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Sandra Hertel: MARIA ELISABETH

10.02.2015 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

BuchCover Hertel, Sandra, Maria Elisabeth

Sandra Hertel:
MARIA ELISABETH
Österreichische Erzherzogin und Statthalterin in Brüssel (1725-1741)
Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Band 16
386 Seiten, Böhlau Verlag 2014

Die belgische Geschichtsschreibung hat ihr vernichtendes Urteil schon gesprochen: Ihre Regentschaft sei einfach langweilig gewesen. Außer, dass zu ihrer Zeit der alte brabantische Palast auf dem Coudenberg abgebrannt ist, fällt den Belgiern zu ihr nichts ein. Nicht die kleinste Gedenktafel verweist auf Maria Elisabeth von Habsburg, die hier von 1725 bis 1741 für ihre Familie als Statthalterin der Österreichischen Niederlande die Geschäfte führte – nicht einmal in der Kathedrale, wo sie acht Jahre lang „zwischen-begraben“ wurde, bevor man sie in die Kapuzinergruft in Wien brachte.

Nun werden sich auch Habsburg-Kenner, die sofort bedeutende „Niederlande-Statthalter“ herunterbeten können, mit Maria Elisabeth schwer tun. Nicht so glanzvoll wie Margarete von Österreich, die Tante Karls V., oder die Infantin Isabella, die Tochter König Philipps II. von Spanien oder gar der Erzherzog Leopold Wilhelm, der Onkel von Kaiser Leopold I., der aus Brüssel jede Menge Kunstschätze nach Wien brachte. Wie später Marie Christine, die Tochter Maria Theresias, und ihr Gatte Albrecht von Sachsen-Teschen, auch sie die wahren Kunstfreunde und -Sammler. Spektakuläre Persönlichkeiten, unter denen Maria Elisabeth, die Tochter von Kaiser Leopold I., untergeht.

Dies aber nur dank der Vorurteile der gender-betonten Geschichtsschreibung, wie Autorin Sandra Hertel, Mitarbeiterin der Albertina, in ihrer umfangreichen Studie feststellte. Wenn eine Frau aller spektakulärer Ingredienzien entbehrte, war sie für die Nachwelt nicht interessant. Auch wenn ihr Schicksal sich sehen lassen kann. Und das liest sich auf knapp 400 Seiten, für welche die Autorin eine Unmenge Original-Dokumente eingesehen hat, so umfangreich wie interessant (dabei hat Maria Elisabeth aus nicht bekannten Gründen den Großteil ihrer Korrespondenz verbrannt).

Sie war eine Tochter von Kaiser Leopold I. aus dessen dritter Ehe mit Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg. Ihre Brüder wurden später als Joseph I. und Karl VI. Kaiser. Maria Elisabeth Lucia Josepha Theresia Antonia wurde am 13. Dezember 1680 in Linz geboren, wohin die Familie vor der in Wien wütenden Pest geflohen war. 1683 standen die Türken vor Wien, die Kaiserfamilie floh wieder. Später garantierten die militärischen Künste des Prinzen Eugen von Savoyen den Habsburgern in ihren Konflikten einen souveränen Feldherrn. Politisch erwies er allerdings als Statthalter der Niederlande weniger Geschick… aber bis dahin verging das halbe Leben der jungen Erzherzogin.

Ihre Erziehung war die beste, sie interessierte sich für alles, durfte alles lernen und erhielt für ihre Fähigkeiten große Zustimmung von den kaiserlichen Eltern, die echte Familienmenschen waren – eine damals seltene Konstellation in Herrscherhäusern. Vermutlich war Maria Elisabeth für eine dynastische Ehe vorgesehen, aber sie war schon als Kind nicht hübsch und ab ihren Teenagerjahren war ihr Gesicht von Pockennarben bedeckt. Man hat später, als sie Regentin in den Niederlanden war, auch ihre Körperlichkeit ausführlich geschildert – ein gewissermaßen männlich klobiger Körperbau, später wurde sie sehr dick, keinerlei Weiblichkeit, weder in der Optik noch im Charme. Kein Wunder, dass sie auch als „Kaisertochter“ nicht „verkäuflich“ war.

Obwohl sie an einem überaus musisch-musikalischen Hof aufwuchs, bedeuteten ihr die Künste später nicht viel. Die Tochter einer fanatisch-religiösen Mutter übernahm deren „Gewohnheiten“ der Selbstgeißelung und des Tragens eines quälenden Bußgürtels. Ihre einzige Leidenschaft war die Jagd – später blieb sie in Brüssel dem Land jegliche fürstliche Repräsentation schuldig, statt Festen und Bällen veranstaltete sie lieber Jagden.

Die späte Karriere der Maria Elisabeth war nicht vorauszusehen. Gemeinsam mit ihrer jüngeren, stets kränklichen Schwester Maria Magdalena nannte man sie „die Leopoldinischen Herzoginnen“, die in der Hofburg hinter dem Schweizer Tor lebten und sich langweilten, denn außer den Messen und religiösen Festen gab es für sie nichts zu tun. Sie war 45 Jahre alt, als Prinz Eugen sich als Statthalter der Niederlande (er hatte die Stellung nie persönlich ausgeübt, sondern nur Stellvertreter geschickt) zurückzog und Karl VI., der seit 1711 Kaiser war, einen Ersatz brauchte. Es sollte ein hochrangiges Mitglied der Familie sein, und er traute seiner klugen Schwester diese Stellung zu. Tatsächlich hatte sie auch keine Schwierigkeiten, sie auszufüllen, abgesehen davon, dass sie zu viel Geld ausgab – allerdings vor allem für Wohltätigkeit…

Das Sonderinteresse von Autorin Sandra Hertel gilt den Hofzeremoniellen. Zu Beginn des Buches zeichnet sie auf mehr als 30 Seiten die Reise der Erzherzogin von Wien nach Brüssel nach, mit all den Schwierigkeiten, die sich aus dem Durchqueren fremder Hoheitsgebiete und dem Treffen mit anderen Staatsoberhäuptern ergaben. Auch das Wiener Zeremoniell und das dann doch andere in Brüssel – es war ein „Frauenhof“, wo andere Fäden gezogen wurden – wird in aller Ausführlichkeit behandelt, Strukturen, Personen, Verknüpfungen, Rituale, Imponderabilien, man hat es selten so detailliert erfahren.

16 „glanzlose“ Jahre in Brüssel lang verwaltete Maria Elisabeth die österreichischen Niederlade (die für Habsburg eigentlich nur ein weit entferntes, lästiges Anhängsel waren, das dem Herrscherhaus wenig bracht) im Sinn ihres Bruders, zeigt sich nur „widerspenstig“, wenn es um religiöse Fragen ging. Zu den negativen Beurteilungen, die Maria Elisabeth von der (an sich an ihr uninteressierten) Geschichtsschreibung erfährt, gehört immer wieder der Vorwurf, sie sei ein willenloses Werkzeug der Jesuiten gewesen, unter deren Einfluss sie am Wiener Hof herangewachsen war. Die Autorin ist überzeugt, dass der Widerstand, den Maria Elisabeth etwa der kirchenkritischen Bewegung des Jansenismus entgegensetzte, allein aus ihrer privaten Überzeugung erwachsen ist.

Dass der Dank des Hauses Österreich nichts ist, auf das man verlässlich bauen kann, erfuhr auch Maria Elisabeth. Als Karl VI., immer der liebende Bruder, für seinen Schwiegersohn Franz Stephan von Lothringen einen „Job“ brauchte, wollte er ihn in die Niederlande sehen – und wohin Maria Elisabeth heimkehren sollte, zerbrach man sich nicht den Kopf (sie sollte einfach nach Wiener Neustadt abgeschoben werden). Als sich dann die Verhältnisse änderten und Franz Stephan die Toskana erhielt, beließ man sie in Brüssel – aber nach dem Tod von Bruder Karl VI. 1740 merkte Maria Elisabeth schnell, dass ihre Nichte Maria Theresia keinesfalls sonderlich freundlich mit ihr umging.

Dass sie durch Maria Theresias Schwester und deren Gatten (Maria Anna hatte Karl Alexander, den Bruder von Franz Stephan von Lothringen, geheiratet) ersetzt wurde, betraf Maria Elisabeth nicht mehr – sie starb am 26. August 1741 im Alter von 60 Jahren in Brüssel. Ihre Frömmigkeit und ihr Amt hatten sie ihre Gesundheit gekostet – das ewige stundenlange Knien in der Kirche und das Eingepreßtsein in die Zeremonialgewänder schädigten ihren Körper so sehr, dass sie ein Nackenkorsett tragen musste, damit ihr Kopf gerade blieb, und setze sie andauernden Schmerzen aus…

Man tritt mit diesem Buch tief ins 17. / 18. Jahrhundert und in die Habsburgische Familie ein. Gewiss, was Maria Elisabeth geleistet hat, ist nicht in Berichten prunkvoller Ereignisse, in spektakulären Bauten oder großen Kunstsammlungen verewigt. Aber dass hier eine Frau von Verstand und Charakter eine sehr schwere Aufgabe sehr beeindruckend gemeistert hat – das wird zweifelsfrei klar.

Renate Wagner

 

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