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SAVONLINNA: BORIS GODUNOV. Premiere

12.07.2015 | Allgemein, Oper

Savonlinna: Boris Godunov – Premiere am 11.7.2015

Die zweite Saison, in der JORMA SILVASTI als Künstlerischer Direktor für die Opernfestspiele von Savonlinna verantwortlich zeichnete, begann mit einem Novum. Nicht nur wurde erstmalig eine Operette aufgeführt, sondern es wurden auch zwei (zudem deutschsprachige) Bühnen eingeladen, mit ihren Produktionen zu gastieren: die Wiener Volksoper mit der „Lustigen Witwe“ und die Semperoper Dresden mit „La nozze di Figaro“. Neben Wiederaufnahmen von „Tosca“ und „La Traviata“ gab es dieses Jahr nur eine einzige Eigenproduktion, Mussorgskys „Boris Godunov“ – eine logische Entscheidung, denn Finnlands 1989 früh verstorbenes Bass-Nationaldenkmal Martti Talvela, international berühmt als einer der bedeutendsten Interpreten der Titelrolle, hätte in diesem Jahr die 80. Wiederkehr seines Geburtstages feiern können, und sein würdiger Nachfolger im Bassfach MATTI SALMINEN war wenige Tage vor der Premiere 70 Jahre alt geworden.

In den 70er Jahren war „Boris Godunov“ 1974, 1975, 1976 und 1978 mit Martti Talvela in der Titelrolle mit einer rein finnischen Besetzung in finnischer Sprache gegeben worden. Für diese Neuinszenierung, Frucht der ersten Zusammenarbeit mit Chorégies d’Orange, auf die im nächsten Sommer Verdis „Otello“ folgen soll, wurde nicht nur die Originalsprache gewählt, sondern auch auf die Urfassung von 1869 zurückgegriffen, also ohne Marina- und Kromy-Akt.

Für die Regie war NICOLA RAAB gewonnen, die sich in Finnland bereits mit einer Produktion von Massenets „Thais“ einen Namen gemacht hatte. Einziges Requisit der ansonsten fast leeren, sehr breiten und nur eine geringe Tiefe aufweisenden Bühne war ein goldener Würfel, der für die meisten Szenen als Spielfläche diente (Bühnenbild: GEORGE SOUGLIDES; Kostüme: JULIA MÜLLER; Lichtdesign: LINUS FELLBOM). Schon wenn das Publikum in den Zuschauerraum gelassen wird, sitzt der Mönch Pimen in diesem Würfel, in seiner Chronik lesend. Verwirrend ist es allerdings, wenn eben dieser Mönch Boris in der Krönungsszene die Insignien seiner Macht verleiht. Dieser Würfel dient der Regisseurin als Fixpunkt, von dem aus die Herrschen auf das Volk schauen, beäugt von diesem, das in allen Szenen immer gegenwärtig ist. Lediglich in seiner Sterbeszene verlässt Boris diesen „goldenen Käfig“ und mischt sich, nunmehr wie dieses gekleidet, unter das Volk. Ein – wie die ganze Aufführung – bewegendes Finale.

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Matti Salminen (Boris) mit Artem Grutko (Feodor) und Christian Juslin (Shuisky). Foto: Savonlinna Opera Festival.

In Mussorgskys Boris kommt dem Chor eine wichtige Rolle zu, und man kann sicher sein, dass in Savonlinna der Chor traditionell zum Ereignis jeder Aufführung mit großen Aufgaben wird; so auch im Boris (Einstudierung: MATTI HYÖKKI). Man wird förmlich erschlagen vom Volumen und Wohlklang dieses Ensembles, in der Vergangenheit für manche als Sprungbrett zur Weltkarriere dienend. Der nunmehr 71jährige LEIF SEGERSTAM hatte schon im Jahr 1976 die Boris-Aufführungen geleitet und kehrte nun nach mehrjähriger Abwesenheit an das Pult des Savonlinna Festspielorchesters zurück – mit breitem Pinselstrich und meist ebensolchen Tempi weniger das Schroffe in Mussorgskys Originalinstrumentation als vielmehr die dunklen Farben des Klanges betonend.

Finnland scheint einen guten Nährboden für lang andauernde Sängerkarrieren abzugeben; so tritt der heute 74jährige Jorma Hynninen immer noch mit ungebrochener Stimmschönheit auf (2016 in Savonlinna mit Schuberts Winterreise!). Und nur ein Beckmesser könnte am Boris des 70jährigen MATTI SALMINEN gelegentlich verwaschene Tonproduktion monieren, was jedoch den Gesamteindruck nicht minimierte. (Fast) mit seiner gewohnten Stimmkraft und einer Vielfalt an differenzierenden Nuancierungen bot Salminen ein überaus bewegendes Gesamtportrait des an seinen Schuldgefühlen zu Grunde gehenden Zaren. In einem wohl ausgesuchten Ensemble aus vorwiegend finnischen und slawischen Sänger war dieser Abend ein Fest für Liebhaber tiefer Stimmen; neben dem Ukrainer TARAS SHTONDA (Pimen) und dem mit saftigem Bass auftrumpfenden Bulgaren GIORGI KIROF (Varlaam) ließ NIKLAS SPÅNGBERG in der Mini-Rolle des Mityukh mit markantem Material aufhorchen, während HEIKKI KILPELÄINENs Shchelkalov, ungünstig postiert, Mühe hatte, sich gegenüber dem Orchester zu behaupten. MIKA POHJONEN als der um seine Auftritte im Polen- und Kromy-Akt gebrachte falsche Dmitry bewies wieder einmal seine große Eignung für Partien des Spinto- und dramatischen Fachs; seine Stimme wird immer durchschlagskräftiger, wie auch beim Shuisky CHRISTIAN JUSLINs herauszuhören ist, dass er an mittelgroßen Bühnen Deutschlands Rollen wie Otello und Florestan singt – eine Konstellation, die dem sonst mit einem Charaktertenor besetzen Shuisky gut zu Gesichte steht. Ungewohnt, doch letztlich durch die Klasse des Interpreten überzeugend, die Besetzung des Knaben Feodor mit einem Countertenor. ARTEM GRUTKO, den ich am Mariinsky-Theater mehrfach als hervorragenden Britten-Oberon erleben konnte, entledigte sich dieser Aufgabe mit außerordentlich tragfähiger Stimme. DAN KARLSTRÖM bot mit dem hellen Klang seines Tenors ein ergreifendes Portrait des Gottesnarren. Die anderen Sänger dieses großartigen Stückensembles, das mit den Ausnahmen der Pimen- und Varlaam-Partien in allen 5 Aufführungen dasselbe ist, seien mit einem Pauschallob bedacht. Eine herausragende, bewegende Realisation des Mussorgsky’schen Volksdramas, das mit anhaltendem Beifall des enthusiasmierten Publikums bedacht wurde.

Das wie üblich schon jetzt veröffentlichte Programm des nächsten Festspielsommers (8.7. – 6.8.)  liest sich viel versprechend. Neben „Othello“, „Don Giovanni“ und „Aus einem Totenhaus“ als Eigenproduktionen Savonlinnas kommt das von Riccardo Mutis Frau Christina geleitete Ravenna Festival mit „Falstaff“ und „Macbeth“ in Regie der Hausherrin, während der Ehemann ein Konzert leiten wird. Das zweite Gastensemble wird das Teatro Regio Torino sein, das unter der Leitung Gianandrea Nosedas „La Bohème“ und „Norma“ aufführen wird.

Sune Manninen

 

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