Rudolf Simek
DÄMONEN, TEUFEL, HEXENGLAUBE
Böse Geister im europäischen Mittelalter
324 Seiten, Verlag Böhlau, 2023
Dass das Böse in der Welt ist, weiß jeder Mensch. Heute sucht man es via Psychoanalyse im Menschen selbst unter Berücksichtigung von Vererbung, Einflüssen und Umwelt. Eine Epoche wie das Mittelalter, die mit Religion getränkt war, an der es keinen Zweifel gab, erlaubt es, das Böse quasi „auszulagern“ – in die Welt des Teufels, der Dämonen und der Hexen.
Rudolf Simek, gebürtiger Burgenländer, emeritierter Professor für mittelalterliche deutsche und nordische Literatur an der Universität Bonn, hat seinen schriftstellerischen Schwerpunkt bisher bei Wikinger und Germanen gefunden. Nun steigt er tief in sein mittelalterliches Fachgebiet hinab und erforscht die menschliche Vorstellung vom Bösen, die sich im Mittelalter sowohl in der schriftlichen Aufzeichnung wie in der darstellenden Kunst niederschlugen. Die Illustrierung des Buches ist reichlich und informativ, man würde sich die Bilder nur oft größer wünschen.
Für das Böse ist der Teufel zuständig, aber die Menschen wurden nach ihrer damaligen Vorstellung vor allem von seinen Hilfsgeistern, den Dämonen, gequält. Diese waren an allem schuld – an Krankheiten, an Katastrophen aller Art und auch, weil man ja schließlich von ihnen verführt wurde, am eigenen Fehlverhalten. Dieser Glaube war fest verankert und wurde noch und noch tradiert – Dämonen als gefallene Engel, mit den echten Engeln im Kampf um die Menschenseelen. Und boshaft noch dazu…
Nun konnte, wer immer das im Mittelalter glaubte (und das waren zweifellos fast alle), sich schon auf die Bibel berufen, denn Dämonen kommen bereits im Alten Testament vor, selbst Jesus rang mit ihnen. Der Heilige Augustinus hegte so wenig Zweifel an ihrer „Realität“ wie alle anderen auch. Sichtbar machen konnte man das nur durch die Darstellung in der Kunst.
Bedenkt man, dass es sich schließlich um reine Phantasie handelte, so ist es erstaunlich und faszinierend zugleich, was der menschliche Geist und die künstlerische Phantasie hier an Ausgeburten jenseits des Realen fanden und erfanden (will man an heute denken, erkennt man es nur in Horrorfilmen wieder).
In dem Jahrtausend zwischen dem Ende des Römischen Reichs und der Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts, die der Autor für das Mittelalter absteckt, entstanden auf Kirchenwänden und Gemälden und in Büchern, gemalt und später auch gedruckt, die schauerlichsten Geschöpfe mit Teufelsfratzen und aufgerissenen Tiermäulern, klapprige Gespenster-Skelette und bocksbeinige Fabelwesen, Drachen, Kröten, Schlangen … kurz, alle Ängste tobten sich aus.
Rudolf Simek erforscht nach den Quellen genau die Geschichte der Dämonen nach den Überlieferungen, die verschiedenen Ausformungen (als scheinbare Menschen, Mischwesen, Tiere, Monster), ihr Wirken als Krankheitsdämonen, Wetterdämonen und jene, die mit dem Sex manipulierten. Es geht um ihren Kampf mit den Engeln und um die vielfältigen Versuche der gequälten, geängstigten Menschen, sie mit Amuletten oder auch Opfern und Fürbitten (am wirkungsvollsten war es angeblich, die Jungfrau Maria anzuflehen) zu bannen.
Bedenkt man, dass all das ja allein der menschlichen Phantasie entsprang, dass nichts davon real war, wurde hier ein wahrer Kosmos aufgebaut. Wobei die weibliche Seitenform der Hexen sich hier auch noch im rein esoterischen Bereich befand. Dass Hexen reale Frauen seien, wurde erst in der späteren Epoche der Hexenverbrennungen aktuell – als man das Böse den Echtmenschen nebenan zuschrieb…
Es ist einerseits eine irre, wilde Welt des Aberglaubens, in die man geführt wird, die andererseits sehr strukturiert wirkt, immer weiter ausgesponnene Überlieferungen. Und der Autor bestreitet, was mancher Zeitgenosse heute verdächtigen könnte, dass der ganze Horror von der Kirche entfesselt und inszeniert wurde, um seine Schäfchen besser im Griff zu haben und kontrollieren zu können. Es mag ja ein paar freie Geister gegeben haben, die all das bezweifelten, aber die haben den Mund gehalten: Dämonen, Hexen und der Teufel waren im Mittelalter allgegenwärtig.
Und dass zumindest der Teufel seine Faszination nie verloren hat, das beweisen ja in unserer Welt die im Untergrund lauernden Satanisten…
Renate Wagner