Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

SCHLIEMANNS WELTEN

25.06.2022 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buch schliemanns welten~1

SCHLIEMANNS WELTEN
Sein Leben, seine Entdeckungen, sein Mythos
Katalog zur Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin 2022
320 Seiten, Verlag E.A. Seemann, 2022 

Nicht jeder kann die in Großstädten angebotenen Ausstellungen besuchen, aber für Interessenten gibt es die Kataloge. Etwa zur Präsentation von „Schliemanns Welten“, die anlässlich seines 200. Geburtstags im Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin zu sehen sind (dort, wo sich ein großer Teil seines Nachlasses befindet). Der voluminöse Band wird jene Leser mit Text und vor allem Bild hoch zufriedenstellen, rundet sich doch eine der erstaunlichsten Selfmade-Stories, die man in der Geschichte kennt.

Nicht umsonst wird Umberto Eco zitiert: „Je tiefer wir die Geschichte erforschen, auf umso mehr unglaubliche, romanhaft anmutende Situationen stoßen wir, auch der kreativste Kopf könnte sich so etwas nicht ausdenken.“ Oder, kurz gesagt, das Leben schreibt die erstaunlichsten Geschichten und eine wie jene von Heinrich Schliemann (1822-1890) klingt nach einem Roman, den man kaum für möglich halten würde.

Denn dass ein Mann einen Traum hat, passiert wohl öfter. Dass er das, was keiner für möglich gehalten hätte, dermaßen umsetzen kann, das ist äußerst selten. Howard Carter gelang es mit dem Tut-ench-Amun-Grab. Heinrich Schliemann gelang das mit Troja, das er gleichsam aus der Literatur in die Wirklichkeit geholt hat.

Er selbst, der Kopf von Homer und seine Gattin Sophia, geschmückt mit dem „Schatz des Priamos“, wie man ihn nennt, zieren das Titelbild des großformatigen Katalogbandes der Staatlichen Museen zu Berlin, und die Lektüre ist faszinierend.

Wie ist es möglich, dass eines von neun Kindern eines armen Pastors aus der wahrlich armseligen mecklenburgischen Kleinstadt Neubukow es zum vielfachen Millionär bringt, was schon Karriere genug wäre. Aber er hat es als Autodidakt nicht mit seinem wohl angeborenen kaufmännischen Genie (muss man schon sagen) bewenden lassen, sondern dann sein Geld darauf verwendet, selbständig große archäologische Grabungen in Gang zu setzen. Und wenn die Wissenschaft bis heute auch daran zweifelt, welches Troja Schliemann gefunden hat – Tatsache ist, dass er Ruinen an der türkischen Westküste ins Licht geholt und dass er einen „Schatz“ gefunden hat. Mit einem Wort: Er hatte nicht nur materiellen Erfolg, er hatte auch Glück, dass der Traum seines Lebens sich verwirklichte. Gegen schier unglaubliche Widerstände.

Man kann mit diesem Katalogbuch zuerst, die Schauplätze seines Lebens reich bebildert, der Biographie nachgehen. Nicht viel Schulbildung, dafür reichte das Geld nicht, aber lebenslanges brennendes Interesse und die Entschlossenheit, das zu lernen, was er wollte und brauchte. Schliemann begab sich „auf der Suche nach seinem Glück“, tatsächlich aber einfach nach Arbeit, zuerst nach Hamburg, kam dann nach Amsterdam, wo er nicht nur Niederländisch lernte, sondern für mehrere Firmen arbeitete, und wurde nach St. Petersburg geschickt, wo er in der russischen Welt selbständig sein erstes Vermögen verdiente (u.a. am Krimkrieg als Lieferant der Zaren-Armee), die Staatsbürgerschaft annahm, eine Russin heiratete (drei Kinder)., beließ es aber nicht dabei. Der Goldrausch lockte ihn nach Kalifornien, und es ist nicht bekannt, dass er finanziell je Rückschläge erlitt. Schliemann, der zwischendurch auch amerikanischer Staatsbürger wurde (und sich von seiner russischen Frau scheiden ließ), begann dann exzessiv die Welt zu bereisen und ließ sich zwischenzeitlich in Paris nieder.

Aber der Mythos seiner Jugend waren die Epen des Homer, er glaubte, dass die „Ilias“ kein Stück Dichtung, sondern ein Stück Wahrheit war. Er lernte Griechisch, heiratete eine Griechin und begann 1970, zuerst illegal, auf jenem Hügel Hissarklik zu graben, wo auch schon andere Wissenschaftler Troja vermutet haben. Die Erfolgsgeschichte ist trotz aller Mühsal und Widerstände, auch von Seiten der Wissenschaft, trotz aller Anfeindungen und Rückschläge, eine einmalige.

Schliemann, der sich von seinem „Amateur“-Status nie abhalten ließ, befand sich 1890 nach einer längeren Reise auf dem Weg zu seiner Frau und den beiden Kindern aus dieser Ehe nach Athen. Er machte Halt in Neapel, um sich unerschöpflich in seinem Interesse Pompej zu sehen (auch für Ägypten und seine Kunst hegte er eine große Vorliebe), und erfüllte den Spruch, dass man nach Neapel käme, um zu sterben: Er erlag hier einem schweren Ohrenleiden, das ihn schon lange quälte…

Neben der ausführlichen Biographie, die man hier nachlesen kann, gibt es immer wieder Sonderkapitel, in denen Themenschwerpunkte gesetzt werden – beispielsweise, wie Schliemann, das Sprachgenie, der an seinem Lebensebene zwölf Sprachen ausgezeichnet beherrschte und in neun weiteren grundlegende Fähigkeiten besaß. Er zog dazu immer wieder Lehrer heran, das meiste aber erarbeitete er sich selbst. Ein anderes Sonderkapitel widmet sich beispielsweise dem berühmt gewordenen Schliemann und der deutschen Presse, wobei Karikaturen ihm nachsagen, nachdem er den  Schatz des Priamos’  gefunden hätte, werde er sich wohl an den Rhein begeben, um das legendäre Rheingold zu heben…

Der Katalogteil des Buches zeigt dann, wie viel „Hardware“ die Berliner Ausstellung zu bieten hat, nicht nur ganz Persönliches von Schliemann (etwa seinen Zylinder – es gibt ein berühmtes Foto, das ihn in einem langen Mantel mit üppgem Pelzbesatz und Zylinder als reichen russischen Kaufmann zeigt), sondern auch reichlich Material aus den Ausgrabungen, sogar Schmuck (obwohl der „Schatz der Priamos“ sich bekanntlich immer noch als „Weltkriegs-Beute“ in Russland befindet).

Selbst, wenn man gemeint haben sollte, ohnedies alles über ihn zu wissen – die Literatur ist mehr als üppig -, ist dieser Katalog über die unaufhörlich faszinierende Gestalt von Heinrich Schliemann unabdingbar für Interessenten. Man hätte ihn nicht umfassender und dabei fairer darstellen können. Es ist ein großformatiger Band, in dem man regelrecht versinken kann.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken