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SALZBURGER FESTSPIELE : Aribert Reimann LEAR

27.08.2017 | KRITIKEN, Oper
 Gerald Finley {König Lear),  Copyright (C) Thomas Aurin 0

Gerald Finley {König Lear), im Blumenrausch    Copyright (C) Thomas Aurin

Salzburger Festspiele 2017
Aribert Reimann  LEAR
3.Aufführung am 26.August 2017

 

Blutgetränkte Erbfolge

Keine Frage, der Stoff für das Shakespearsche Drama des Lear, der auf die Historia Regum Britannie des Geoffrey de Monmouth aus der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts zurückreicht, könnte aus einem Lehrbuch über Betriebsübergabe stammen, welches aufzeigt, wie man die aus Leichtgläubigkeit und Überheblichkeit resultierenden Konflikte vermeiden kann.

So wäre das Ritual, die Verkündung über die Aufteilung seines Erbes wohl noch die gelungenste Leistung Lears, aber ein fehlendes Übergabe-Consultants mit Rückfallklauseln und ein fehlendes Begleitungscoaching führten direkt in den tragischen Konflikt. „Erbschleicherei“ nennt sich das im alpenländischen Jargon, was da Goneril und Regan ihrem spendierfreudigen Vater an von diesem erwünschter Liebe vorgaukeln, nur Cordelia widersetzt sich solchem Getue vehement, was den Vater, verblendet durch Speichelleckerei und Heuchelei zur Verstoßung seiner ihn tatsächlich liebenden Tochter veranlasst. Das ist die Grundstory, die damit endet, dass erst nach Cordelias Tod Lear die Seelentiefe seiner Tochter erkennt und mit ihr in den Tod folgt.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass trotz großer stofflicher Breite für Opernkomponisten bei Shakespeare lediglich Giuseppe Verdi beim Lear-Stoff reges Interesse an dessen Vertonung zeigte, zu der es aber trotz fertigem Librettos von Salvatore Cammarano und Antonio Somma nicht kam, zumindest ist bis heute kein entsprechendes Entwurfsmaterial aufgetaucht. Pietro Mascagni gegenüber meinte Verdi angeblich auf dessen Frage, warum er nie den Lear komponiert hat: „Die Szene auf der Heide machte mir zu viel Angst.“.  Auch eine allenfalls fertiggestellte Lear-Oper eines anderen Komponisten mit Ausnahme jener von Reimann ist nicht bekannt.            

Ein Geschenk für einen Regisseur

Und das, was sich da an Handlung, an Szenen zwischen Abdankung und Tod der titelgebenden Figur abspielt, nennt Regisseur Simon Stone „für einen Regisseur ein Geschenk“. Und nützt das auch reichlich aus. Das sind etwa die orgiastischen Phantasmagorien des Lear und seines verbliebenen Hofstaates, die auf einer üppigen Blumenwiese gemeinsam mit leicht- bis gar nicht beschürzten Mädchen stattfinden. Oder es werden viele der im off sitzenden vermeintlichen „Zuschauer“, alles Salzburger Freiwillige als Statisten, vom brutalen Nachfolgeregime einzeln und Stil des IS mit blutrünstigem Ritual zu Tode befördert. Oder jene bekannte Szene auf der Heide bei Regen und Sturm, in der zusammen mit dem Narren der bereits irre Lear gerät. Da werden auch so nebenbei dem armen Gloster die Augen ausgedrückt und es wird Regan im Auftrag ihrer Schwester abgemurkst. Shakespeare at his best jedenfalls und Regisseur Simon Stone mit Bob Cousins als Bühnenbildner und Mel Page als Kostümbildnerin und auch Nick Schlieper mit seinem Licht sind in ihrem besten Element für eine wahrhaft gelungene Umsetzung.

Überlegenheit vom Pult, Verstörung aus der Musik

Auch nach den drei Jahrzehnten, nach einer besuchten Aufführung im Theater an der Wien, damals ein Gastspiel der Komischen Oper Berlin in einer Kupfer-Regie überrascht diese Musik in ihrer totalen Modernität, der nicht nachlassenden stringenten Klangsprache nach wie vor. Sie scheint ja auch aus jedem Wort des Textes zu kommen. Diese Musik kennt keine Kompromisse, sondern bestenfalls Verstörung, gibt keine Tonmalereien im spätromantischem Stil, im Gegenteil ist der Einsatz von Blech und vor allem des auf einer Seitenempore „ausgelagerten“ Schlagzeuges von prägnantester Wirkung. Nein, diese Musik ist nicht postmodern sondern noch frei von diesem Attribut! „Sie löst sich auf, sammelt sich wieder in neuer Form, wie in einer psychotischen Episode, paranoid und angsterfüllt.“ So der Regisseur treffend. Dazu die Wiener Philharmoniker mit einem souverän in seiner Zeichensetzung wirkenden Franz Welser-Möst, so als wäre diese Musik die tägliche Kost am Pult.

Eine hervorragende Sängerschar

Zuerst das Generallob für alle an der Produktion beteiligten, vor allem für all diejenigen, die auf der Bühne die schwierigen Aufgaben für diese Regiearbeit zu erledigen hatten, ob Sängerinnen oder Sänger, ob der Wiener Staatsopernchor oder die Statisterie.

Salzburger Festspiele Aribert Reimann "LEAR" - Oper in zwei Teilen (1976-1978), Libretto von Claus H. Henneberg nach William Shakespeares Tragödie King Lear in der Übersetzung von Johann Joachim Eschenburg (1777), Premiere: 21.8.2017, Musikalische Leitung: Franz Welser-Möst, Regie: Simon Stone, Bühne: Bob Cousins, Kostüme: Mel Page, Licht: Nick Schlieper,, Dramaturgie: Christian Arseni,  v.l.: Anna Prohaska (Cordelia),  Gerald Finley {König Lear),  Copyright (C) Thomas Aurin Gleditschstr. 45, D-10781 Berlin Tel.:+49 (0)30 2175 6205 Mobil.:+49 (0)170 2933679 Abdruck nur gegen Honorar zzgl. 7% MWSt. und Belegexemplar Steuer Nr.: 11/18/213/52812, UID Nr.: DE 170 902 977 Commerzbank, BLZ: 810 80 000, Konto-Nr.: 316 030 000 SWIFT-BIC: DRES DE FF 810, IBAN: DE07 81080000 0316030000

Anna Prohaska (Cordelia),Gerald Finley {König Lear)
Copyright (C) Thomas Aurin

Gerald Finley, mit großartiger Wortdeutlichkeit ist Lear, in seinem Triumph überlegen in seinem Abstieg von emphatischem Gesang, tragischer Größe aber zuletzt im Schmerz endend. Die schönste Szene hatten er und Cordelia, am Schluss, als sich Lear, aus der Schminke vom Körper seiner toten Tochter seinem Gesicht ebenfalls eine weiße Ensor-Maske aufträgt, ihnen beiden damit symbolisch den gemeinsamen Tod .

Cordelia, Anna Prohaska, berührte mit ihrem hellen Sopran, die beiden „bösen“ Schwestern zeigten dramatischen Ausdruck, Gun-Brit Barkmin als Regan, aber vor allem Evelyn Herlitzius mit schier ungezügelter Hochdramatik.

Michael Maertens musste als Narr und damit vielleicht etwas übertrieben wirkend, mit Mickey Mouse Maske und bunten Luftballons auftreten, Mathias Kink war ein eindringlicher Graf von Kent, Lauri Vasar war als Gloster das bedauernswerte Opfer der Augenausstecherei, berührend in seiner Hilflosigkeit und mit Kai Wessel war als Edgar ein interessanter Counter aufgeboten. Als dessen Halbbruder Edmund, trat Charles Workman mit seinem gut geführten, markanten Tenor in Erscheinung.

Das Publikum feierte seine Sänger und einen großartigen Abend ausgiebig.

 

Peter Skorepa
OnlineMERKER

 

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