Salzburger Festspiele (via arte):
Großes Festspielhaus:
COSI FAN TUTTE von W.A. Mozart
Premiere: 2. August 2020
Bis 31. Oktober 2020 im Stream (Renate Wagner)
Nachdem arte darauf gekommen ist, dass Österreich zu Europa gehört, was bei der Live-Übertragung der Premiere („Kann in ihrem Land nicht empfangen werden“ – warum? Keine Begründung) noch nicht der Fall war, ist die „Cosi fan tutte“-Aufführung der Salzburger Festspiele 2020 nun weltweit per arte Stream zu sehen (auch für Österreicher, die Stiefkinder, in deren Land ja Salzburg bloß liegt).
Immerhin, man muss dankbar sein – als Opernfreund und wohl auch als die Festspiele selbst, die diesmal so viel weniger Menschen erreichen können. Worldwide stehen die gebotenen Leistungen nun zur Information an – und viele Opernfreunde werden glücklich sein, zumindest auf diesem Umweg „dabei“ zu sein.
Niemand hat sich eine Pandemie ausgesucht (niemand hätte Anfang des Jahres, da man in tolle Zwanziger Jahre zu stürzen gedachte, so etwas für möglich gehalten), aber Gegebenheiten sind Gegebenheiten, und Anpassungsfähigkeit ist eine der großen menschlichen Eigenschaften. Wenn also durch bloße Abstandsregeln alte Möglichkeiten der Opulenz und Verschwendung ausfallen, die wir – auch im Kulturleben – möglicherweise überanstrengt und über-ausgereizt haben, dann zurück zur Schlichtheit. Was es, nebenbei erwähnt, früher auch schon gab, wenn auch aus anderen Überlegungen. Jetzt ist das „arme Theater“ erzwungenes Konzept.
So sieht jedenfalls die neue „Cosi fan tutte“ der Salzburger Festspiele aus, und wenn es eine späte Bühnenprobe noch ohne Bühnenbild und Kostüme wäre – ja, dann hätte man das, was man im Corona-Sommer 2020 für diese Mozart-Oper bekommt. Relativ leicht gekürzt, immer noch zweieinhalb pausenlose Stunden, und alles liegt auf den Schultern der Interpreten. Was ja grundsätzlich nicht schlecht ist.
Auf einer leeren Bühne mit zwei Eingangstoren (einmal wird ein Baum im Hintergrund projiziert) – Bühnenbildner Johannes Leiacker hat (sicher auf Wunsch des Regisseurs) keinerlei szenische Hilfsmittel geliefert außer ein paar Stufen, auf denen man gelegentlich sitzen kann – musste sich Christof Loy behelfen. Er tat es sichtlich ohne weiteres Konzept, aber soll man dafür nicht dankbar sein, hätte man eine weitere aufgeblasene Warlikowski-Willkür-Inszenierung gebraucht? Allerdings wird halt viel herumgestanden und, als Alternative, am Boden herumgewälzt. Junge Leute von heute, die da sichtbar auf der Bühne stehen, machen das – oder?
Einiges zur Optik, den Kostümen von Barbara Drosihn und Sonstigem. Die Herren sind entsetzlich geschmacklos gekleidet, die haben wohl bei den Lumpensammlern gewühlt, während die Damen von Anfang an (auch als sie noch nicht „trauern“) das ewig klassische „kleine Schwarze“ tragen. (Merks, Stöckelschuhe sind in hohem Maße kleidsam, aber man kann ganz schlecht damit laufen – das weiß jede Frau, und man merkt es hier dauernd.) Fiordiligi steht als schlecht oder gar nicht frisierte Dunkel-Blondine da, während Dorabella offenbar dieselbe Friseuse (Perückenmacherin) hatte wie Chrysothemis drüben in der Felsenreitschule. Überhaupt das Schwesternpaar – wie ähnlich sie sich hier und drüben sind, wenn sie da zusammen hocken. Bloß, sähe man die Fotos ohne Zusammenhang und ohne Kenntnis, wer sie sein sollen, wer würde da auf Elektra und Chrysothemis, auf Fiordiligi und Dorabella tippen? Gesichtsloses Jungvolk von heute…
Christof Loy inszeniert die gekürzte „Cosi fan tutte“-Fassung (Kollege Heinrich Schramm-Schiessl hat die Veränderungen aufgelistet) ohne erkennbare Eigenschaften, es sei denn, dass die jungen Leute mehr als üblich herumkalbern. Er erlaubt sich nur, eines der Grundelemente des Werks ebenso grundlegend zu verändern. Die Liebhaber kommen zu den Damen gänzlich ohne Verkleidung, was die ganze Geschichte (die ja immer wackelt) noch obsoleter macht. Aber wer verlangt unter den gegebenen Bedingungen schon Logik? Allerdings darf sich Despina verwandeln, als „Arzt“ mit Mundschutz (ja, lächeln wir darüber), als Advokat mit dem üblichen dummen Bart… Dass der Chor im Hintergrund bleibt, unsichtbar, stört in dieser „Fassung“ nicht. Schmalspur ist Trumpf.
Es gab viel Vorreklame für die Dirigentin Joana Mallwitz, was gerade die Emanzen (es gibt uns noch immer) nicht schätzen werden: Dass jemand eine Frau ist, soll bei der Beurteilung der Leistung so wenig ins Gewicht fallen wie die des männlichen (oder sonstigen) Geschlechts (oder die Hautfarbe oder die Herkunft): Nur dann finden wir uns in einer gerechten Welt wieder (ohne sie im geringsten gleich schalten zu wollen). Und dass Frauen alles können, was Männer können, bezweifelt inzwischen (hoffentlich) ohnedies niemand mehr. Auch nicht, mit den Wiener Philharmonikern eine auf Lockerheit und Leichtigkeit ausgerichtete „Cosi fan tutte“ zu dirigieren, die dem durchschnittlichen Niveau des Ganzen angepasst ist (nein, davon wird man nicht „noch in Jahren“ reden).
arte bedeutet Frau Gerlach mit ihren Hymnen, und sie schwärmte im voraus von der „großartig besetzten Premiere“. Nach Ansprüchen der Wiener Opernfreunde war es das wohl nicht – zwei Damen, der Sopran Elsa Dreisig (mit ein paar delizioso gesungenen Passagen) eher dunkel, der Mezzo Marianne Crebassa eher hell, der schöne Kontrast, den man bei den beiden Stimmen gerne hätte, kommt nicht voll zum Tragen. Dazu Andrè Schuen mit kernigem Bariton und Bogdan Volkov mit leider trockenem Tenor, der nicht aufblüht – nein, so kommt „Un’ aura amorosa“ wirklich nicht zur Geltung, niemand weint folglich um die zweite, gestrichene Arie.
Despina ist in Gestalt von Lea Desandre besonders hübsch, sonst allerdings nicht besonders. Und was Don Alfonso betrifft – den hat man schon von lustvoll boshaft bis bösartig als Figur mancherart geschärft erlebt (Michael Haneke hat ihn in seiner Madrider Inszenierung auch noch eng privat mit Despina verbunden): So besondere Akzente sind hier nicht zu erwarten, der übliche Intrigant eben. Johannes Martin Kränzle klingt stimmlich etwas hohl, aber das macht bei der einzigen „alten“ Figur (als solche ist er spürbar wie nie eingesetzt) auch nichts aus.
Also, Fazit: Alle geben sich sehr viel Mühe, unglaublich locker zu sein. Für „festspielwürdig“ hätte man dergleichen früher nicht erachtet. Aber es sind ja nun wirklich andere Zeiten angebrochen. Vielleicht läuten „Elektra und Cosi Jungspund“ eine spürbar ganz neue Ära ein, die nachhaltig sein wird? Ein Ziel aufs innigste zu wünschen? Das möge jeder für sich entscheiden… Aber eines sei festgehalten: Eine Aufführung wie diese über die Maßen hoch zu jubeln, würde bedeuten, alles zu vergessen, was wir kennen und wissen – und dass wir all unsere alten Maßstäbe in den Orkus geworfen haben.
Renate Wagner
Fotos: Monika Rittershaus/ Salzburger Festspiele