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RUDOLSTADT: CASANOVA von Paul Lincke

21.11.2012 | KRITIKEN, Oper

Operettenrarität in Rudolstadt: „Casanova“ von Paul Lincke (Vorstellung: 20. 11. 2012)

 
Der amerikanische Tenor Aaron Judisch in der Titelrolle (Foto: Roland Obst)

Im Thüringischen Landestheater Rudolstadt, das auf das 1793 gegründete Hoftheater zurückgeht und seit seinem Umbau im Jahr 1984 Spielstätte eines Dreispartenbetriebs (mit 274 Plätzen) ist, zeigt zurzeit in Kooperation mit dem Theater Nordhausen eine echte Operettenrarität: „Casanova“ von Paul Lincke. Mehr als siebzig Jahre nach Lortzings Casanova-Oper komponierte Paul Lincke, der „Vater der Berliner Operette“, sein Werk über den italienischen Lebemann, das 1913 uraufgeführt wurde, aber recht schnell von den Spielplänen wieder verschwand.

 Warum, bleibt ein Rätsel, hatten doch Linckes Melodien das Zeug zum Gassenhauer und die in Französisch verfassten Memoiren Casanovas wurden zur Lieblingslektüre vieler Generationen. Dazu ein interessantes Detail: 2010 ersteigerte der französische Staat Casanovas Memoiren um sieben Millionen Euro. Es soll der höchste Preis gewesen sein, der jemals für ein Manuskript gezahlt wurde!

 122 Eroberungen registrierte Casanova in seinen Memoiren. Aber er war nicht nur eine Lebemann, sondern auch eine Persönlichkeit von Rang, der in den besten Kreisen verkehrte. Er traf Mozart, Katharina die Große und Voltaire, sogar Papst Benedikt XIV. öffnete ihm seine Tore. Außer seinen Memoiren hinterließ er auch ein ansehnliches schriftstellerisches Werk: Er schrieb Komödien, philosophische, historische sowie theaterwissenschaftliche Abhandlungen und übersetzte die Ilias.

 In der Operette von Paul Lincke, deren Libretto Jacques Glück und Will Steinberg nach einer Idee von Carl August Lebrun verfassten, wird den erotischen Abenteuern des Venezianers eine erfundene Episode hinzugefügt: Giacomo Girolamo Casanova wird auf der Festung St. Andrée gefangen gehalten. (Wie im informativen Programmheft nachzulesen ist, war Casanova tatsächlich auf Fort Sant’ Andrea, das auf der gleichnamigen Insel vor Venedig liegt, als 18-Jähriger inhaftiert und brach von dort in der Nacht aus, um Rache an einem Geistlichen zu nehmen, der ihn um einen Teil seines Besitzes betrogen hatte. Das amouröse Abenteuer blieb der Operette vorbehalten!) Um seine Auserwählte zu treffen, flieht er für einen Abend aus den Mauern seines Gefängnisses. Auf einem Ball, zu dem die Gäste wie üblich maskiert sind, erliegen die Damen reihenweise seinen Verführungskünsten. Einer Enttarnung entgeht er, indem er sich ins Gefängnis zurückschleicht. Den gehörnten Ehemännern will niemand Glauben schenken. Casanova wird begnadigt – erneuten Eroberungen steht nichts mehr im Wege.

 Der aus Wien gebürtige Regisseur Wolfgang Dosch inszenierte die Operette sehr flott, wobei er in einigen Szenen leider zu viel auf Klamauk setzte. Die Ausstattung besorgte Bernhard Niechotz, der ein einfaches, aber sehr praktisches Bühnenbild schuf, das im ersten und dritten Akt als Festung St. Andrée und im zweiten als venezianischer Ballsaal diente. Hübsch und passend auch seine Kostümentwürfe, die die Rokokozeit widerspiegelten.

 Ein Glücksfall für die Produktion war der fesche amerikanische Tenor Aaron Judisch, der den italienischen Lebemann und Frauenverführer Casanova mit dem nötigen Charme spielte und dazu auch seine hell klingende Stimme „verführerisch“ einzusetzen verstand. Seine feurig gesungene Arie Nur den Frauen gilt mein Leben, nur den Frauen gilt mein Streben am Schluss der Operette verzauberte auch das weibliche Publikum in Rudolstadt.

 Ihm am nächsten kamen die „Damen seiner Begierde“: Leonore, die Gemahlin des Festungskommandanten Troselli, dargestellt von der aparten Sopranistin Sabine Mucke, die stimmlich wie darstellerisch ihre Rolle beachtlich ausfüllte, Teresina, die Tochter des venezianischen Edelmanns Cornero, gut gespielt von der südländisch-rassigen Soubrette Brigitte Roth, und Isabella, die Nichte des Gefängnisaufsehers Francesco, die von der quirligen Sopranistin Sandra Schütt gegeben wurde. Sie konnte besonders mit der melodischen Barcarole Auf der Lagune punkten.

 Von den männlichen Darstellern – von Casanova in jeder Hinsicht zu „Nebenfiguren“ degradiert – konnte am besten der Bassbariton Thomas Kohl als eifersüchtiger Kommandant der Festung gefallen, gut auch der Tenor Marian Kalus in der Rolle des in Isabella verliebten Narcisso. Der amerikanische Tenor Joshua Farrier – er gab den venezianischen Edelmann Cordini, der vor der Hochzeit mit Teresina steht – outrierte zu stark. Seine Situationskomik reizte zwar so manche Zuschauer zum Lachen, verfiel aber allzu oft in puren Klamauk. Ebenso überzogen agierte Matthias Mitteldorf als ewig betrunkener Gefängnisaufseher. Etwas farblos blieb der Bariton Wieland Lemke als Teresinas Vater Cornero.

 Hervorzuheben sind die Leistungen des Opernchors (Einstudierung: Elena Pierini) und der Ballettkompanie des Theaters Nordhausen, die von Jutta Ebnother mit köstlichem Witz choreographiert wurde und die für ihren „Maskentanz“ im zweiten Akt vom Publikum mit viel Beifall überschüttet wurde.

 Großen Anklang fand das als Vorspiel zum dritten Akt eingebaute Lied Glühwürmchen, Glühwürmchen flimmre, des Hauptschlagers von Linckes 1902 komponierter Operette Lysistrata, das vom begeisterten Publikum mit rhythmischem Applaus begleitet wurde. Einige Zuschauerinnen und Zuschauer summten sogar den Text mit. Die engagiert aufspielenden Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt unter der Leitung von Thomas Voigt sorgten für eine musikalisch erfrischende Operetten-Vorstellung, die vom Publikum mit lang anhaltendem, rhythmischem Beifall honoriert wurde. Gratulation der Intendanz, diese köstliche Rarität der Vergessenheit entrissen zu haben.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

 

 

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