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SALZBURG: LA BOHÈME – und die erste Woche überhaupt/ Zusammenfassung

03.08.2012 | KRITIKEN, Oper

SALZBURG: LA BOHÉME –PROBLEMATISCHES PRIMADONNENVEHIKEL FÜR ANNA NETREBKO (1.August 2012)

Da es sich um die am meisten überbuchte Vorstellung des heurigen Salzburger Festspielsommers handelt, darf nach dem Erfolgsgeheimnis gefragt werden. Das könnte so lauten: man präsentiere eine Primadonna vom Schlag einer Anna Netrebko, engagiere außerdem ihren aktuellen Lieblingstenor, den Polen Piotr Beczala und hole sich eine junges Regieteam aus Italien – mit dem Regisseur Damiano Michieletto an der Spitze. Ach ja, ein Dirigent für die Wiener Philharmoniker ist ja auch noch von Nöten! Also her mit Daniele Gatti– ebenfalls aus der Heimat von Giacomo Puccini. Und dann entsteht eine neue „junge“ und „bunte“ Bohème, die weder optisch noch musikalisch wirklich überzeugt, die nicht mehr Applaus als eine Repertoirevorstellung in Zürich provoziert und die von der internationalen Kritik teilweise mit Häme überschüttet wird.

Und man kann wenig gegen diese “schiefe Optik“ sagen. Wie man nach Zeffirelli diese Oper nach dem Roman von Henri Murger wirklich zeitgemäß interpretieren kann, hat Bregenz in der Ära Wopmann vor 10 Jahren viel überzeugender am Bodensee bewiesen (damals wurde übrigens Rolando Villazon entdeckt). Mit Karajan – bei dessen Osterfestspielen übrigens „La Bohème“ mit Pavarotti, Freni und Holm gegeben wurde – sollte man diese Produktion in Gatti-Dauer-Mega-Sound schon gar nicht vergleichen. Und die Abendverfassung etwa von Piotr Beczala war auch nicht für einen großen Erfolg förderlich. Der Sänger, dessen Hauptwirkung kerngesunde Vitalität und Höhensicherheit ist, verwackelte im 1.Akt einige Spitzentöne und sang sich erst im 3.Akt frei. Wahrscheinlich waren es einfach die Nerven – bei so viel Vorauslob! Anna Netrebko scheint mir als Mimi einfach unterfordert. Der Fachwechsel hin zu Manon Lescaut, Troubadour-Leonore hin bis Tosca ist überfällig. Die Stimme der russischen Sopranistin wird immer dunkler und fülliger. Selbstverständlich liefert die Diva bei der Mimi zahllose Belcanto-Phrasen, sie zelebriert jeder Menge An- und Abschweller. Und ihre Leistung überragt die aller anderen Kollegen.

Die Regie hingegen scheitert schon im ersten „Mansarden-Bild“ – in einer überdimensionierten Lagerhalle kann La Bohème kaum zu Herzen gehen. Die bunte Fröhlichkeit der Momus-Szene wirkt billig und aufgesetzt (trotz exzellentem Wiener Staatsopernchor). Am meisten hat mich noch der 3.Akt überzeugt – die Winter-Tristesse auf einer Auto-Straße geht unter die Haut, aber der 4.Akt ist wieder problematisch. Die Personenführung durch den Regisseur Damiano Michieletto ist übertrieben, die Bühnenbilder (Pablo Fantin) und die Kostüme (Carla Teti) schwanken zwischen Realismus und pop-iger Ironie . Die Besetzung rund um die Diva ist mittelmäßig: Massimo Cavalletti ist ein etwas derber Marcello, der oft zum Forcieren tendiert. Nino Machaidze ist eine nervige Musetta, die eher die Mimi singen sollte, Alessio Arduini ist ein unkonventionell junger Schaunard und Carlo Colombara liefert einen kompakten Colline samt eindrucksvoller Mantel-Arie.

Nach der ersten Salzburg-Woche der neuen Ära unter Alexander Pereira lässt sich vielleicht eine erste Bilanz ziehen: die Problematik – zeitgemäßes Regietheater – bleibt akut und wird nur teilweise gelöst. Weder La Bohéme noch die neue Zauberflöte oder die Urfassung der Ariadne werden in die Festspiel-Geschichte von Salzburg eingehen (abgesehen vom neuen Ideal-Bacchus von Jonas Kaufmann). Zwei Auftritte von Elina Garanca – eine Lieder-Matinee mit Robert Schumann, Alban Berg und Richard Strauss am 28.Juli 2012 (Klavierpartner Roger Vignoles) – sowie 11 Folk-Songs von Luciano Berio mit dem Klangforum Wien unter Pablo Heras-Casado (31.7.2012) gehören hingegen ohne Zweifel zu den ersten Höhepunkten der neuen Ära. Das war Singen an der Schnittstelle zwischen Hirn und Herz. Großartig! Und ausgerechnet die semi-konzertante Version von Mozart’s „Il re pastore“ (30.7.2012) – die speziell für Rolando Villazon angesetzt war – ergab einen künstlerisch hoch erfreulichen Abend. Unter der kompetenten Leitung von William Christie musizierte ein Züricher Kammerorchester (La Scintilla).Bei den Sängern begeisterte besonders Martina Jankova als Aminta, Sandra Trattnig als Tamiri und eben Rolando Villazon als Alessandro. Und die Freude über das Genie Mozart dominierte…

Peter Dusek

 

 

 

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