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SA-CD KAMMERMUSIK mit JÖRG DEMUS und THOMAS ALBERTUS IMBERGER; Gramola  

22.03.2020 | Allgemein, cd

SA-CD KAMMERMUSIK mit JÖRG DEMUS und THOMAS ALBERTUS IMBERGER; Gramola

 

Auf drei überwiegend im Museo Cristofori in Weyeregg am Attersee über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren aufgenommenen CDs können unvergleichlich wienerisch gespielte Kompositionen  für Violine und Klavier von Ludwig van Beethoven, Johann Sebastian Bach, Robert Schumann, Antonín Dvořák und ja, auch von und mit Jörg Demus selbst gehört werden. 

 

Die größte Überraschung für mich brachte die übervolle zweite CD mit drei Sonaten des aus St. Pölten stammenden internationalen Klaviervirtuosen, leidenschaftlichen Sammlers und Lehrers Jörg Demus: Die Sonaten für Violine und Klavier Op. 35 „Il tramonto“, die „Gahberg“ Sonata Op. 7 und die fünfsätzige  „Wald Sonate“ Op. 48 atmen zwar von Form und Tonalität her den klassisch-romantischen Geist des 19. Jahrhunderts, bieten aber ein Hörvergnügen pur. 

 

Man könnte sagen, die Musik sei äußerst unzeitgemäß und historisierend in die Nachfolge eines Haydn, Mendelssohn, Brahms und gemischt mit Klängen vom Nussberg bis in die pannonische Tiefebene hinein getaucht. Aber ist sie deshalb künstlerisch weniger wert? Wir leben doch in einer Zeit, wo es Mode geworden ist, klassisches Notenmaterial von Interpreten immer mehr selbst für ihre Bedürfnisse zurechtzuschneidern und neu zu instrumentieren. Alles will neu gehört und in einen erfundenen Kontext = Programm gestellt werden, die Grenzen zwischen den Genres und Sparten von Musik werden dabei immer fließender und durchlässiger. In dieser Freiheit sind mir auch die drei großartigen Sonaten des zeitgenössischen Romantikers Demus willkommen, die musikhistorisch nichts Revolutionäres bieten. 

 

Demus geht an die drei Stücke wie in seinem Klavierspiel mit einer appollinischen Leichtigkeit und zahllosen Binnenschattierungen heran. Dabei spielt die Natur als Inspirationsquelle eine Hauptrolle. War es bei Brahms der Wörthersee, so ist die „Gahberg Sonata“ nach dem Hausberg vom Weyeregg am Attersee benannt. Für mich aber bleibt Demus‘ Musik im Kern stets absolut, auch wenn die Sonate „Il tramonto“  (=Sonnenuntergang) den Verlauf der Jahreszeiten spiegelt und die Bezeichnungen der Sätze der „Sonate sylvestre“ (Waldsonate) explizit der Natur und deren Kindern huldigen: Le muguet (Maiglöckchen), Conte des fées (Waldesmärchen), Chez les nains (bei den Zwergen), Nocturne (in Waldesnacht) und Le passereau (der Spatz). 

 

Der das Album mit seinem großartigen Geigenspiel edelnde Thomas Albertus Imberger kommt zu folgender Beschreibung der Waldsonate: „Mit seiner Sonate führt Jörg Demus den Hörer in Gefilde, in denen sich der Zauber der beseelten Natur erhalten hat, wo Naturmagie, Traum- und Zauberwelt miteinander verschmelzen. Durch seine Gegenwartsbezüge zeigt er aber auch, dass in unserer rationalen Welt, in der nur das als wahr gilt, was wissenschaftlich nachweisbar ist, neben der Vernunft auch Platz für das Reich der Phantasie sein muss, damit wir nicht einmal wie Papageno in der Zauberflöte entsetzt feststellen müssen: ,Ich Narr vergaß der Zauberdinge.‘ “

 

Wilhelm Sinkovicz schreibt in seinem im Booklet gedruckten Nachruf „Jörg Demus ist tot: Der Ballettmeister der zehn Finger“ am 18.4.2019 von einer spielerischen Leichtigkeit bei Schumann und dass die Klänge bei Demus förmlich tanzen. Ich teile diese Einschätzung und ergänze, dass Demus‘ Spiel wie bei Wilhelm Backhaus einen Zustand der Schwerelosigkeit hervorruft und Emotionen auf eine Ebene der Kontemplation, der inneren Einkehr verlagert. Ich habe noch einmal den fast 100 jährigen Mieczysław Horszowski im Wiener Konzerthaus erlebt und eine faszinierend reiche und bunte Welt des Klavierspiels kennenlernen dürfen, natürlich anders als heute und dennoch in ihrer künstlerischen Integrität und Unbedingtheit zeitlos und gültig. Ein ähnliches Gefühl habe ich beim Anhören der pianistischen Kunst des Jörg Demus. Bei Bach wird einmal nicht nur dem Kontrapunktiger und Zahlenmystiker gehuldigt, sondern Demus feiert den Meister der melodischen Invention (vgl. den ersten Satz „Siciliano“ der Sonate in c-Moll, BWV 1017)  und bei Beethoven werden die mozartischen Wurzeln erfahrbar. Ganz wunderbar verträumt, in elegischer Breite und ohne Schnickschnack hören wir die „Drei Romanzen für Violine und Klavier“ Op, 94 von Robert Schumann. Mit Antonín Dvořáks  „Sonatina“ in G-Dur Op. 100 endet die dritte CD. 

 

Dass das Album neben der bestechenden – wie schon gesagt aus jedem Zeitgeist gefallenen – Kunst des Jörg Demus so ansprechend und empfehlenswert geworden ist, liegt an Thomas Albertus Imberger. Mit großem dunklen Ton weiß er auf der Geige lange melodische Bögen zu ziehen, kleinste Verzierungen präzise hinzutupfen und in vollkommener Partnerschaft mit dem Klavier allen Stimmungsschwankungen mit untrüglichem Instinkt für rare Zwischentöne nachzuspüren. Hochdramatik oder vibratoschwangere Gefühlsseligkeit gibt es nicht zu vermelden. 

 

Mit geschärften Sinnen und dennoch gelassen kreisen die Aufnahmen rund um eine verfeinerte Wiener Musiktradition, vieldeutig und melancholisch lächelnd im schlafwandlerischen Zusammenspiel von Form und Freiheit.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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