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RUDOLSTADT: CASANOVA von Paul Lincke – Premiere der Übernahme aus Nordhausen

21.10.2012 | KRITIKEN, Oper

RUDOLSTADT: CASANOVA von PAUL LINCKE (Premiere der Übernahme aus Nordhausen) am 20.10. (Werner Häußner)

 Was sich Frauen wünschen, wird in der patriarchalischen Männerwelt gerne zum Rätsel hochstilisiert. Glaubt man der klassischen Operette, ist es die große Liebe auf den ersten Blick zu dem faszinierenden Mann, zu dem sie aufschauen kann und der sie in den sicheren Hafen der Ehe geleitet – kleine, harmlose Abenteuer freilich nicht ausgeschlossen. Der Verfall dieses fragwürdigen Ideals mag einer der Gründe sein, dass es die Operette heute auf der Bühne schwer hat: Man kann die Geschichten fast alle nur noch ironisch erzählen – und Ironie wiederum ist schwer zu goutieren, für Regisseure wie für Zuschauer.

So verwundert es, dass Paul Linckes „Casanova“ bisher nicht ins Blickfeld der wenigen Theatermacher gerückt ist, die sich noch ernsthaft für die Operette interessieren. Das Stück verfolgt nämlich einen anderen Ansatz: Die Anziehungskraft des mythischen Liebhabers aus den erotischen Dickichten Venedigs liegt in einer spannenden Verheißung: Er winkt nicht mit dem bürgerlichen Eheleben, sondern verspricht den Frauen, sie als Person und als begehrendes erotisches Wesen ernst zu nehmen. In Paul Linckes vor 100 Jahren uraufgeführter Operette sind es drei Damen, für die er die Liebe jenseits der konventionellen Unterwerfung unter männliche Status- und Repräsentations-Forderungen zu verkörpern scheint.

Linckes Librettisten Jacques Glück und Will Steinberg zeichnen dafür das 1913 wohl ziemlich provozierende Bild einer desolaten Männerwelt: vertrottelte Militärs, versoffene Untergebene, überdreht-dekadente Adlige, eilfertig-devote Bedienstete. Der „Untertan“ lässt grüßen – auf komödiantisch erleichterte Art. Casanova tritt als große Ausnahme auf: selbstbewusst, elegant, geistesgegenwärtig, aber auch einfühlsam und weltklug. Ein Held, furchtlos, aber nicht treu: Dass er allen Frauen das Gleiche erzählt, bricht das Ideal und führt ihn auf das Operettenmaß des Schwadroneurs zurück. So kann Operette eigentlich auch heute gelingen: mit Witz, Ironie und unbestechlichem, aber liebevollem Blick auf menschliche Schwachheit.

In Rudolstadt kam der ewige Verführer, jener Don Juan des 18. Jahrhunderts, in der idealen Gestalt von AARON JUDISCH auf die Bühne zurück – für einen vergnüglichen Abend, dessen knapp drei Stunden wie im Flug vergingen. Judisch ist, wenn auch als Sänger ein kleinstimmig verfestigter Tenor, als Darsteller der Mann von Welt und Niveau: schlank, elegant, intelligent. Die Produktion von Regisseur WOLFGANG DOSCH und Ausstatter BERNHARD NIECHOTZ hatte bereits 2011 in Nordhausen Premiere und wurde jetzt für einige Vorstellungen von Rudolstadt – dem sein eigenes Musiktheater-Ensemble vor Jahren weggekürzt wurde – übernommen.

Bei der Aufführung überzeugte vor allem Linckes Musik: Der Routinier hat Gespür fürs Publikum und bedient es mit einer romantischen Barcarole und einem zündenden Marsch als Ohrwurm, dessen Text Casanova, der die Frau’n verhext, dorthin wünscht, wo der Pfeffer wächst. Dazwischen erfreuen geschickt gestrickte Ensembles, ein hübsches Duett des Buffo-Paares, und viele bombige Charakterrollen – Kraftfutter für jeden Operettenkomiker.

Den hatte Nordhausen vor allem in Gestalt von JOSHUA FARRIER im Ensemble. Genau an der Grenze zwischen wirkungsvollem Posieren und überdrehtem Chargieren setzt er Stimme und Körper für die Charakterrolle des Cordini ein: Ein „Edelmann“, der hochfahrend und arrogant sein kann, wenn er sich überlegen fühlt, aber sofort weinerlich und schmierig wird, wenn es ihm ans Leder gehen soll. Ein oberflächlicher, windelweicher, schwammiger Typ – gleichzeitig liebenswürdig und abstoßend, belustigend und gefährlich. Ein Offenbach-Charakter par excellence.

Dagegen fallen in der Aufführung die anderen Charakterpartien ab. Das Soldatische wird bei THOMAS KOHL nur halbherzig parodiert; der Sänger mit einer nicht sauber sitzenden Stimme nimmt seine Rolle zu schnell nicht ernst genug, ist nur banal lustig statt subtil komisch: Der Festungskommandeur, der sich willig betrügen lässt, hätte mehr Potenzial. Ebenso der Gefängnisaufseher von MATTHIAS MITTELDORF, dessen alkoholische Fixierung präziser gespielt werden müsste, um wirklich amüsant zu wirken und auch die tragische Dimension der Figur durchschimmern zu lassen. MARIAN KALUS als verliebter Narcisso bleibt trotz prägnanter Stimme als Figur blass – dies liegt allerdings auch an seiner Rolle.

Das Trio der verführten Damen ist in allerliebsten venezianischen Kostümen zwar attraktiv anzusehen, bleibt aber gesanglich enttäuschend. So tröstet die Spielfreude von SANDRA SCHÜTT (Isabella) über ihre kleine, harte, unstete Stimme hinweg. Leonore, die ach so glutvoll liebende Heroine im Stück, wird von SABINE MUCKE mit großen, aber unzureichend gebildete Tönen gesungen. Nur BRIGTTE ROTH als Teresina bringt auch stimmlich glaubwürdig das jugendlich-spanische Temperament der an den Adelstrottel verkuppelten jungen Frau über die Rampe.

Zuverlässig Chor und Ballett aus Nordhausen, das in der Choreografie von JUTTA EBNOTHER venezianische Kostüm-Anklänge mit dem Bemühen verbindet, nicht in jedes Operetten-Fettnäpfchen zu treten. Bei OLIVER WEDER sind die Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt in guten Händen; Paul Linckes Musik erklingt mal schmissig, mal mit Sentiment, meist sauber gespielt und charakteristisch abgetönt. Der Berliner Unterhaltungskönig hat mit „Casanova“ bewiesen, dass er nicht nur mit der unverwüstlichen „Frau Luna“ ein wirksames Stück geschrieben hat, aus dem man auch heute noch einen kurzweiligen Operettenabend zaubern kann.

 Werner Häußner

 

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