Salzburger Festspiele (via arte):
ELEKTRA von Richard Strauss
Felsenreitschule
Livestream zeitversetzt auf ArteConcert
1.August 2020
Wer sein Handwerk versteht, und die Presseleute der Salzburger Festspiele tun das, der jubelt jede Vorstellung schon lange, bevor sie überhaupt stattgefunden hat, zum großen Ereignis hoch. Nicht nur, dass man sich ohne Grenzen loben lassen kann (ja, verdient, gewiß, selbstverständlich, natürlich, fraglos, eh klar), dass man überhaupt spielt, während andere sich zurücklehnen und einen ruhigen Sommer machen – das Gebotene muss exorbitant sein. Sagen wir einmal so: Die „Elektra“ in der Felsenreitschule, wie man sie aus zweiter Hand per Stream erleben durfte, war eine in manchem Detail gute und interessante Aufführung. Aber ein Ereignis? Eher nicht.
Da wird vor der Premiere auch immer so viel Wichtigtuerisches erzählt: „Es schadet es nichts, sich ein wenig in die griechische Antike zu vertiefen“, erklärt Regisseur Krzysztof Warlikowski. Er selbst gibt gleich zu Beginn Nachhilfeunterricht. Erst zirpt es enorm in der Felsenreitschule. Dann kommt eine Dame (wenn man es nicht weiß, wer sie ist, braucht man eine Minute sie zu identifizieren) – und sie spricht. Erzählt, mit blutbeschmierten Armen, wie sie ihren Gatten ermordet hat. Ist hoch zufrieden damit, geradezu triumphierend. Am Bühnenrand hockt – nun, ein junges Mädchen wohl. Weißes Kleidchen, rotes Jäckchen, Umhängetäschchen – und sehr böser Blick.
Ja, es ist Elektra, die jetzt (samt dem Publikum) gehört hat, was sie selbst am besten weiß: Ihre Mutter hat ihren Vater ermordet. Und nun soll es, Ankündigung der Regie, die „Familienaufstellung“ geben. Aber wo ist man eigentlich?
Die Gestaltung der Bühne (Bühne und Kostüme: Małgorzata Szczęśniak) ist an sich dazu da, dem Zuschauer einen Hinweis zu geben. Wo spielt diese Wahnsinnsgeschichte um Mord, Wut, Haß, Rache und wieder Mord? Ja, kommt in den besten Familien vor, scheint aber so unwirklich in dieser unpräzis szenischen Welt – ein bisschen Wasser am Boden (Castorf lässt grüßen), Videowände sowieso (Castorf lässt grüßen), gelegentlich rote Vorhänge, Beleuchtungskunststücke, aber eigentlich kein Raum zum Spielen.
Gut, wenn Chrysothemis sich zu Elektra gesellt und sich gleich den Oberteil auszieht, damit sie ihren hübschen roten BH zeigen kann, dann hocken die beiden Mäderln rauchend auf einer Couch zusammen. Da soll es um Leben und Tod gehen? Und auch Mama, die einen so schönen Theaterausbruch zu Beginn hatte, ist nicht so aufregend, wenn sie ihre Ängste zeigt. Besondere Beachtung des Zusammenspiels (welcher Regisseur täte das nicht?), wurde a priori gelobt. Man hat es eigentlich nicht gesehen.
Die Geschichte wirkt auch kaum überzeugender, wenn der erhoffte Bruder (im Norwegerpullover und ziemlich passiv) daherkommt, und der Stiefvater im eleganten Anzug macht auch nicht viel her. Wie kann es zwischen diesen Menschen, die Krzysztof Warlikowski da auf die Bühne stellt, um Leben und Tod und exzessive Grausamkeit gehen?
Im übrigen ist es in allen anderen Details auch eine jener „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“-Inszenierungen, die den Betrachter auf Trab hält, weil er dauernd nach Erklärungen sucht: Wieso haben die fünf Mägde eigentlich eine schwarze Mammie (so wie Scarlett O’Hara eine hatte), und was machen die da eigentlich? Und es gibt doch hier nur sechs Damen und zwei Begleiterinnen der Klytämnestra, wieso laufen dauernd Frauen herum, in Kostümen, die man nicht versteht (einiges scheint a la Jackie Kennedy auszusehen, andere wieder wie Internatskleider). Und der schmale Herr mit Blut im Gesicht, der da schweigend herumwankt, ist das der tote Agamemnon? Wo, zum Teufel, ist man da?
Nun, zumindest musikalisch ist man in der Oper. Zwei junge Frauen, hübsch und mädchenhaft (und zufälligerweise beide aus Litauen) sind ja nun nicht das, was wir aus legendären Zeiten als hochdramatisches Gigantinnen-Treffen Nilsson gegen Rysanek in Erinnerung haben. Mit denen hätte Franz Welser-Möst auch nicht die „Elektra“ dirigieren können, die er nun mit den Wiener Philharmonikern erarbeitet hat. Spürbar subtiler, auf Durchsichtigkeit, immer wieder einzelne Soloinstrumente hervorholend, raffiniertes Flirren und nur dort der große Ausbruch, wo er unvermeidlich ist, während das Orchester ja oft genug diese Oper „durchgebrüllt“ hat. Hier geht es evident feiner zu.
Ausrine Stundyte ist die Elektra mit leicht dunkler, leicht belegter Stimme, ein perfekter Kontrast zu dem helleren, durchdringenderen Sopran von Asmik Grigorian als Chrysothemis. Sie passen sehr gut zusammen, wenn man auch diese Mäderln nicht der großen, letalen Leidenschaften verdächtigen würde, bzw. ist die Diskrepanz zwischen außen und innen groß. Regiekonzept? Immerhin – im Treffen mit dem Bruder gewinnt Ausrine Stundyte auch im Gesang wunderbare Innigkeit, während ihr „Tanz“ am Ende dann doch nur (albernes?) Gezucke wird und eigentlich keine Triumphgebärde. Aber was ist denn in dieser Warlikowski-Welt, die letztendlich so kleinkariert-bürgerlich daher kommt, schon „groß“ in dem Sinne, wie Hofmannsthal und Strauss es einst gemeint haben?
Tanja Ariane Baumgartner, als Schauspielerin zu Beginn so stark, muss sich in der großen Szene der Klytämnestra vergleichsweise zurückhalten, tut es aber mit einem sehr potenten Mezzo. Derek Welton als Orest wirkt so durchschnittlich, wie sein Norweger-Pullover ihn aussehen lässt, dasselbe gilt für den Aegisth von Michael Laurenz im Anzug. Gewiß, es sind keine Superrollen, aber man hat sie doch schon höchst eindrucksvoll verkörpert gesehen.
Das Publikum musste an diesem Abend etwas beweisen, nämlich, wie toll es ist, dass in Salzburg Festspiele veranstaltet werden. Also applaudierte man einer Inszenierung, die im Grunde nicht viel erzählt, aber viel Lärm um nichts macht, über Gebühr.
Renate Wagner