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ROSSINI IN WILDBAD 2025: PIERRE DE MEDICIS

ROSSINI IN WILDBAD 2025:
„PIERRE DE MEDICIS“ von Giuseppe Poniatowski
(konzertant)
Deutsche Erstaufführung
24. Juli 2025

Gioacchino Rossini hatte mit Sigismondo 1814 nicht nur ein Werk über einen früheren polnischen König geschrieben, er war später auch mit Jozef (Giuseppe) Poniatowski (1814-1873), dem Großneffen des letzten polnischen Thron-Inhabers Stanislaw II.befreundet. Dieser war im italienischen Exil des Vaters in Rom aufgewachsen und ist später nach Paris übersiedelt, wo er zu den ständigen Gästen bei Rossinis Samstag-Nachmittags-Salons gehörte, ehe er später einen eigenen Salon gründete, der zu einem beliebten Künstlertreff geworden war. Poniatowski hatte zuerst als Tenor auf vielen Bühnen gestanden,u.a.auch als Rossinis „Otello“, der zufällig auch zum diesjährigen Festspielprogramm gehört. Später brachte er es bis zum Senator und verfasste dreizehn Opern, darunter auch die 1860 an der Pariser Oper (damals noch im Salle Peletier) mit großem Erfolg uraufgeführte Vertonung des Stoffes aus dem florentinischen Geschlecht der Medici.

Die Handlung ereignet sich in Pisa, wo Julien de Medici Gouverneur ist, ehe sein Bruder Pierre aus Florenz die Macht für sich beansprucht und übernimmt. Außer dieser politischen Konkurennzen verbindet die beiden Brüder die Liebe zur gleichen Frau, der Gräfin Laura Salviati, die jedoch nur Augen für Julien hat. Ihr Onkel, der mächtige Großinquisitor Fra Antonio unterstützt indes eine Heirat mit Pierre. Um zu seinem Ziel zu gelangen überträgt er Julien die Führung der Flotte, ordnet die sofortige Abreise an und verweigert ihm die Verehelichung mit Laura. Dennoch gelingt beiden im Fest-Trubel der Luminara (Lichterfest) mit Hilfe von Juliens Freund Paolo Monti die Flucht, doch hat der Großinquisitor Lauras vorläufiges Versteck in einer Fischerhütte ausfindig gemacht, bevor Julien mit ihr zusammen trifft. Laura verweigert Pierres Thron- und Liebesangebot, worauf ihr Onkel sie vor die Wahl zwischen Thron und Kloster stellt. Laura entscheidet sich für den Rückzug ins religiöse Exil, worauf Julien und die Mitverschwörer gegen Pierre versuchen sie zu befreien. Dies gelingt jedoch erst dem inzwischen im Kampf schwer verletzten Pierre, indem er den Abbruch von Lauras Gelübde-Ritus befiehlt, seinem Bruder vergibt und unter aller Anteilnahme stirbt. Die hier erfolgte deutsche Erstaufführung folgt der 1861 uraufgeführten zweiten Fassung des Werkes mit der Rettung Lauras und einer versöhnlichen Schlussgeste.

Stilistisch befindet sich Poniatowski in einem Konglomerat aus Errungenschaften aller großen Belcanto-Komponisten, ganz besonders jedoch Rossini, aber auch französische Einflüsse sind in der eleganten Behandlung und Instrumentierung wie auch im Klangmalerischen ebenso wenig zu verleugnen wie Aneignungen von Strauss’scher Walzerseligkeit. Im Aufbau inklusive einer gut zwanzig minütigen, den damaligen Pariser Gepflogenheiten entsprechenden Ballettmusik, deren Choreographie einer mythologischen Geschichte um Dianas Liebschaften damals kein Geringerer als der große Marius Petipa besorgt hatte, wie auch in der Fülle an stimmungsbildenden Formen vom stillen Gebet, über berauschende Trinklieder, innigen Lyrismen bis zu pulsierend bewegten Cabaletten, übersichtlich aufgebauten Ensemble- und Massenszenen unter umfangreicher Beteiligung des Chores, erfüllt Poniatowski alle Anforderungen an eine Grande Opéra.

Allein schon der Orchesterapparat mit recht groß und häufig besetztem Schlagwerk und Orgel sowie dessen vielfältiger Einsatz für spezielle harmonische Wirkungen mit Harfe oder solistischen Holzbläsern zeugt vom Farbreichtum wie auch der Effektivität der Komposition, die alles in allem die bislang ergiebigste der hier in den letzten Jahren präsentierten Ausgrabungen aus dem Umfeld Rossinis ist.

José Miguel Pérez Sierra, seit Jahren bewährter musikalischer Leiter zahlreicher Festival-Produktionen, hat mit dem dieses Jahr als instrumentaler Partner engagierten Szymanowski-Philharmonie-Orchester Krakau enorme Arbeit geleistet, die sich in einer hörbar inspirierten und sich quer durchs Orchester ziehenden Musizierlust niederschlug und das Werk in seiner ganzen Vielseitigkeit als lohnende Entdeckung präsentierte. Enorm ist auch die erzielte klangliche Fülle und Variabilität des Chores der Szymanowski-Philharmonie (Einstudierung: Piotr Piwko) in Anbetracht von nur 24 dafür eingesetzten SängerInnen. Der begrenzte Platz in der für größere Besetzungen nicht optimal hohen Trinkhalle macht es möglich, dass die zahlreichen Chorbeiträge auch bei vollem Orchester nicht ins Hintertreffen gerieten.

Die hoch anspruchsvollen Hauptpartien konnten vorzüglich besetzt werden. Die allesamt erstklassigen Herren mögen es verzeihen, dass Claudia Pavone als Laura der Vortritt gewährt, so überstrahlte sie alle und alles an diesem Abend. Ein fruchtig saftiger Sopran dunkler Färbung mit rundem gehaltvollen Registern, der von der blühend innigen Klage bis zur furiosen Stretta mit sicher platzierten und ausgiebig gesetzten Spitzentönen die ganze emotionale Skala bewegend ausfüllt. Patrick Kabongo gehört seit einigen Jahren zu den Stützen des Festivals und eroberte sich mit der Titelrolle Pierre de Médicis eine weitere Partie in müheloser Auslotung des geforderten enormen Tonumfangs und anteilnehmender Interpretation des zuletzt versöhnlichen und reuevollen Machthabers.

Eine lohnende Begegnung ist auch die mit dem Spanier César San Martin, der als Julien mit konzentriert fokussierter Tongebung seines flexibel weichen Bariton für noblen Belcanto zwischen Intimität und Auftrumpfen garantierte. Es mag viele im Material üppige Bässe geben, aber solche, die so klar, resonanzreich und prononciert sind wie der von Nathanel Tavernier, eher selten. Damit  geriet jeder seiner Einsätze als Großinquisitor zu einem Ohrenschmaus mit Würde und Autorität.

In den kleineren Rollen eines Herolds, Soldaten und zweier Spieler stellten sich die Stipendiaten der Academie Belcanto, die Tenöre Paolo Mascari und Davide Zaccherini, und die Baritone Willingerd Gimenéz und Carlos Reynoso mit überwiegend Zukunft versprechenden Beiträgen vor. Eine Viertelstunde vor Mitternacht endete diese hoffentlich für Tonträger aufgezeichnete moderne Erstaufführung mit lautstarken Ovationen.

   Udo Klebes

 

 

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