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SAIMIR PIRGU: Mit beiden Beinen fest am Boden

01.12.2014 | INTERVIEWS, Sänger

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SAIMIR PIRGU

Mit beiden Beinen fest am Boden

Saimir Pirgu, Albaniens Beitrag zur Elite der Tenöre, ist nach längerer Pause an die Staatsoper zurückgekehrt, mit jenen großen Verdi-Rollen – zuerst Alfred, Ende der Saison folgt der Herzog in der neuen „Rigoletto“-Inszenierung -, die derzeit am häufigsten auf seinem Repertoire stehen. Neben dem Nemorino und immer wieder Mozart, dem er treu bleibt. Der 33jährige hat ziemlich genaue Vorstellungen über den Weg, den er weiter gehen möchte.

Von Renate Wagner

Herr Pirgu, warum haben wir Sie so lange nicht an der Wiener Staatsoper gehört?

Herr Direktor Meyer hat mir einiges angeboten, aber es hat mit den Terminen nicht geklappt. Zwischendurch war ich im Theater an der Wien, weil es für mich wirklich neu und interessant war, auf Russisch die Partien in Tschaikowskis „Iolanta“ und Rachmaninows „Francesca da Rimini“ zu singen. Man muss immer wieder etwas Neues machen. Was „La Traviata“ betrifft, so habe ich in Wien die letzte Vorstellung der vorigen Inszenierung gesungen. Jetzt dachte ich eigentlich, wieder Franz Welser-Möst zu begegnen, mit dem ich damals die „Don Giovanni“-Premiere gemacht habe, aber es ist anders gekommen. Doch es ist natürlich sehr schön, mit Myung-Whun Chung zu arbeiten – und wieder auf die Violetta von Ermonela Jaho zu treffen, mit der ich „Traviata“ schon in Covent Garden gesungen habe. Und sie ist Albanerin…

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La Traviata in London: Saimir Pirgu und Ermonela Jaho

Da haben Sie endlich wieder einmal Gelegenheit, Ihre Muttersprache zu sprechen?

Natürlich sprechen wir Albanisch miteinander, wie auch anders. Aber Sie werden es nicht glauben, es gibt Albaner in der Staatsoper, im Orchester, im Chor. Und obwohl ich mittlerweile zwei Staatsbürgerschaften habe, auch Italiener bin und in Verona meinen Wohnsitz habe, fahre ich doch bei jeder Gelegenheit nach Hause zu meiner Familie in Tirana. Heuer im April ist mein Vater gestorben, das war eine sehr schwere Zeit für uns alle, aber meine Mutter ist noch da, mein Bruder, und ich habe eine kleine Nichte.

Ich habe mir auf Grund Ihrer Website herausgeschrieben, wo Sie das Jahr 2014 verbracht haben: In Zürich, Los Angeles, Barcelona, Wien, San Francisco, Zürich, Ravenna, Görz, Laibach, Chicago, San Sebastian, London, Washington, Wien und zum Jahresausklang sind Sie für einen Nemorino in Berlin, um am 1. Jänner nach Budapest zu hüpfen als Gast eines Neujahrskonzerts, das dann am 4. Jänner in Wien wiederholt wird. Wie hält man so ein Leben aus?

Muss man das nicht alle Sänger fragen? Wir alle leben so! Und daran wird sich vermutlich auch nichts ändern, wenn ich es im Sommer auch sehr bequem und nahe zur Arena von Verona habe, wenn ich wieder den Don Ottavio singe, denn ich wohne 500 Meter entfernt… Das ist übrigens eine Schwäche von mir, weil ich immer in letzter Minute komme, wohne ich immer in Gehnähe zum jeweiligen Opernhaus. Wichtig ist nur bei einem solchen Leben, dass man nicht das Gefühl für Qualität verliert. Mir ist es wichtiger, gute Arbeit zu leisten, als jenen ultimativen Starruhm zu erreichen, der den Druck auf uns ja noch viel größer macht. Ich kann mir aussuchen, was ich mache, kann darauf achten, dass die Umstände möglichst stimmen – und dennoch gibt es keine Garantie, dass abends dann wirklich Qualität stattfindet, die Faktoren sind nicht zu berechnen. Aber ich versuche es. Ich habe sehr jung angefangen, ich bin quasi im April 2004 bei meinem Debut als Nemorino an der Wiener Staatsoper „künstlerisch geboren“ worden, aber das bedeutet, dass ich den Beruf schon seit zehn Jahren – und mehr seit meinem Debut 2002 – mache und an den wichtigsten Opernhäusern singe. Aber wenn man eine lange Karriere will, darf man nicht leichtfertig zu allem „ja“ sagen.

Als wir uns zuletzt sprachen, 2008, standen Sie gerade vor Ihrem Ideomeneo, den Nikolaus Harnoncourt Ihnen für die styriarte angeboten hatte. Sie selbst waren damals nicht sicher, ob Sie diese Rolle singen sollten, meinten aber, wenn Harnoncourt sie Ihnen zutraute, würde er schon wissen, was er tut…

Gott sei Dank, dass ich ihm vertraut habe, denn es war damals ein toller Erfolg. Ich habe seither auch in Paris den Titus gesungen, und Idomeneo und Titus wären Rollen, die ich beispielsweise in Wien sehr gerne singen würde, ich kann sie wirklich mit meiner Stimme und Technik bewältigen, und man muss ja sehr vorsichtig sein mit dem, was man als nächsten Schritt wählt. Ob ich in Wien den Tamino singen würde, was ich an der Mailänder Scala getan habe, weiß ich nicht – da hätte ich Angst, dass mein Deutsch für Wien nicht akzentfrei genug ist.

Wenn Sie jetzt in Wien den Alfredo und im Juni dann, in der zweiten Aufführungsserie des „Rigoletto“, den Duca singen, sind Sie ja für einen lyrischen Tenor schon im halb dramatischen Fach. Nemorino, der nächste Saison an der Wiener Staatsoper für Sie kommt, ist wiederum gewissermaßen Belcanto…

Aber ich würde mich nie als Belcanto-Tenor bezeichnen, habe nie Rossini oder Bellini gesungen, damit hätte ich Schwierigkeiten, nur Donizetti, Verdi, Puccini, Mozart und früher öfter französische Rollen, von denen vielleicht noch einige kommen werden. Ich weiß aber heute schon, dass ich nie ein Bergonzi oder Domingo sein werde und eines Tages bei Otello lande … oder höchstens in 30 Jahren, am Ende der Karriere, wenn die Stimme kaputt ist und es nicht mehr darauf ankommt. Aber ich denke, ich werde wahrscheinlich in Richtung Riccardo gehen und mir im übrigen neue Aufgaben anderswo suchen. So wie im Mai nächsten Jahres, wenn ich in Covent Garden erstmals in „Krol Roger“ von Karol Szymanowski den Hirten singe, das ist wirklich wunderschöne Musik und einmal etwas anderes. Man kennt mich in Covent Garden, ich hatte großen Erfolg als Rigoletto-Herzog, aber ich bin überzeugt, das Publikum wird eines Sängers müde, wenn er immer dieselben Rollen singt. Kasper Holten und Antonio Pappano, mit dem ich schon oft zusammen gearbeitet habe, haben mich engagiert, und das ist dann einmal etwas anderes als immer wieder Alfredo.

Apropos Alfredo, wie gefällt Ihnen die neue Wiener „Traviata“, in die Sie jetzt erstmals einsteigen?

Ich habe „La Traviata“ auf der ganzen Welt in 19 verschiedenen Inszenierungen gesungen, da erlebt man schon einiges, also will ich dazu gar nichts konkret sagen. Natürlich ist es mir wie anderen Kollegen immer wieder passiert, dass wir uns aus einer Produktion aus welchen Gründen auch immer entfernen, aber wenn man kein Weltstar ist, kann so etwas in aller Stille vor sich gehen. Ich singe natürlich lieber Premieren, wenn man ein Konzept auch wirklich erarbeiten kann – in Repertoirevorstellungen einzusteigen, ist mühsam. Ich werde versuchen, von dem „Rigoletto“, der am 20. Dezember an der Staatsoper Premiere hat, wenigstens in Proben hinein zu sehen, damit ich weiß, was mich erwartet – wenn ich den Herzog dann im Juni singe.

Einer Ihrer vielen Alfredos fand an der „Met“ statt, das ist die aus Salzburg bekannte Decker-Inszenierung, wo Sie besonders luxuriöse Partner hatten?

Ja, ausgerechnet in dieser Vorstellung haben sowohl Diana Damrau ihre erste Violetta und Placido Domingo seinen ersten Germont an der Met gesungen, das war wirklich toll. Ich habe ja immer wieder erzählt, dass es die „Drei Tenöre“ waren, die in mir als kleinem Jungen in Albanien den Wunsch geweckt haben, Tenor zu werden. Und dann hatte ich mit Domingo persönlich so viel zu tun – ich war in Paris 2006 der Christian zu seinem „Cyrano“, und er hat mich als Intendant in Los Angeles und Washington oft angerufen und engagiert.

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Und Pavarotti…

Pavarotti, mit dem ich in Italien in meiner Jugend arbeiten durfte, war ein Gott für mich… Keine Stimme strahlte je wie die seine.

Herr Pirgu, auf Ihrer viersprachigen Website – Italienisch, Englisch, Deutsch und Albanisch – erfährt man auch, dass Sie seit 2013 Botschafter des „Down-Syndrom Albanien“ sind, einem Verband zur Unterstützung von Kindern, die am Down Syndrom leiden. Wie kam es dazu?

Das war ganz einfach das e-mail einer albanischen Mutter, die ich nicht kannte und die mir Ihre Sorgen geschrieben hatte. Ihr Sohn leidet unter dem Down-Syndrom, und zuhause in Albanien wurde das Problem eigentlich eher ignoriert, als dass man etwas dafür getan hätte. Das sind die Nachwirkungen des kommunistischen Systems, obwohl wir jetzt wirklich optimistisch in die Zukunft gehen, viele Albaner ins Ausland gehen, dort studieren, heimkehren und ihr Wissen mitbringen. Wir werden in ein paar Jahren in der EU sein, und ich glaube, Europa hat allgemein vom Balkan Vieles und Gutes zu erwarten. Aber diese Mutter war mit ihrem Problem allein und verzweifelt und hoffte, dass ich etwas tun könnte. Ich habe ein Konzert gegeben, damit mit dem Erlös etwas für diese Menschen getan werden kann, die ja nicht krank, sondern nur „anders“ sind als wir, und es ist wirklich gelungen, Politiker und Ministerien wachzurütteln.

Als wir uns zuletzt sprachen, 2008, erklärten Sie, Sie seien ein „ganz normaler 26jähriger, der gerne in die Disco geht“. Sind Sie heute ein „ganz normaler 33jähriger“, der das noch immer tut?

In die Disco komme ich seltener, aber auf das „ganz normal“ lege ich Wert. In Verona – wo ich eigentlich so selten bin, dass ich mich dort weniger gut auskenne als in Wien oder in New York – lebe ich völlig unerkannt und unbekannt, niemand weiß, wer ich bin. Natürlich bin ich nicht „so“ berühmt, aber wenn ich etwa in Wien leben würde – wo es mir sehr gut gefällt und ich viele Freunde habe -, wäre die Situation eine völlig andere, man müsste sich immer beweisen… Es ist viel besser, hierher zu kommen, wenn man etwas zu zeigen hat, und zu hoffen, dass das Publikum einen immer besser findet als letztes Mal. Ich möchte nichts, als gute Arbeit leisten, das Leben geht so schnell vorbei, man darf in der Hektik dieses Berufs nie den Boden unter den Füßen verlieren. Man muss wissen, dass man ein ganz normaler Mensch ist – der eben singt. Singt man gut, ist alles wunderbar, singt man schlecht, ist man über kurz oder lang niemand mehr. Wer das nicht weiß, macht sich Illusionen…

 

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