SALZBURGER PFINGSTFESTSPIELE
OTELLO von Gioachino ROSSINI
9.Juni 2014

Verschwenderische Breitwandfülle in Salzburg ——Foto:Salzburger Festspiele/Silvia Lelli
Gibt man im Online-Archiv der Wiener Staatsoper das Werk „Otello“ ein, so erscheinen lediglich Aufführungen der Verdi-Oper; auch sonst erbringt die Suche bei Google für den Rossini-Otello nicht viele Treffer. An CDs ist vom Rossinischen Otello eine einzige Aufnahme rasch erhältlich; eine 1979 bei Philips erschienene CD unter Lopez-Cobos mit Carreras und von Stade ist vergriffen, sonst gibt es offenbar keine offiziellen Einspielungen. Bei YouTube gibt es eine Gesamtaufzeichnung aus Pesaro, sonst nur Ausschnitte. (Es gibt eine sehr schöne Gesamtaufnahme bei Opera Rara (ORC 18) mit Bruce Ford, Elizabeth Futral, Ildebrando D`Arcangelo, William Matteuzzi etc.). Und natürlich gibt es viele Hinweise auf die diesjährige Pfingstfestspielproduktion, die bereits in bereits in Zürich, Paris und Antwerpen gespielt wurde (und von welcher nun eine DVD herausgebracht wurde).
Obwohl diese eine Aufführung am Pfingstmontag musikalisch und optisch sehr gelungen war, ließ sie doch verstehen, weshalb es die Oper von Verdi ist, die sich durchgesetzt und den im 18. Jahrhundert sehr erfolgreichen Otello fast völlig aus den Spielplänen verdrängt hat.
Dies liegt zum einen an den Schwierigkeiten, die die Besetzung des Rossini-Otello für ein Opernhaus bedeutet: Otello und sein Rivale Rodrigo sind zwei gleichwertige, sehr fordernde Tenorpartien, zwei primi uomini, denen zur Seite ein weiterer Tenor mit äußerst schwierigen Ensembleszenen– Jago – steht, und es gibt drei Nebenrollen (in der Salzburger Aufführung wurde eine dieser Nebenrollen von Rodrigo übernommen), die ebenfalls mit Tenören besetzt sind.
Zum Zweiten sind es aber wohl die eklatant dramaturgischen Schwächen dieser Oper, die das Werk zu einer Rarität werden ließen – hier zeigt sich wieder, dass das Bessere Feind des Guten ist. Musikalisch bietet auch Rossini sehr viel, vor allem in den Ensembleszenen und im dritten Akt für Desdemona – ihr Weidenlied ist an Schönheit jenem von Verdi gleichwertig – aber insgesamt ist das Alterswerk Verdis musikalisch ungleich dramatischer und stringenter. Schon der Beginn der beiden Opern kann unterschiedlicher kaum sein: wo Verdi das Publikum mit einem Orkan aufschreckt, erklingt bei Rossini eine heitere Ouvertüre, die er – ich zitiere das Programmheft – „unter Zuhilfenahme zweier kurz zuvor komponierter Opern, Sigismondo und Il Turco in Italia …montiert hat“.
Dem um EUR 9,50 nicht wohlfeilen, aber informativen Programmheft ist ferner zu entnehmen, dass das Textbuch auf einer französischen und einer italienischen dramatischen Bearbeitung des Shakespeareschen Othello basiert. Diese Vorlagen hat der Librettist Francesco Berio auch noch teilweise massiv gekürzt, was inhaltliche Lücken, fehlende Logik und Brüche von Handlung und Charakteren mit sich gebracht hat. Es ist schon erstaunlich, was man aus einer derartigen Vorlage wie dem Shakespearschen Drama machen konnte – und heute werden alle Schwachstellen des Libretto durch die Übertitelungsanlage gnadenlos offen gelegt.

John Osborne als Rächer vermeintlicher Untreue, sein Opfer Cecilia Bartoli——-Foto: Salzburger Festspiele/Sivia Lelli
Der in meinen Augen größte Schwachpunkt des Libretto ist, dass im Unterschied zu Shakespeare und Verdi bei Rossini ausschließlich der Niedergang der Liebe gezeigt wird, nicht aber das Glück der Liebe zwischen Otello und Desdemona. Die beiden, heimlich verheiratet, treten nie als Liebespaar auf; schon im ersten gemeinsamen Auftritt äußert Otello nur mehr Misstrauen und Eifersucht („l’ingrata…al mio rival accanto!“), Desdemona wiederum bekennt sich in Anwesenheit ihres Vaters nicht offen zu Otello und ihrer Ehe. Damit nimmt man als Zuschauer aber keinen rechten Anteil am Scheitern eines großen Gefühls, sondern wird nur Zeuge von Eifersucht, Verzweiflung und Wut, deren Ursache man doch nicht recht nachempfinden kann.
Die Figur des Jago ist bis zur Unkenntlichkeit reduziert, dafür wird die Nebenrolle des Rodrigo – von Shakespeare als getäuschtes Werkzeug des Jago erschaffen – bei Rossini zu einem auch musikalisch vollwertigen Rivalen des Otello vergrößert. Erweitert wird die Handlung auch um den fortlaufenden Konflikt zwischen Vater (Elmiro, endlich ein Bariton – der Einzige in dieser Oper) und Tochter. Desdemona steht nicht zu ihrer Liebe und Hochzeit mit Otello, wie sie das bei Shakespeare vor Gott und der Welt tut, sondern verheimlicht diese aus Furcht vor dem polternden, Otello hassenden Vater.
Nun sind Unklarheiten und fehlende Logik in Belcanto-Opern keine große Überraschung und haben bis heute in durchgehenden Erfolg vieler Opern nicht verhindert; bei einer Oper wie dieser, die unter dem Druck der berühmteren namensgleichen Oper steht, hätte die Inszenierung mithelfen müssen, die Personen schlüssig zu machen.
Dies ist dem Regieteam Moshe Leiser und Patrice Caurier meiner Meinung nach nicht gelungen. Sie haben, wie sie das gerne tun, die Oper zeitlich verlegt, und zwar in die 60er Jahre, da damals für eine Tochter aus guter Familie es sehr schwierig war, ihren Lebenspartner frei zu wählen. Nun wirken aber die Personenführung, so wie die schönen und tragbaren Kostüme (Agostino Cavalco) und die stimmigen Bühnenbilder des Christian Fenouillat, gar nicht so sehr nach den sechziger Jahren, sondern ziemlich heutig (auch wenn Smartphones fehlen). Und damit sind die Hauptpersonen der Oper schwer nachzuvollziehen.
Dies betrifft zunächst den Otello: Leiser und Caurier betonen den tatsächlich sehr deutlich rassistischen Aspekt der Ablehnung, die Otello von Elmiro, Rodrigo und Jago entgegenschlägt. Offenbar um die Wirkung dieses ständigen Rassimus zu verdeutlichen, nimmt die Regie Otello jeglichen Zug eines erfolgreichen Kriegers und Helden oder auch nur eines mutigen Mannes (so wird er in Uniform bereits bei seinem Triumphempfang im ersten Akt vom Smokingträger Rodrigo fast geohrfeigt, ohne sich zu wehren). In weiterer Folge zeigt er nur rasende und bösartige Eifersucht gegenüber Desdemona, aber keine positive Seite, und so fragt man sich, weswegen sich Desdemona überhaupt in ihn verliebt hat, und weshalb sie ihn weiterhin liebt.
Bei Desdemona wiederum sollte ihre eigenständige und mutige Seite gezeigt werden, und so tritt Cecilia Bartoli zuerst durchaus selbstbewusst und italienisch temperamentvoll auf. Dies passt aber nicht zum nachfolgenden Zaudern gegenüber ihrem Vater, offen zu Otello zu stehen, und es lässt nicht nachvollziehen, warum es ihr im zweiten Akt in der Konfrontation mit ihrem Mann nicht gelingt, diesen zum Zuhören zu bringen, und die ganze Intrige aufzuklären, statt biedermeierlich in Ohnmacht zu sinken.
Recht wenig ist der Regie zu dem in Desdemona verliebten und ihrem Vater geförderten Rodrigo eingefallen – dieser hat ein wunderbares Terzett mit Desdemona im ersten und ein ebenfalls sehr schönes Duett im zweiten Akt, in dem die Stimmen viel inniger miteinander klingen, als dies jene von Desdemona und Otello jemals tun; in der Personenführung findet diese Harmonie keinen Wiederklang und keine Reaktion. Lediglich bösartig ist Vater Elmiro dargestellt, vom Rempeln eines farbigen Kellners (dessen Tablett samt Gläsern prompt in einem sehr schönen und schwierigen Hornsolo zu Boden klirrt) über die Ohrfeige für seine Tochter bis zum Hintreten auf den sterbenden Otello lässt er keine Gemeinheit aus.
Und so bleibt der musikalische Teil der Aufführung: Hauptperson der Oper und des Nachmittags (die Oper begann um 16 Uhr bei sengender Hitze) war Cecilia Bartoli als Desdemona. Stimmlich ließ sie keine Wünsche offen. Vom innigen Anfangsduett mit Emilia (Liliana Nikiteanu), dem Terzett mit Roderigo und Emilio, über die dramatischen, koloraturreichen Ausbrüche in den ersten beiden Akten zum herrlichen mehrstrophigen Weidenlied – dem ungeheuer fesselndem Höhepunkt der Aufführung, in dem zunächst ein grammelnder Plattenspieler die Harfenbegleitung spielte – bis zur Sterbeszene war sie sängerisch makellos. Darstellerisch war sie ebenfalls sehr intensiv, aber es waren eben mehrere nicht zusammen passende Persönlichkeitsfacetten, die sie spielte. Als Cleopatra in der wunderbaren Aufführung zu Pfingsten vor zwei Jahren, als Norma voriges Jahr (jeweils mit dem selben Leading Team) oder als Semele im Theater an der Wien war ihre Gesamtdarstellung stets aus einem Guss, dies fehlte mir diesmal.
Als Otello hat John Osborn gleich zu Beginn seine einzige Arie zu singen, sie gelang, was die Höhen betraf, nicht fehlerlos; in den dann folgenden zahlreichen fordernden Ensembleszenen war er deutlich besser und sehr höhensicher, aber ohne besonderen Schönklang. Rodrigo (Edgardo Rocha), ein fescher junger Tenor aus Uruguay, gefiel mir wegen seines Timbres besser als Osborn, er meisterte die schwierige Partie souverän und war in den lyrischen Stellen mit Bartoli wunderbar. Als Jago überzeugte Barry Banks stimmlich, wobei seine Partie undankbar ist: eine Höhe nach der anderen, aber keine eigene Arie, und vom Paradeschurken der Weltliteratur bleibt nur eine Intrigantenrolle übrig. Peter Kálmán als Elmiro stach mit einem (durch das große tenorale Umfeld) besonders markant und männlich klingenden Bariton hervor. Eine kleine, aber musikalisch besonders schöne Rolle hat Liliana Nikiteanu als Emilia, die Vertraute von Desdemona (und hier nicht mit Jago verheiratet). Zu Recht erhielt sie besonderen Applaus, im Zusammenklang mit Bartoli harmonierte sie als tieferer Mezzo, das es eine Freude war. Als Uraltdoge war (in einer weiteren Tenorrolle) Nicola Pamio zu hören, warum er einen derartigen Greis darstellen musste, erschloss sich nicht. Einen kurzen, aber sehr wirkungsvollen Einsatz hatte Enguerrand de Hys als Dante rezitierenden Gondoliere.
Jean-Christophe Spinosi leitete routiniert und flott, wenngleich nicht ganz ohne „Wackler“ bei ein paar Chorstellen (gut, aber nicht weiter auffällig, der Choeur du Theâtre des Champs-Elysées) das Ensemble Matheus, dessen Streicher einen Tag nach der „Götterdämmerung“ in Wien zwar etwas hart für die verwöhnten Ohren klangen, das aber die vielen solistischen Passagen für das offenbar virtuose napolitanische Orchester, für das Rossini komponiert hatte, bravourös spielte.
Susanne Kosesnik-Wehrle