wohl ein dynastisches Erbstück – ausgestattet und steht als Prosdocimo fast die meiste Zeit auf der Bühne, oft registrierend und – auch wortlos, nur mimisch – kommentierend im Hintergrund, zuweilen aber auch direkt eingreifend. Als ungewöhnlich anzumerken ist der Umstand, dass Rossini dieser zentralen, alles zusammenhaltenden Figur keine eigene Arie zugewiesen hat. Edelmann kann sein komisches Talent gut ausspielen und macht auch gesanglich gute Figur. Auf die weitere Entwicklung darf man gespannt sein.
Daniele Macciantellis Selim ist ein durch und durch komisch gestalteter türkischer Pascha. Der italienische Sänger mit reicher Erfahrung legt in dieser Rolle wenig Wert auf einen höflich-eleganten Auftritt, sondern versteht sich zurecht als ein Charakter in einer Buffo-Oper. Sein mächtiger, wandlungsfähiger Bass und sein komödiantisches Können machen ihn zu einer dominierenden Figur, die in Emilio Maruccis Don Geronio einen ebenbürtigen, ebenfalls mit allen komödiantischen Wassern gewaschenen Gegenspieler findet. Wie Geronio unter der Untreue seiner Frau Donna Fiorilla leidet, was er alles erdulden muss, nachdem der türkische Gast in Neapel eingetroffen ist, um das Land seine Bewohner kennenzulernen, davon erzählt er mit ausdrucksvollem, farbenreichem Bariton, köstlicher Mimik und beredtem Augenrollen.
Die rumänische Sopranistin Rodica Vica strömt mit ihrem vitalen Sopran die erhoffte Italianita aus. Sie braucht am Anfang etwas Zeit, bis die Intonation makellos ist und die Spitzentöne nicht knapp verfehlt werden, ist dann aber ganz in ihrem Element und liefert als Donna Fiorilla, Don Geronios Frau, ein farbenfrohes Gesangsfeuerwerk ab. Beeindruckend, wie sie in ihrer letzten Arie, als sie glaubt, von Geronio geschieden zu werden, ihren bravourösen Gesang mit dem rechten Maß an Pathos zu verbinden versteht. Ein Kraftwerk an Stimme und Darstellungsfähigkeit.
Für viel Verwirrung sorgt Zaida, laut Programmheft „eine Romni“, die ehemalige Geliebte von Selim. Als Unschuldige, der Unrecht getan wurde, die dann aber Versöhnung erfährt, gelingt es der armenischen Mezzosopranistin Sevana Salmasi Lebhaftigkeit mit warmem Ton zu kombinieren.
Andrés Alzatew Gaviria ist mit seinem lyrischen Tenor in der Rolle des Don Narciso, ein weiterer Verehrer von Donna Fiorilla, etwas überfordert. In der Mittellage durchaus attraktiv, in der Höhe aber kantig und scharf. Mag sein, dass das auf Nervosität am ersten Abend zurückzuführen ist. Die Bühnenpräsenz hingegen lässt nichts zu wünschen übrig.
Marco Ascani hinterlässt als Albazar, vertrauter Selims – ebenfalls eine Tenorpartie – einen sympathischen Eindruck. Man hätte sich gewünscht, dass er mehr zu tun gehabt hätte.
Das Orchester, die Virtuosi Brunenses, unter der bewährten Leitung von Maestro Hooman Khalatbari, beeindruckt, in knapper Besetzung mit zehn Instrumentalisten, mit sicherem, transparentem Klang.
Der unterhaltsame, turbulente, musikalisch und inszenatorisch gelungene Opernabend wird mit viel Beifall bedacht. Eine würdige Neuproduktion zum 25-jährigen Bestehen des Festivals. Ad multos annos!