Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

SALZBURG. GREEK – modernes Musiktheater von Mark Anthony Turnage

10.06.2013 | KRITIKEN, Oper

Modernes Musiktheater in Salzburg: „Greek“ von Mark-Anthony Turnage (Vorstellung: 9. 6. 2013)


Das Ensemble: Frances Pappas, John Chest, Erin Snell und Stephen Bronk (Foto: Christina Canaval)

 Der 1960 geborene britische Komponist Mark-Anthony Turnage steht zurzeit hoch im Kurs. Erst kürzlich stand in Dortmund die Deutsche Erstaufführung seiner 2011 komponierten Oper „Anna Nicole“ auf dem Spielplan, in der die texanische Sopranistin Emily Newton in der Titelrolle einen sensationellen Triumph feierte (siehe die Rezension im „Online-Merker“ vom 18. 5.). Nun wurde im Salzburger Landestheater sein Erstlingswerk „Greek“ in deutscher Sprache aufgeführt. (Seine zweite abendfüllende Oper „The Silver Tassie“ wurde im Jahr 2000 in London uraufgeführt und mit dem „Olivier Award“ ausgezeichnet.)

 Die 1988 bei der Münchner Biennale mit großem Erfolg uraufgeführte Oper „Greek“ war ein Auftragswerk, das auf Anregung seines Förderers Hans Werner Henze entstand. Das Libretto beruht auf Steven Berkoffs gleichnamigen Schauspiel. In „Greek“ wird der griechische Ödipus-Mythos in das Londoner East End der 1980er Jahre verlegt, wo Rassismus, Gewalt und Massenarbeitslosigkeit herrschen und zeigt die tragische Geschichte von Eddy, der mit seinen Eltern in einem maroden sozialen Umfeld lebt. Er erfährt von der Wahrsagung, dass er seinen Vater ermorden und seine Mutter heiraten wird, verlässt seine Familie und führt ein abenteuerliches Leben. In einem Café bringt er im Streit den Manager um, verliebt sich in dessen Frau und heiratet sie. Zehn Jahre später erfährt er von seinen Eltern, dass er nicht ihr Sohn ist, sondern nach einem Schiffsunglück von ihnen aufgenommen wurde. Entsetzt stellt Eddy fest, dass sich die Wahrsagung bewahrheitet hat und er mit seiner Mutter verheiratet ist.

 Mit dem Werk wollte Turnage das Publikum schockieren – und dafür sorgt bis heute die sehr direkte, des Öfteren brüskierende Sprache, in der es an deftigen Schimpfwörtern und fiesen Beleidigungen nicht mangelt. Es verließen auch in Salzburg mehrere Besucher das Theater während der Vorstellung, die ohne Pause gespielt wurde.

 Zur Musik, die punktuell sehr laut und expressiv über die Rampe kommt, ein Zitat aus einem Interview mit dem Dirigenten Leo Hussain, das im gut illustrierten Programmheft zu lesen ist: „In ‚Greek‘ arbeitet Turnage mit einem für ihn sehr typischen Klang. Klarinetten und Saxophone sind das Herz seiner Klangwelt. Es gibt eine starke Präsenz von Schlagwerk und Holzbläsern, und die Streicher, die nur zu fünft und alle solistisch besetzt sind, spielen eine unterstützende Rolle. Das ist in der klassischen Musik sehr selten. … Es handelt sich nicht um Unterhaltungsmusik, sondern Turnage findet seine eigene Sprache.“

 Andreas Gergen schuf eine realistische, kurzweilige Inszenierung mit erotischem Touch. So lässt er eine splitternackte Schöne mit makelloser Figur während der Handlung immer wieder über die Bühne stolzieren. Für die Ausstattung zeichnete Stephan Prattes verantwortlich, der als zweite Spielfläche in luftiger Höhe einen dreh- und fahrbaren „Guckkasten“ bauen ließ, der am Schluss effektvoll kippte, wobei alle Requisiten, wie beispielsweiseTisch und Stühle, krachend herabstürzten. Die Kostüme entsprachen der Zeit um 1980. Für die kreativen farbigen Lichteffekte sorgte Eduard Stipsits.

 Das Sängerensemble bestand aus vier Personen, die bis auf Eddy drei bis vier Rollen zu spielen hatten. Beeindruckend der junge amerikanische Bariton John Chest als Eddy, dessen Sprechgesang wohltuend wortdeutlich war – die im Programmheft versprochenen deutschen Übertiteln suchte ich vergeblich – und der auch schauspielerisch brillierte. Als seine Ehefrau (Mutter) konnte die kanadische Mezzosopranistin griechischer Herkunft Frances Pappas gleichfalls voll überzeugen. Sie berührte in vielen Szenen sowohl stimmlich wie darstellerisch.

 Köstliche Typen gaben die junge amerikanische Sopranistin Erin Snell als Mum und Sphinx 1 sowie der amerikanische Bassbariton Stephen Bronk in den Rollen als Dad, Café-Manager und Chief of Police ab. Ihre schauspielerische Wandlungsfähigkeit war zu bewundern, weniger ihre Wortdeutlichkeit.

 Gut in Szene setzen konnte sich auch der von Stefan Müller einstudierte Chor des Salzburger Landestheaters, der seinen großen Auftritt als Polizeichor mit Schlagstöcken hatte.

Leo Hussain, der seit der Saison 2009 / 2010 Musikdirektor am Salzburger Landestheater ist und bereits mehrere kleinere Werke von Turnage dirigierte, leitete das Mozarteumorchester Salzburg, das die oft knallige und exzessive Partitur des Komponisten ebenso trefflich wiedergeben konnte wie deren lyrischen Passagen.

 Kein frenetischer, aber einige Minuten anhaltender Applaus des Publikums am Schluss der Vorstellung, wobei Hauptdarsteller John Chest mit einigen Bravorufen bedacht wurde.

 Udo Pacolt, Wien

 

 

Diese Seite drucken