Savonlinna : Der fliegende Holländer (28.7.2012)
Zu seinem 100. Geburtstag tischte das Opernfestival von Savonlinna seinen Gästen ein erlesenes Menu auf: In der weisen Erkenntnis, dass sich die Uraufführungen (Kimmo Hakolas ”La Fenice” sowie ”Free Will”, die erste ”Internet-Oper”) würden schwieriger verkaufen lassen, grüßten mit der ”Zauberflöte” (in finnischer Sprache!), der „Aida“ und dem „Fliegenden Holländer“ lauter gute alte Bekannte, die für eine volle Auslastung zumindest dieser Aufführungen sorgen würden. Für Verächter des sog. Regietheaters ist die Inszenierung ILKKA BÄCKMANs ideal; sehr gut dem Ambiente der Burg Olavinlinna eingepasst, kann man sich ungestört dem Stück hingeben, ohne über Regieexzesse nachdenken zu müssen. Lediglich in den Chorszenen des 3. Aktes wäre ein Weniger ein Mehr gewesen.
Der stürmische Beginn der Ouvertüre ließ auf eine dramatische Ausformung der Partitur hoffen, und im Verein mit dem sehr guten Festivalorchester gelang PHILIPPE AUGUIN eine ebenso schwungvolle wie dramatische Interpretation, stets für eine nahezu perfekte Balance zwischen Bühne und Graben sorgend, was bei den Ausmaßen der Bühne keine Selbstverständlichkeit ist. Der Chor, besonders der Männerchor, ist Weltklasse, in dieser Kombination von Klangschönheit und –wucht auf eine Stufe mit dem Bayreuther Chor zu stellen. Mit Bangen sah ich dem Auftritt JUHA UUSITALOs in der Titelrolle entgegen, wusste ich doch um seine Erkrankung. Er war in Deutschland von seiner Mitwirkung am Münchner „Ring“ entbunden worden, und, wer die Hintergründe nicht wusste, befürchtete ein Wiederaufbrechen seiner Tumorerkrankung. Aber Uusitalo hatte zudem einen Schlaganfall erlitten, der ihn nicht nur in seinem veränderten Aussehen und in seinen roboterhaften Bewegungen unübersehbar gezeichnet hat, sondern – nicht unverständlich – seine Stimme in Mitleidenschaft gezogen hat. Im Kern reduzierter, rauer, spröder, die Ausbrüche des Schlusses unüberhörbar nur mit letzter Kraft schaffend, war die Stimme für alle, die sie in voller Blüte in Erinnerung hatten, nur ein Schatten ihrer selbst. Das in Savonlinna mehrheitlich vorhandene Touristenpublikum wird dies vielleicht gar nicht bemerkt, sondern dies für Charakteristika seiner Interpretation gehalten haben. Wünschen wir also dem großartigen Künstler und sympathischen Menschen Juha Uusitalo eine hoffentlich weitgehende Wiederherstellung seiner Gesundheit.
MATTI SALMINEN, trotz seiner nunmehr 67 Jahre, zeigte keinerlei altersbedingte Abnutzungserscheinungen und war in gewohnter Stimmpracht und vielen neuen Nuancen ein immer noch hervorragender Daland, ebenso wie man sich für Mary (die mit sattem Alt ausgestattete MARIT SAURAMO) und den Steuermann (JUSSI MYLLYS mit an Mozart geschultem lyrischen Tenor) keine besseren Besetzungen wünschen kann. Neu im gut ausgesuchten Stück-Ensemble des „Fliegenden Holländer“ waren die Interpreten von Senta und Erik. In COREY BIX lernte man einen ganz ausgezeichneten Sänger dieser undankbaren Rolle kennen, höhensicher, mit gutem Stilgefühl, und ich kann mich nicht erinnern, in vielen Aufführungen dieses Wagner’schen Frühwerks eine bessere Senta als AMBER WAGNER gehört zu haben. Die Stimme dieser jungen Amerikanerin, die schon im Vorjahr als Elsa auf sich aufmerksam gemacht hatte, weist in ihrer Kombination aus jugendlichem Klang und dramatischem Aplomb auf künftige größere, vielleicht sogar hochdramatische Aufgaben hinaus. Es wird interessant sein, die Karriere dieser Sängerin zu verfolgen, die jedoch nicht ganz dem optischen Ideal eines an Regietheater gewöhnten Publikums entspricht.
Sune Manninen