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ROTTERDAM: PHILHARMONIC GERGIEV-FESTIVAL / OTELLO

10.09.2012 | KRITIKEN, Oper

Rotterdam Philharmonic Gergiev Festival – 7. – 9.9.2012

Das heute so genannte Rotterdam Philharmonic Gergiev Festival durchlief in den 17 Jahren seiner Existenz verschiedenen Stadien, nicht nur in seiner Namensgebung. Bildete in den frühen Jahren der Regentschaft Zar Valerys (= Gergiev) die Werkschau auf einzelne russische Komponisten wie Tschaikowsky, Prokofiew, Schostakowitsch oder Strawinsky das Programmgerüst, so trägt das Festival seit einigen Jahren ein Motto, unter dem die einzelnen Programminhalte subsummiert sind. Dieses Motto – in diesem Jahr „Sea & You“ – ist mehr in den Konzertprogrammen von Gergievs Nachfolger als Chefdirigenten der Rotterdamer Philharmoniker, dem gleich seinem Vorgänger ähnlich dynamischen und charismatischen Yannick Nézet-Séguin, sowie in den übrigen „Nebenprogrammen“ zu erkennen als in den Gergiev-Konzerten, der ein Motto offenbar mehr als Einengung denn als Inspiration empfindet. So war „Sea & You“ in seinen Konzerten lediglich in Rachmaninoffs bzw. Regers „Toteninsel“ und in Verdis „Otello“ zu erahnen.

Die Rotterdamer Musiker sind ein Orchester von Weltformat mit einem sofort identifizierbaren Klang, in allen Stilen zu Hause. Sie fanden für jedes der von ihnen interpretierten Stücke unmittelbar den richtigen Ton, ob es nun russische Musik war (neben Rachmaninoffs „Toteninsel“ Shchedrins 4. Klavierkonzert und Prokofiews 5. Sinfonie) oder Werke aus dem deutschen Sprachraum (Regers „Toteninsel“ bzw. Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“) oder Musik neueren Datums wie Dutilleux‘ 1970 komponiertes Cellokonzert mit dem Titel „Tout un monde lontain“. Es machte den Rang dieses Festivalbeginns aus, dass für die beiden eminent schwierigen Solo-Konzerte mit Olli Mustonen (Shchedrin) und dem jungen Gewinner des Tschaikowsky-Wettbewerbs, dem armenischen Cellisten Harek Hakhnazaryan, ganz ausgezeichnete Interpreten gewonnen werden konnten. Mustonen, selber Komponist und auch Dirigent, ist seit langem mit der Musik des diesem Konzert mit seiner Gattin Maija Plissetskaya beiwohnenden Komponisten vertraut und brachte für den 1. Satz die nötige Spannkraft für die Lyrik dieses Konzerts auf wie auch die Kraft, sich gegenüber dem im 2. Satz sehr massiven Orchesterklang Gehör zu verschaffen. In Hakhnazaryan lernte man zweifellos ein großes Talent kennen, der schon allein dadurch auf sich aufmerksam machte, dass er den eher mediativen, in sich gekehrten Stil dieses Cello-Konzerts überzeugend umsetzte.

Zu Beginn einer Tournee, in deren Verlauf 14 Konzerte innerhalb von 8 Tagen gegeben werden, von Rotterdam über einige russische Städte bis hin nach Peking und wieder zurück, war das St. Petersburger Mariinsky-Theater zu einer kurzen Stippvisite Gast des Rotterdam-Festivals. Zu Verdis bereits nachmittags um 14.30 Uhr beginnender Oper „Otello“ waren Musiker und Choristen erst wenige Stunden vor Beginn eingeflogen worden, um sofort nach Ende wieder nach Russland zurückzukehren. Wenigstens den Solisten wurde eine Hotel-Übernachtung gegönnt! Dies sind Bedingungen, die für Musiker anderer Nationen unzumutbar wären, die für die Mariinsky-Musiker jedoch zum täglichen Brot gehören. Dies vorausgeschickt, ist deren Leistung, die keinerlei Müdigkeit erkennen ließ, umso höher einzuschätzen. Valery Gergiev ist für das Dirigat von „Otello“ eine sichere Bank. Er ist mit diesem Werk seit seinen Anfänger an der damals so genannten Kirow-Oper vertraut, und es kommt seiner dynamischen Persönlichkeit sehr entgegen. Im Vergleich zu der letzten, ebenfalls konzertanten Aufführung bei den diesjährigen „Weißen Nächten“ war die Besetzung nur in zwei Positionen (Montano, Herold) verändert. Das Mariinsky-Theater ist heute eines der letzten (wenn nicht sogar das letzte) Ensemble-Theater von Weltrang, das üblicherweise jede Rolle mehrfach mit hauseigenen Kräften besetzen kann. So fiel wieder einmal auf, dass selbst die sog. kleineren Partien „ersten“ Sängern anvertraut waren: Zlata Bulycheva (Emilia) singt sonst u.a. Eboli, Khachatur Badalyan (Cassio) Hoffmann und Pinkerton, Yuri Vorobiev (Lodovico) Gurnemanz, Vladimir Feliauer (Montano) Attila und Wanderer. Diese Qualität sorgte für einen hervorragenden Gesamteindruck, bei dem die drei Protagonisten das Sahnehäubchen bildeten. Der Otello des Letten Aleksandrs Antonenko machte deutlich, warum er heute zu den meistgesuchten Interpreten dieser Partie gehört. Mehr in der Nachfolge eines Plácido Domingo als in der eines Mario del Monaco, blieb er mit seinem weich timbrierten, doch außerordentlich tragfähigen Spinto-Material keinem Aspekt dieser Partie schuldig und überstrahlte sogar das kräftigste Orchester-forte, durch die vom Dirigenten favorisierte Positionierung der Solisten seitlich-hinter dem Orchester nicht gerade begünstigt. Victoria Yastrebovas schlanker Sopran ist ideal für die lyrischen Momente der Desdemona (1. und 4. Akt), dank ihrer guten Technik machten ihr jedoch die eigentlich eine größere Stimme erfordernden Passagen besonders des 3. Akts keine Mühe. Alexei Markov ist für mich das Ideal eines Verdi-Baritons, eine metallisch timbrierte, doch geschmeidig geführte Stimme, der selbst die (sonst meistens nur angetippten) Höhen des Trinklieds keine Schwierigkeit bereiteten. München kann sich auf seinen Conte di Luna freuen! Der nur 40 Mann bzw. Frauen starke Chor, aus dem auch der Sänger des Herolds (Yevgeny Ursul) rekrutiert wurde, produzierte einen fülligen Klang.

Sune Manninen

 

 

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