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SALZBURG/ Osterfestspiele: ARABELLA – Stehtheater mit Uraufführung

13.04.2014 | KRITIKEN, Oper

Stehtheater mit Uraufführung — „Arabella“ bei den Salzburger Osterfestspielen 12. April 2014

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Hanna Elisabeth Müller (Zdenka), Daniel Behle (Matteo) , Foto: Barbara Zeininger

 Samstag abend begab sich sich also, die Uraufführung von Richard Strauss — unbemerkt von einem Großteil des Publikums, das sich nicht nur der Herausforderung der ungekürzten Fassung des Werkes gegenüber sah, sondern welchem auch nach dem zweiten Akt keine Pause zugestanden ward. Wer hätte dies auch im Jahr 2014 vermutet, wo doch weder die Texte im Programmheft noch das abgedruckte Libretto einen Hinweis darauf gaben? Sollte dies ein Test Christian Thielemanns gewesen sein, dann haben ihn weder das Publikum noch die professionellen Berichterstatter bestanden — auch das eine Erkenntnis des gestrigen Abends…

 Man schrieb Juli 1942, als Clemens Krauss im Zuge der Vorbereitung einer Neuproduktion der „Arabella“ für den „Salzburger Theatersommer“ an Richard Strauss mit der Bitte herantrat, für das Couplet der „Fiakermilli“ eine zweite Strophe auf einen Text des Regisseurs Rudolf Hartmann zu komponieren. Strauss, der seine Meinung zu dieser Partie seit der Uraufführung 1933 geändert hatte, bekannte in einem seiner Briefe: „ein Mannweib in Kanonenstiefeln — Grundlegendes läßt sich leider nicht mehr ändern“, setzte sich an seinen Schreibtisch und komponierte. Leider verletzte sich jedoch die Sängerin der Fiakermilli während der Proben am Knie, und so wurde es nichts mit der Uraufführung…

 Particell und Paritur wurden von Viorica Ursuleac, der damaligen Arabella und späteren Ehefrau Clemens Krauss’s, im Dezember 1982 der Österreichischen Nationalbibliothek übergeben und sind heute Bestandteil des Clemens Krauss-Archivs. (Die Heirat erfolgte nach dem zweiten Weltkrieg, um die Abschiebung Frau Ursuleacs nach Rumänien zu verhindern.) Die „Internationalen Richard Strauss-Blätter“ publizierten 1991 und 1992 mehrere Aufsätze darüber, doch Herr Kapellmeister Thielemann scheint der erste gewesen zu sein, der auf diesen Umstand aufmerksam (gemacht) wurde — und handelte.

 Nach dem „Parsifal“ 2013 hielten die Staatskapelle Dresden unter ihrem Chefdirigenten nun also mit Richard Strauss’s „Arabella“ Einzug in die Mozartstadt, als Co-Produktion mit der Semperoper, wo Florentine Klepper’s Inszenierung ab November im Rahmen der „Richard-Strauss-Tage“ gezeigt werden wird.

Martina Segna schuf ein schwarzes, weiß umrandetes Bühnenportal im Stil des Fin de Siècle und verkleinerte so die Bühne des Großen Festpielhauses links und rechts um ca. acht Meter. Für den ersten Aufzug schuf sie eine von rechts nach links und wieder zurück fahrende Zimmerflucht der Waldnerschen Hotel-Suite, spartanisch eingerichtet, ohne Kästen in den Schlafzimmern und ohne Schreibtisch oder Abstelltisch im Salon; — ein weiteres Beispiel für den in Theaterkreisen geradezu inflationär auftretenden sekundären Analphabetismus, steht doch in der Partitur vor dem Beginn des ersten Aufzuges: „Salon in einem Wiener Stadthotel. […] Der Salon ist reich und neu möbliert im Geschmack der 1860er Jahre.“

Der zweite und der dritte Aufzug spielten in der Hotelhalle, nicht im Ballsaal, wodurch man sich der von Hofmannsthal und Strauss erdachten und komponierten Auf- und Abtrittsmöglichkeiten begab: Wenn Arabella und Adelaide zu Beginn des zweiten Aktes auftreten, erklingt in den Streichern ein absteigendes Motiv, und in der Partitur kann man als Anmerkung lesen: „[…] Arabella und hinter ihr Adelaide, von mehreren Herren begleitet, steigen langsam die Treppe von der Estrade herab. […]“ Dasselbe Motiv wiederholt sich im dritten Aufzug (Ziffer 138, nun von B- nach Es-Dur transponiert), als Arabella, wieder im Hotel, mit dem vollen Wasserglas in der Hand die Treppe zum erstaunten Mandryka hinuntersteigt. Frau Kleppers Inszenierung kennt jedoch keine Treppen, nur einen Aufzug (1860? Wiener Stadthotel?), und so verpuffen die liebevoll gearbeiteten musikalischen Details…

 Anne Sofie Tuma (Kostüme) kann, obwohl in Wolfenbüttel geboren, ihre Vorliebe für die warmen Gegenden unseres Planeten nicht verhehlen: Wenn Arabella vom „Spazieren auf dem Ring mit der Begleiterin“ zurückkehrt, trägt sie zwar einen Muff, doch wenn es am Ende des ersten Aufzuges darum geht, mit dem Grafen Elemer im Schlitten in den Prater zu fahren, muß die Arme ebenso frieren wie zu Beginn des dritten Aufzuges, wo man ihr für die Fahrt im Fiaker vom Ball weder Pelz-Cape noch Handschuhe und Muff zugesteht. Auch sonst nimmt man es mit den Kostümen und der Zeit nicht so genau, wenn z.B. die Ballgäste zum Frack keine Lackschuhe tragen… Man mag einwenden, dass dies Kleinigkeiten sind, doch sollte man nicht vergessen, dass die Familie Waldner immerhin einen Grafentitel trägt und mit Sicherheit penibel darauf bedachtet war, den Schein der Solidität so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.

Frau Kleppers Personenführung läßt in diesem Licht einiges zu wünschen übrig: Nie und nimmer hätte sich ein Graf Elemer einfach gesetzt, ohne von Arabella dazu aufgefordert worden zu sein, geschweige denn, dass er sich im Salon der Familie eine Zigarette angezündet hätte. Auch auf die Champagner-Kübel im zweiten Akt wartet man vergeblich, und da sich nach dem großen Liebesduett zu Beginn des zweiten Aufzugs die Rückwand der Hotelhalle öffnet — angeblich, um die Surrealität und Arabellas Traumwelt darzustellen. In dieser verabschiedet sich Arabella von den drei Grafen Elemer, Dominik und Lamoral, während eine Schar an Kavalieren Schlange steht, als ob wir es hier nicht mit einer höheren Tochter, sondern mit einem leichten Mädchen zu tun hätten…

 Aber die Musik? Die Staatskapelle Dresden versuchte ihr möglichstes, mit der offensichtlich stark von ihrem Stammhaus abweichenden Akustik des Großen Festspielhauses zurechtzukommen. Ganz wollte ihr dies allerdings (noch) nicht gelingen, die Balance der einzelnen Gruppen war nicht perfekt. Zwar hatte Christian Thielemann mit dem Orchester gearbeitet, die Intentionen, diesem unter seinem Wert gehandelten Werk Gerechtigkeit widerfahren zulassen, waren nicht zu überhören, aber noch war man am Ziel nicht angekommen. Wieder daheim wird das Ganze gewiss anders klingen und schon bald wie der „Rosenkavalier“ im Juni 2013. Dazu kommt, dass man als Besucher des Hauses am Ring den weichen, silbrigen Strauss-Klang des Staatsopernorchesters im Ohr hat — da klang die Solo-Viola bei „Mein Elemer…“ leider sehr grob, wie auch in manchen Passagen die anderen Streichersektionen.

Man muss Herrn Thielemann nicht mögen, aber seine Interpretation der „Arabella“ ließ hören, daß man auch mit knapp 100 Mann Orchester Kammermusik spielen kann. Interessant auch, dass dem Strauss’schen Sprechgesang in manchen Stellen zum Durchbruch verholfen wurde, über die sonst meist hinwegdirigiert und -gesungen wird. Aber da stehen die nicht-gebundenen Noten in der Partitur…

 Der Papierform nach war dies von den Sängern her „die“ „Arabella“-Produktion des Jahres. Leider ziehen aber die Zeiten auch an den Sängern der Hauptpartien nicht spurlos vorüber. Selbstverständlich, Renée Fleming ist immer noch eine würdige Vertreterin der namensgebenden Partie, aber in der Tiefe fehlt dann hie und da schon das Volumen (z.B. bei „[…] mir ist ja, wie wenn eine Angst mich überfiele“), die Stimme wird uneinheitlich. An einigen Stellen waren Portamenti zu hören, die so nicht in der Partitur stehen. Am wohlsten fühlt sich Mrs. Fleming in der Mittellage, da zeigt sie jenen silbrigen Klang, für welchen sie berühmt ist, und in den — leider nicht immer ganz verständlichen — Höhen. Im großen Liebesduett gab Mrs. Fleming eine Probe ihrer Phrasierungskunst und ihres langen Atems — wieviele Sopranistinnen müssen z.B. bei „[…] auf den die Sonne blitzt“ trotz des Legato-Bogens unterbrechen und Atem holen?

 Thomas Hampson war in der Darstellung und der Mittellage der Edelmann par excellence. Leider trübten immer wieder wegbrechende Höhen  (z.B. f‘ und ges‘ bei „[…] wer das Gesicht gesehen hat, und tritt nicht als Bewerber auf […]“) den Gesamteindruck. Abgesehen davon strömte seine Baritonstimme, und so viele Interpreten dieser Partie, die nicht nur Töne singen, sondern auch phrasieren können, gibt es heutzutage leider nicht.

 Hanna-Elisabeth Müller erhielt als Zdenka den stärksten Applaus. Sie lieferte sicher gesanglich die beste Leistung des Abends. Die Stimme sprang in allen Registern gut an, und nach einem etwas lauten und forcierten ersten Aufzug (die Umstellung auf das große Haus?) konnte man eine Zdenka hören, welche man — bitte mit zurückgenommener Stimme — in den nächsten Jahren auch in Wien begrüßen möchte.

 Albert Dohmen war ein solider Graf Waldner, der sich Gottseidank nur manchmal im Wienerischen versuchte — aber diese Partie konnte man in Wien in den letzten Jahren von älteren Sängern mindestens ebenso gut gesungen hören… Darstellerisch gab er den nur am Kartenspiel interessierten Familienvater: Wenn Frau Klepper Daniel Behle als Matteo im dritten Aufzug bei „Reichen Sie mir Ihre Hand, mein Herr!“ in zehn Metern Entfernung plaziert, ist dies nicht Herrn Dohmens Schuld. Herr Behle empfahl sich für zukünftige Wiener Aufführungen. Daß die zwei „h“ im dritten Aufzug nicht so klangen, wie dies Michael Schade noch vor einem Jahr in Wien vorführte, eint Herrn Behle mit unzähligen Kollegen. Ein wenig mehr Vertrauen in seine Fähigkeiten, ein wenig Zurücknahme und dafür mehr Phrasierung würde man sich bei zukünftigen Darbietungen wünschen.

Gabriela Benačková  sang die Adelaide und weckte Erinnerungen an alte Zeiten, ebenso Jane Henschel als Kartenaufschlägerin. Warum sie im zweiten und dritten Akt als verschwörerischer Schatten über den Bühnenhintergrund huschen musste, wird wohl ebenso Frau Kleppers Geheimnis bleiben wie die Erklärung dafür, warum die Interaktionen der Protagonisten oft zu wünschen übrig ließen. Da wurde in Duetten nebenher statt zueinander gesungen, dort wurden Anmerkungen in der Partitur durch Bühnenaktionen konterkariert oder fanden gar nicht statt…

 Derek Welton (Graf Dominik), Steven Humes (Graf Lamoral) und Benjamin Bruns (Graf Elemer) sangen Arabellas Verehrer und erfüllten ihre Aufgaben gut. Herrn Bruns’s Stimme ließ erahnen, daß ihm der Tamino immer ferner rückt, man sich dafür auf ein Wiedersehen als Steuermann freuen darf.

 Und die Fiakermilli? Daniela Fally — zuerst im weiß-schwarzen Reiter-Dress mit schwarzen Stiefeln und Gerte, danach in einer in Farbe und Form Arabellas gleichender Robe — sang diese undankbare, aber wichtige Partie mit der von ihr gewohnten Hingabe. Als Fiakermilli muss sie derzeit wohl keine Konkurrenz fürchten, wenngleich die eine oder andere Koloratur ein wenig schrill klang. Auch wurde sie mit der Uraufführung der zweiten Strophe des Couplets belohnt.

 Das Leading Team mußte einige Buhrufe einstecken — kein Wunder bei der dieser Leistung. Aber vielleicht bringt die Tatsache, daß „Arabella“ in den Händen deutscher Regisseure immerzu ein einziges, großes Mißverständnis wird (Herrn Bechtolfs Wiener gescheiterter Versuch ist ein weiteres Beispiel), ein paar Operndirektoren auf die Idee, es einmal mit jemandem zu versuchen, der die Partitur nicht nur als „unverbindliche Empfehlung“ von Komponist und Textdichter betrachtet? Es wäre uns allen zu wünschen.

Thomas Prochazka

             Korrektur am 24. April 2014: Im Originalbeitrag wurde das Jahr der Übergabe der nachkomponierten Strophen   des Couplets der Fiakermilli mit 1972 angegeben. Tatsächlich erfolgte die Übergabe an die Nationalbibliothek im Dezember 1982.

Das mag zwar nur ein Detail sein, aber die Fakten sollten eben doch stimmen. Wenn man sich irrt, sollte man es zugeben und, falls möglich, korrigieren.

 

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