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SALZBURG / Landestheater: EUGEN ONEGIN. Neuinszenierung

10.03.2014 | KRITIKEN, Oper

SALZBURG/Landestheater: EUGEN ONEGIN – NI am 5.3.2014

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Zhala Ismailova. Copyright: Salzburger LT/Christina Canaval

André Heller-Lopes, der begabte und vielseitige brasilianische Nachwuchsregisseur, machte im frühlingshaft winterlichen Salzburg nach seiner erfolgeichen und unkonventionellen „Tosca“-Inszenierung 2010 ebenfalls am Landestheater (LT), damals im Haus für Mozart, einmal mehr mit einer einfallsreichen Neuinszenierung auf sich aufmerksam, dem „Eugen Onegin“. Unterdessen hat Heller-Lopes am Teatro Municipal von São Paulo eine weithin beachtete Inszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“ begonnen, die erste rein brasilianische Produktion der Tetralogie überhaupt.

Hellers Sicht und seine szenische wie dramaturgische Umsetzung (Tobias Hell) des „Eugen Onegin“ in Salzburg macht deutlich, warum Pjotr I. Tschaikowsky sein Meisterwerk „Lyrische Szenen in drei Aufzügen“ und nicht „Oper“ nannte. Kräftige Farben charakterisieren gleich zu Beginn im Spiel mit folkloristisch tänzerischer Lebhaftigkeit die Volkskunst der Heimat des russischen Großvaters des Regisseurs. Sie übten auf ihn immer schon eine große Faszination aus. Dabei liegt Heller, wie er immer wieder auch in anderen Inszenierungen beweisen konnte, das ebenso geschmack- wie bedeutungsvolle Spiel mit Farben ganz besonders – sicher auch ein ästhetisches Erbe seiner brasilianischen Heimat, in der farbige tropische Üppigkeit Symbolkraft hat. Für Heller steht das Schicksal der Protagonisten im Mittelpunkt der Handlung, ganz wie Tschaikowsky es selbst wollte. Auf den Vorwurf begrenzter Bühnenwirksamkeit seines „Eugen Onegin“ antwortete der Komponist seinem Freund und Kritiker Sergey Tanejew einst: „Keine Zaren, keine Volkstumulte, keine Schlachten, keine Märsche.“ (Silvia Kalser im informativen Programmheft). Ihn interessierte das Seelenleben seiner Antihelden, ihre Empfindungen, Nöte und Sehnsüchte, auch in einem durchaus biografischen Kontext.

So stellt Heller-Lopes die fröhlich-naive Idylle des unbeschwerten und von Alexander Korobko gekonnt choreografierten Landlebens von Pushkins „Njanja“ in frühlingshaften Farben und ebenso bunten Kostümen (Nicole von Graevenitz) der totalen Tristesse der in fahlem Weißgrau gehaltenen Duell-Szene und der skurrilen, in ritualisierten Bewegungen erstarrten Ball-Gesellschaft in strenger Schwarz-Weiß-Ästhetik um Fürst Gremin gegenüber. Mit dem an den venezianischen Karneval erinnernden Maskenspiel suggeriert Heller subtil ein seiner Meinung nach „fast schon übernatürliches, unrealistisches Moment“ dieses Landlebens. Für ihn stehen Freude und Traurigkeit, Leidenschaft und Verwirrung, die Farben der Jugend und die Trostlosigkeit des seelenlosen gesellschaftlichen Lebens in „Eugen Onegin“ gleichberechtigt nebeneinander. So entfalten in dieser Produktion alle „Lyrischen Szenen“ ihre jeweils ganz eigene Intensität, ein klar erkennbares Innenleben. Skurrilität und ein gewisser Surrealismus waren immer schon Hellersche Markenzeichen und werden auch hier wieder gezielt und pointiert eingesetzt. Subtil sind in seinem „Raumkonzept“ schon von Anfang an alle AkteurInnen durch einen großen weißen Bühnenrahmen des Einheitsbühnenbildes von Karl-Heinz Steck in ihrer Entwicklung symbolisch gehemmt, ja wirken trotz aller Leichtigkeit von diesem starren Rahmen wie von dem berühmten Damoklesschwert bedroht.

Mit einer exzellenten Personenregie gelingen dem Regisseur ebenso eindrucksvolle wie überzeugende Charakterstudien, bis in die Nebenrollen, wie beispielsweise dem Triquet von Franz Supper. Dafür stellt das Salzburger LT ein junges und äußerst begabtes Ensemble an SängerdarstellerInnen zur Verfügung, welches zudem in ausgezeichnetem Russisch singt. Die blutjunge und bildhübsche Russin Zhala Ismailova singt und spielt eine zunächst authentisch mädchenhafte, spontan verliebte Tatjana, die am Ende damenhaft gereift, aber jung geblieben, die ganze Tragik ihrer und Onegins Situation erfasst und mit viel Empathie glaubhaft über die Rampe bringt. Ihr glasklarer, frischer und dazu völlig höhensicherer Sopran könnte nicht besser zu diesem Rollenprofil passen. In trefflicher stimmlicher und darstellerischer Komplementarität gibt die junge US-Amerikanerin Emily Righter eine vergnügungsbesessene und etwas leichtfertige Olga mit einem klangvollen und geschmeidigen Mezzo. Ein neues hoffnungsvolles Ensemblemitglied am Salzburger LT! Das gute Damenensemble wird von Frances Pappas als klangvoller Larina und Anna Maria Dur als ebenso stimmschöner Filipjewna homogen abgerundet.

Der ebenfalls noch junge Simon Schnorr, bereits seit 2009/2010 Ensemblemitglied am Salzburger LT, ist ein unglaublich authentischer Onegin, der nicht nur darstellerisch alle Facetten, Höhen und Tiefen dieser komplexen Rolle zu gestalten weiß, sondern auch mit einem klaren, prägnanten und dabei ebenso klangschönen wie wortdeutlichen Bariton überzeugt. Auch optisch wirkt Schnorr für die Rolle wie geschaffen. Der Russe Sergey Romanovsky gibt den Lenski von Beginn an als traurigen, ja leicht depressiven Verlierer. Sein Tenor hat sogar leicht heldisches Format bei durchaus guter Höhensicherheit, verfügt aber nicht über die wünschenswerte Wärme im Klang und auch nicht über besonders große Resonanz. Der junge Weißrusse Alexey Birkus, seit dieser Saison ebenfalls Ensemblemitglied am Salzburger LT, etwas unglaubhaft auf alt getrimmt, singt den Gremin jedoch mit klangvollem und wortdeutlichem Bass bei guter Phrasierung und souveränem Ausdruck. Roland Faust als Hauptmann, Rudolf Pscheidl als Saretzki und Vesselin Hristov als Vorsänger komplettieren das Ensemble. Der von Stefan Müller bestens einstudierte Chor und Extrachor des Salzburger LT besticht durch präzises Phrasieren und transparentes Singen bei bewegungsintensiver Choreografie – ein weiteres Asset des LT neben diesen hoffnungsvollen SängerInnen.

Wie 2010 bei „Tosca“ stand auch diesmal wieder Leo Hussain, GMD des Salzburger LT, am Pult und ließ mit dem Mozarteumorchester Salzburg einen intensiven, impulsiven und auf die emotionsgeladenen Aktionen auf der Bühne bestens abgestimmten Tschaikowsky erklingen. Schon das Vorspiel ließ die ganze Tragik des Geschehens erkennen, düster beängstigend geriet ebenso das Vorspiel zur Duell-Szene. Der Abend war musikalisch von starker Dynamik geprägt, bisweilen schien es zumindest für das Parkett etwas zu laut zu werden. Das hervorragende Mozarteumorchester hat seine Qualitäten ja auch schon in räumlich viel größeren Häusern unter Beweis gestellt. „Eugen Onegin“ – eine bemerkenswerte Neuinszenierung am Salzburger LT, auf die das Haus auch aufgrund der guten sängerischen und musikalischen Leistungen zu Recht stolz sein kann. Salzburg findet nicht nur im Sommer statt…

Weitere Aufführungen bis zum 27. Mai am LT – die nächste am 27. April.

Fotos in der Bildergalerie                                                                              

Klaus Billand

 

 

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