Sabine Zurmühl:
COSIMA WAGNER
EIN WIDERSPRÜCHLICHES LEBEN
360 Seiten, Böhlau Verlag, 2ß22
Sie hatte keine gute Presse, nicht zu Lebzeiten und schon gar nicht nach ihrem Tod. Die Zeit, als sie Bayreuth als alleinige Herrin vorstand, verneigte man sich (teils ehrlich bewundernd, teils wohl auch opportunistisch) vor der „hohen Frau“. Aber Cosima Wagner mit ihrem stets hochmütig wirkenden Gesichtsausdruck war der Welt ein wenig unheimlich. Und meist nicht sonderlich sympathisch. Genügend abwertende Biographien und Artikel legen davon Zeugnis ab.
Autorin Sabine Zurmühl hat sich vorgenommen, nicht den üblichen schiefen, hämischen Blick auf Cosima Wagner zu werfen, sondern einen klaren, leidenschaftslosen, kritischen, aber durchaus nicht a priori negativ konnotierten. Sie erzählt die Lebensgeschichte dieser Frau chronologisch, aber Fakten und Ereignisse stehen nicht allein im Mittelpunkt. Vielmehr hält die Autorin immer wieder inne, um Fragen zu stellen, die dem Wesen von Cosima Wagner näher kommen sollen. Tatsächlich hat man das Gefühl, diese Frau hier begreifen zu können.
Es gibt das berühmte Foto des Ehepaars Wagner (auf Seite 182 abgebildet), das 1872 in Wien im Atelier entstanden ist. Cosima und Wagner halten einander bei der Hand, sie sitzt links und sieht bewundernd zu ihm auf, er steht rechts und blickt wohlwollend auf sie herab. Für Generationen von selbstbewussten Frauen war dies ein Exempel demütigender Unterordnung, das ihnen nur Verachtung abringen konnte. Aber man kann die Dinge auch anders sehen – Cosima, die zweifellos eine sehr gescheite Frau war, sah in diesem Richard Wagner das würdige Objekt, diesem Genie das Alltagsleben zu gestalten und zu erleichtern.
Das war eine Entscheidung, die nicht von Schwäche zeugt, sondern von Stärke – immerhin hat sie ihrem ersten Mann ein Kuckuckskind (mit dem Wagner-Namen Isolde) ins Nest gelegt, ist mit den Töchtern aus der Ehe mit Bülow, die sie nie hergegeben hat, noch verheiratet zu Wagner gezogen, und hat ihn nie wieder verlassen. Um ihn heiraten zu können, ist die überzeugte Katholikin zum Protestantismus über getreten, und man kann sagen, dass es keinen Schritt in seinem durchaus nicht leichten Leben gab, bei dem sie ihn nicht begleitet hätte.
Das ist, meint Sabine Zurmühl, und man kann sich ihrem Gedankengang anschließen, keineswegs schwächliche weibliche Devotion, sondern eine bemerkenswerte Leistung. Zumal, wenn man das bedenkt, was sie mit Wagner gemeinsam auf die Beine stellte, nicht zuletzt Bayreuth – unverzichtbar als Netzwerkerin für das Unternehmer-Paar Wagner, das sich irgendwann auch bewusst nach außen hin stilisierte.
Die Autorin stellt von Anfang an Fragen – es mag nicht leicht gewesen sein, als uneheliche Tochter einer französischen Aristokratin und Intellektuellen (auch Marie d’Agoult hatte für ihre Beziehung viel riskiert) und eines übergroßen Künstlers wie Franz Liszt aufzuwachsen, eine Konstellation die ihr zwar keine liebenden Eltern, aber doch sehr gute gesellschaftliche und künstlerische Voraussetzungen ins Leben mitgab. Deutsch, das ihre zweite Sprache war, sprach Cosima, so heißt es, immer mit einem Hauch von französischem Akzent.
Sabine Zurmühl stellt die schwierigen „Dreiecke“ auf, die lebenslang so belastend waren – Cosima erst zwischen Hans von Bülow, dem ersten Gatten, und Wagner; Wagner zwischen Cosima und König Ludwig II.; Cosima zwischen Wagner und ihrem Vater Franz Liszt – und dazu ihre fünf Kinder. Da herrschten auch enorme Spannungen. Die Konstellationen waren nie einfach, kosteten viel Kraft.
Und natürlich ist Cosimas unverhohlener Antisemitismus ein schwarzer Punkt in ihrer Biographie – vor allem, weil es in ihrer Welt durchaus auch liberale Stimmen (und für Wagner nützliche Juden) gab. Aber ihre überzeugte Anpassung an Wagner, dem sie nie in den Rücken gefallen wäre, ging so weit, dass sie höchstens in Kleinigkeiten einmal anderer Meinung war als er, aber keinesfalls bei wichtigen Dingen. Der Antisemitismus, der damals in ganz Europa brodelte, gehörte dazu.
Die Autorin befragt immer wieder Cosima selbst, die schließlich ein gewaltiges Tagebuch-Werk hinterlassen hat (und jeder Wagnerianer hat sich darüber gestürzt, als die detaillierten Aufzeichnungen 1976 endlich erschienen), aber auch die Mitwelt, und es verwundert nicht, wie unterschiedlich die Charakteristiken ausfallen – ist sie temperamentvoll gewesen oder versponnen? Hochmütig oder mitfühlend? Eloquent oder eher beobachtend? Kräftig oder zart?
Für all diese Aussagen gibt es Belege, und so kann man über Cosima Wagner vieles sagen. Vor allem – sie war eine Frau, nehmt alles nur in allem, die bewundernswerte Leistungen gesetzt hat. Und sie hat bweisen, dass weibliche Selbstverwirklichung auch über den Mann erfolgen kann, ohne dass man sich selbst preisgibt. Auch so kann man Cosima Wagner sehen, und gerade für Frauen von heute ist das eine sehr befriedigende Sicht.
Renate Wagner