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ROSSINI IN WILDBAD 2022 Besuchte Vorstellungen 20.-23.7. 2022 – Vollendung des kompletten Operngesamtwerkes für CD

ROSSINI IN WILDBAD 2022

Besuchte Vorstellungen 20.-23.7. 2022 – Vollendung des kompletten Operngesamtwerkes für CD

Bei den nunmehr seit 30 Jahren von Jochen Schönleber geleiteten Rossini-Festspielen im Nordschwarzwald-Kurstädtchen Bad Wildbad vereinten sich zu diesem Jubiläum die drei Opern des Pesareser Meisters, die in der CD-Rossini-Gesamtausgabe mit Aufzeichnungen des Festivals noch gefehlt hatten.

armida rossini in wildbad 2022 ensemble
„Armida“-Ensemble. Copyright: Rossini in Bad Wildbad

„ARMIDA“ (20.7.) stammt aus den neapolitanischen Jahren des Komponisten und hatte damals 1817 einen großen Erfolg am Teatro San Carlo. Obwohl oder gerade weil das Publikum mit einigen unkonventionellen Formen in Aufbau und musikalischer Gestaltung konfrontiert wurde. Die Geschichte ist dem vielfach vertonten „Gerusalemme liberata“ von Torquato Tasso entnommen und handelt von der zauberkräftigen Nichte des damaszenischen Königs Idraote. Diese hatte einst dem Kreuzritter Rinaldo das Leben gerettet und sich in ihn verliebt. Immer noch auf ihn hoffend, verhilft sie ihm nach der Duell-Tötung seines ritterlichen Kontrahenten Gernando zur Flucht. Mit ihrer Macht verwandelt sie die öde Insel in ein Paradies, um sich mit Rinaldo ganz der Liebe hingeben zu können, ehe die Schönheit verfliegt. Doch Rinaldos Gefährten Carlo und Ubaldo gelingt es mit ihrem Appell an seine Pflichten und die Konfrontation mit seiner Verweichlichung ihn aus Armidas Fängen zu befreien. Nachdem er  auch auf ihr Angebot ihm als Sklavin zu folgen, nicht eingeht und sie in einer Ohnmacht zurück lässt, beschwört die sich verraten Fühlende den Rachegott und veranlasst mit neu gewonnener Zaubermacht die Zerstörung des Inselparadieses.

Keine Frage, dass diese Handlung Rossini zu besonderen musikalischen Erfindungen inspiriert hatte. Angefangen bei der  Konfrontation einer einzigen Frauenpartie mit gleich sechs Tenören, unter denen es einmal zu einem Duett, einmal zu einem Terzett kommt – einem Liebesduett in jedem der drei Akte, deren zweiter sich mit einer ausgreifenden, sinnlichen, voller virtuoser Instrumentalsoli steckenden Ballettmusik ganz auf die Feier der Liebe konzentriert – sowie die für Belcanto-Verhältnisse gewaltige Final-Cabaletta, in der sich Armidas Rachedurst vokal und orchestral mit ungeheurer Macht entlädt.

Da eine szenische Darstellung äußerste Phantasie und einen aufwendigen technischen Apparat erfordern würde, der bei diesem bescheiden ausgestatteten Festival nicht gegeben ist, musste eine konzertante Aufführung, in der zumindest das Liebesverhältnis von Armida und Rinaldo mit knappen szenischen und mimischen Andeutungen sichtbar wurde, Genüge tun.

Und dies tat sie auch mit einem absolut festspielwürdigen Ensemble mit Ruth Iniesta als Armida im Zentrum. Die spanische Sopranistin hat sich mit ihrem sowohl feinen wie auch gebührend zupackenden, für die Variations-Gesänge im zweiten Akt entsprechend Koloratur gewandten Sopran die voller wechselnder Details steckende Partie zu eigen gemacht. Lediglich etwas mehr persönliche Farbe im Timbre und in der Ausgestaltung der Macht gebietenden Teile würde zu einer noch fesselnderen Gesamtleistung beitragen.

Denn Iniesta war von einem Tenor-Aufgebot umgeben, auf das jedes hochdotierte Opernhaus stolz sein könnte. Angeführt von Michele Angelini, der den in zahlreiche horrende Höhen führenden Part des Rinaldo mit wahrlich ritterlicher Standhaftigkeit glänzend und dabei bewundernswerter Leichtigkeit bewältigt. Wie selbstverständlich bindet er Extremtöne in den Fluss einer Phrase, fügt er dynamische Wechsel in einem Bogen zusammen. Und durchgängig mit einem nie streng und grell werdenden Timbre, attraktiv wie seine Erscheinung. Ein Genuss von Anfang bis Ende. Im Ganzen Maßstab setzend und damit von Weltklasse!

Keineswegs verstecken müssen sich dahinter die Vertreter der jeweils auf einen Akt beschränkten Rollen. Vor allem der für einen Baritenor geschriebene Heeresführer Goffredo ist mit einem der ganz wenigen Vertreter dieser Stimmspezies ideal besetzt: Moises Marin. Mit ebenfalls angenehm rundem und charaktervollem Timbre durchmisst er die gewaltigen Tonsprünge von exorbitanten Spitzen bis in klangvolle Tiefen nicht weniger phänomenal. Patrick Kabongo, der beim Festival mit kleinen Aufgaben angefangen und inzwischen zu einem Publikumsliebling geworden ist, steuert als im Duell leider viel zu früh fallender Gernando seinen besonders edel gefärbten, im lyrischen betörend schönen, bei dramatischen Aufschwüngen immer im Lot bleibenden Tenor bei. Dazu kommen noch der etwas dunklere, auch gepflegt phrasierende Tenor von César Arrieta als Ubaldo, der sich im Duett mit dem etwas strengeren, engagiert zupackenden Tenor von Chuan Wang vom Paradies betören lässt. Der sechste im Bunde ist Manuel Amati als Goffredos Bruder Eustazio, von dem später noch die Rede sein wird. Auf immerhin nicht ganz verlorenem Posten stehen die beiden tiefen Stimmvertreter, der organisch ansprechende Bassbariton von Jusung Gabriel Park als König Idraote und der düstere Bass von Shi Zong als Dämonenanführer Astarotte.

Der Philharmonische Chor Krakau (Einstudierung: Marcin Wrobel), der in diesem Jahr in kleiner, vokal sehr konzentrierter Formation den Festspielchor stellt, gibt Rittern und Nymphen gleichermaßen klangliches Flair. Auf instrumentaler Ebene obliegt diese Funktion dem mit angereisten Philharmonischen Orchester Krakau, das sich hinsichtlich Rossinis flinker Feder als eloquent flexibler Klangkörper beweist. Unter der Leitung des ebenso detailgenauen wie auch die erforderliche Lockerheit walten lassenden José Miguel Pérez-Sierra kommt diese immer wieder Staunen machende Partitur durchgehend animiert und inspiriert zur Entfaltung. Ganz besonders die erwähnte Ballettmusik mit Solokonzert-Charakter wurde weit entfernt von einer lustlosen Pflichtübung serviert.

monsieur offenbach chez rossini ensemble bad wildbad juli 2022
Monsieur Offenbach chez Rossini. Ensemble: Copyright: Rossini in Bad Wildbad.

Am Nachmittag darauf (21.7.) gab es im Rahmenprogramm in Anlehnung an die typischen Musiksalons im Paris des 19.Jahrhunderts eine musikalische Soiree mit halbszenischen Elementen unter dem Titel „MONSIEUR OFFENBACH CHEZ ROSSINI“. Ersterer wurde als Rossini der Operette tituliert, zweiterer als Mozart der Champs-Elysées. Ob Offenbach tatsächlich bei einer dieser privat organisierten musikalisch-literarischen Abendunterhaltungen anwesend war, ist nicht sicher, aber bei einer dieser Veranstaltungen kam Offenbachs 1863 entstandene Buffonerie musicale „La lecon de chant électro-magnetique“ zur Premiere. Diese elektromagnetische Gesangsstunde vereint einen ganz von sich selbst eingenommenen italienischen Gesangslehrer namens Toccato und seinen Schüler Jean Matois, ein Bauer aus der Normandie. Mit reichlich Worten und zwei musikalischen Beispielen in Form einer Pastorale und einer Tarantella entlockt er dem jungen Mann nach und nach immer mehr Töne, bis dieser einen dörflichen Reigen in Couplet-Form vom Stapel läßt. Schließlich ist Toccato so begeistert von ihm, dass er ihn auf Reisen nach Italien einlädt und sich beider Stimmen in einer kunstvollen Überlagerung von Tarantella und Reigen vereinen. Emmanuel Franco, in Bad Wildbad bereits bestens bekannt, verkörpert den Toccato mit seiner komödiantischen Ader äußerst unterhaltsam, drückt aber leider derart auf seinen fülligen Bariton drauf, dass sich die Stimme immer wieder verhärtet. Ein bewußtes Stilmittel für diese Rolle? Den Schüler Matois gibt Remy Burnens mit fein timbriertem lyrischem Tenor, der  nur in Forte-Höhen an Klangqualität verliert. Dieser Eindruck bestätigte sich dann auch in der Arie des Argirio aus „Tancredi“, weniger in der sehr einnehmend phrasierten Nr. 5 „Le sylvain“ aus Morceaux réservés. Aus dem Opernsektor steuerte Iida Antola, von der später noch die Rede sein wird, Elenas Rondo-Finale aus „La donna del lago“ mit anstandslos bewältigter Virtuosität ihres dunklen Soprans bei. Köstlich das „Chanson du bébé“, in dem die Sopranistin Katarzyna Guran nur mit dem behaubten Kopf in bzw hinter einem Kinderwagen wirklich kleinkindliche Verlautbarungen von sich gibt ohne unnatürlich peinlich zu werden. Beide Frauenstimmen fanden dann noch in der Nr. 6 „Le gittane“ aus dem Album italiano harmonisch zusammen. Bevor alle vier Solostimmen sich im Quartetto pastorale a“L’Asia in faville“ vereinten und das Programm beendeten, musizierte Pianist Paolo Raffo, der noch bei anderer Gelegenheit zu würdigen sein wird, mit seiner Tochter Matilde an der Violine das Duo-Andante und Thema mit Variationen über „Di tanti palpiti“ aus „Tancredi“.

Ein launiger, zunehmend kurzwilliger Nachmittag im Kurtheater.

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Emmanuel Franco, Sara Blanch und Cèsar Arietta. Copyright: Rossini in Bad Wildbad

In diesem nach der Jahrtausendwende wieder aus dem Dornröschenschlaf geholten Kleinod kam auch „ADINA“ (22.7.) zur Aufführung, Rossinis neben seinen frühen für Venedig geschriebenen Einaktern weitgehend unbekannt gebliebene Farsa. Ein ungewöhnliches Werk in jeder Beziehung, von einem bis heute nicht identifizierten Privatmäzen in Auftrag gegeben, textlich von Gherardo Bevilaqua-Aldobrandini nach einer zweiaktigen Libretto-Vorlage Felice Romanis auf einen Einakter umgeschrieben, komponiert zwar bereits 1818, aber erst acht Jahre später in Lissabon uraufgeführt, von wo der briefliche Auftrag erfolgt war.

Inhaltlich ist es ein Türkensujet, das damals in Mode war, und erinnert vielfach an deren berühmtestes Beispiel Mozarts „Entführung aus dem Serail“. Der Kalif ist im Begriff Adina zu heiraten, die ihn sehr an seine einstige Geliebte erinnert, als der einst Adina versprochene junge Araber Selimo ihre Fährte aufnimmt und mit Hilfe des Gärtners Mustafa zu ihr gelangt und die Flucht verabredet. Doch des Kalifen Vertrauter Ali hat gelauscht und die Entführung vereitelt. Dadurch erklärt sich ihm auch Adinas merkwürdiges, zögerliches Verhalten, doch rechtzeitig bevor er die Verräter einer Strafe überantworten kann, entdeckt er am Hals der ohnmächtig gewordenen Adina ein Medaillon seiner einstigen Geliebten, ihrer Mutter. So kann er am Ende seine Tochter doch noch mit Selimo als Paar zusammen führen.

Von den früheren Farse unterscheidet sie sich durch eine konventionslosere Dramaturgie, das Fehlen einer Ouvertüre, der Hinzufügung durch einen Männerchor, ein etwas erweitertes Instrumentarium und eine psychologisch differenzierte Zeichnung der Personen.

Jochen Schönleber hat wie so oft in den letzten Jahren im eigenen Bühnenraum, einer von beiden Seiten betretbaren und durch wenige Handgriffe schnell verwandelbaren kammerartigen Kleinbühne selbst weitgehend ohne fragwürdige Mätzchen und Anspielungen Regie geführt. In der Gegenwart (Kostüme: Cennet Aydogan) spielt sich das ab, was bei dieser zeitlosen Geschichte indes überhaupt nicht stört.

Emmanuel Franco, der auch Ideen für die Regie und Kostüme geliefert hatte, macht als Kalif eine überzeugend gesetzte Figur zwischen Güte, Sorge und Eifersucht. Vor allem aber verzichtet er hier aufs unnötige Draufhauen auf die Stimme, beweist Flexibilität in der Stimmführung und die Fähigkeit zum Strömen lassen, so dass sein Bariton erst richtig zur Entfaltung kommt. Eine wahre Freude wie bereits zuletzt als Matilde di Shabran ist Sara Blanch in der Titelrolle. Mit ihrem feinfühlig phrasierenden, in jeder Lage sitzenden und in den Höhen leicht aufblühenden Sopran vermag sie eine junge Frau in aller Nuanciertheit zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Dankbarkeit und Ablehnung glaubhaft zu machen und selbst im üblicherweise einsilbig freudenvollen Final-Rondo eine nicht ganz zweifelsfreie Glückseligkeit durchhören zu lassen.  Den Selimo verkörpert César Arrieta mit passenden Latin Lover-Schmacht-Akzenten und viel Feinsinn fürs lyrische Gestalten, aber auch einer  Schattenseite mit energischer auffahrendem, immer im Fluss bleibendem Tenor.

Als Ali hat Aaron Godfrey-Mayes, ein Stipendiat der diesjährigen Akademie BelCanto, immerhin in einer kurz vor dem Finale eingeschobenen Sorbetto-Arie Gelegenheit auf einen ansprechend timbrierten Tenor mit viel versprechendem Material, nebst einer süffisanten Darstellung, aufmerksam zu machen. Shi Zong obliegen als Gehilfe und Handlanger Mustafa hauptsächlich Einsätze in Rezitativen und im Ensemble, sein körniger Bass hätte sich auch eine Solo-Arie verdient gehabt.

Die Sklaven und Wachen des Serails liegen in den Händen des Philharmonischen Chores Krakau, der auch szenische Beweglichkeit zeigen darf. Das Philharmonische Orchester Krakau steht hier unter der genau animierenden Leitung des schon mehrfach zum Zuge gekommenen Luciano Acocella, der das ungewöhnliche Opus einstudiert hat, zu dem (bei Rossini nicht unüblich)  drei aus „Sigismondo“ wieder verwendete Nummern sowie ein eingefügtes Terzett von Giovanni Pacini und von einem bislang nicht identifizierten Mitarbeiter orchestrierte Beiträge gehören, mit Liebe am Detail eingestreuterBläser-Figuren und Intuition fürs Crescendieren.

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Jusung Gabriel Park gewann den (geteilten) Belcanto-Preis

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Ebenfalls Belcanto-Preisträgerin: Lida Antola

Am darauf folgenden Vormittag (23.7.) war erneut das Kurtheater der passende Rahmen für die jährlich stattfindenden Abschlusskonzerte der Akademie-Stipendiaten unter dem Titel „ROSSINI & CO.“. Das zweite dieser Konzerte, von dem hier die Rede ist, präsentierte die Teilnehmer des Meisterkurses von Raúl Gimenez, zunächst mit Ausschnitten aus den drei Da Ponte-Opern Mozarts, sodann aus Werken Rossinis. Es bewahrheitete sich wieder einmal, dass ein Manko, das bei Rossini noch durchgeht, bei Mozart an der Qualität kratzt. Vor allem, wenn es um zu viel Stimmdruck geht wie bei der zu dick auftragenden Despina von Mariana Poltorak, die abgesehen von einer gewissen Strenge mit der Fiordiligi besser bedient wäre, um in „Cosi fan tutte“ zu bleiben. Daraus waren gleich beide Quintette aus dem 1.Akt zu hören, aus denen der am Vortag in einer Nebenrolle aufgefallene Aaron Godfrey-Mayes mit seinem schönen Material in lyrischer Form, im nachfolgenden „Un aura amorosa“ hervorstach. Außer dem stimmungsdichten Terzettino nach der Abreise der beiden Verlobten präsentierte sich noch die Finnin Iida Antola mit dem Rondo der Fiordiligi – etwas spröde im Timbre, aber technisch für alle Klippen gewappnet, und gewann damit den Belcanto-Preis. Genauer gesagt musste sie ihn sich der Geschlechter-Gerechtigkeit halber – wie es Jochen Schönleber in seiner Ansprache formulierte – teilen, und zwar mit Jusung Gabriel Park, der als vokal wie gestalterisch eloquenter Leporello eine bemerkenswert verfeinerte Registerarie zum Besten gab. Katarzyna Guran konnte als Aspasia („Mitridate“) ihres etwas herb eingefärbten Soprans zum Trotz mit flinker Virtuosität für sich einnehmen. Einen hellen, klaren, im Ansatz noch etwas steifen, charaktervollen Tenor ließ Bartosz Jankowski in der meist gestrichenen Basilio-Arie aus dem vierten Figaro-Akt hören.

Den Rossini-Block eröffnete der zuvor als Guglielmo vor allem als künstlerische Erscheinung aufgefallene Stepan Polishchuk mit der Auftrittsarie des Maometto II aus der gleichnamigen Oper – mit gelenkig durchs umfangreiche Register steuerndem Bass-Bariton und passend strammer Pose. Manuel Amatis feinfühlig phrasierender Tenor (Arie des Giocondo aus „La pietra del Paragone“) wird leider bei kräftigerer Beanspruchung durch einen grellen Beiklang beeinträchtigt. Gökmen Sahin hat mit der Paradearie des Alidoro aus „La Cenerentola“ noch hörbare Mühe deren immense Anforderungen hinsichtlich Atemtechnik und großzügiger Entfaltung in allen Lagen rollentragend zu erfüllen. Sehr innig und hinreichend sicher im Verblenden der Tonlagen begegnet uns Bianca Vazquez Canales als Amenaide in „Tancredi“. Diesem ersten Opern-Erfolg tragischer Prägung in Rossinis Oeuvre gehörten auch die letzten beiden Nummern. Zuvor als Dorabella in Erscheinung getreten, offenbarte Cecilia Pastawski nun in der großen Szene des Titelhelden sowie dessen Sterbeszene mit einem einschmeichelnd attraktiven, ganz ausgeglichenen und Spannungen aufbauendem Mezzosopran die ehrlich gesagt reifste Leistung dieses Konzertes und damit auch die preiswürdigste. Doch Jochen Schönleber hatte sich laut eigenen Worten etwas von der Publikums-Begeisterung lenken lassen – und diese war bei Iida Antola in der Tat am größten. Herzlichen Glückwunsch den beiden Preisträgern! Als Draufgabe und Ausgleich zur tragischen Final-Version des „Tancredi“ gab es noch von allen Teilnehmern gemeinsam in einer speziellen Version das glücklich stimmende Allegro-Finale.

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ERMIONE. Moises Marin, Serena Farnocchia und Ensemble. Copyright: Rossini in Bad Wildbad

Am Abend dann in der Trinkhalle „ERMIONE“, laut Rossini-Wissenschaftler und Autor Reto Müller, der auch dieses Jahr wieder für die deutschen und italienischen Übertitel verantwortlich war sowie Werkeinführungen hielt, Rossinis am meisten von Mythen umranktes Bühnenwerk. Sein Verschwinden aus dem Repertoire beruhe weniger auf dem Misserfolg bei der Uraufführung 1819 in Neapel, mehr auf fälschlich ausgelegten Auswirkungen auf Rossinis weiteren Schaffensprozess. Der Vorwurf einer mehr aufs Deklarieren angelegten Kompositionsweise greift nicht wirklich, sind doch diese Momente äußerst begrenzt und auf wichtigste Aussagen konzentriert. Die Radikalität der Handlung und ihre von Rossini mit viel Selbstsicherheit, Überlegtheit und Inspiration erfolgte Umsetzung in musikalisch gleichfalls nicht zimperliche Entäußerungen stieß damals sicher vor den Kopf, aber letztendlich war dieses Werk nicht wegweisender als andere aus der neapolitanischen Phase. Auch einige gegen die Konvention gerichtete Strukturen wie das Wehklagen der Trojaner in die Ouvertüre hinein, die große offene den Rahmen einer traditionell konzipierten Arie sprengende Szene der Ermione oder das ohne eine übliche Schlussarie oder Ensemble auskommende zweite Finale mögen selbst bei der doch schon einige Jahrzehnte währenden Rossini-Renaissance bislang im Weg gestanden haben. Mit diesem Stück hat sich nun auch beim Festival in Bad Wildbad ein Kreis geschlossen, wurde das letzte noch gefehlt habende Bühnenwerk in einer Koproduktion mit der Oper in Krakau szenisch präsentiert. Auf der knapp bemessenen Bühne der Trinkhalle hat Jochen Schönleber, abgesehen von zwei links und rechts begrenzenden und für Verbergungen geeigneten Würfeln, auf die während der Ouvertüre kriegerische Szenen projiziert werden, ganz auf eine Personenregie gesetzt, die die Konflikte und Auseinandersetzungen in Gesichtern und Gesten ohne ablenkende Auswüchse oder Subtexte widerspiegelt. Die auch hier von Cennet Aydogan entworfenen Kostüme verorten das Geschehen in einem der Gegenwart angenäherten Umfeld.

Der Trojanische Krieg spielt nur eine untergeordnete Rolle, wesentlich sind die Auswirkungen auf die Psyche und das kompromisslose Verhalten der Hauptpersonen. Helenas Tochter Ermione wurde vom epirischen König Pirro die Ehe versprochen. Dieser hat jedoch als Kriegsbeute aus Troja die Witwe Andromaca und Sohn Astianatte des getöteten Hektor mitgebracht und bietet nun ihr sein Herz an. Dieses Ansinnen lehnt sie ab. Nummer Vier in diesem unglücklich miteinander verstrickten Quartett ist Oreste, der Botschafter der griechischen Könige und heimlich verliebt in Ermione. Statt auf seine Avancen einzugehen missbraucht sie ihn, angetrieben von ihrer Vertrauten Cleone, zur Rache an Pirro, der öffentlich bekennt sich doch wieder ihr zuzuwenden, aber tatsächlich nur an Andromaca denkt, die er für ihre Abweisung bestrafen möchte. Ermione macht Andromaca für Pirros Sinneswandel verantwortlich. Diese plant sich selbst zu töten, sobald Pirro den Schutz ihres Sohnes geschworen hat. Oreste kehrt mit blutverschmierter Waffe zu Ermione zurück und wird ob seiner Schuld dem Wahnsinn nahe zuletzt von seinen Freunden vor den drohenden Epiroten in Sicherheit gebracht, während Ermione die rächenden Wogen des Meeres herauf beschwört und in diesem Zustand keine Erlösung durch den Tod findet.

So gnadenlos sie alle handeln und miteinander umgehen, so expressiv sind auch die vokalen Verlautbarungen. In der Titelrolle mobilisiert Serena Farnocchia mit ihrem grundsolide ausgestatteten Sopran ohne besondere Timbre-Merkmale ungeahnte Kräfte an dramatischer Attacke, findet dazwischen auch zu innigen Tönen, um vor allem im zweiten Akt voll aufzudrehen und die Szene richtig unter Strom zu setzen. Da entfacht sie eine Glut, der auf der Seite der Männer Moises Marin als Pirro voll entspricht. Schonungslos verlangt Rossini dem sturen Potentaten eine ganze Kette an irrsinnigen Höhen-Extremen ab, denen Marin mit verblüffender Selbstverständlichkeit begegnet und keinen Zweifel daran lässt, dass seine Stimme ein Zeichen seiner Macht ist. Wo der spanische Baritenor keine Grenzen zu kennen scheint, machen sich bei Patrick Kabongo als gefühlvoll intonierendem Oreste doch in einigen ausgreifenden Höhenphasen klangliche Verluste seines auffallend schön gefärbten Tenors bemerkbar. Den Gesamterfolg beim Publikum hatte er auch aufgrund seiner charismatischen Darstellungsgabe damit aber nicht eingeschränkt. Als Andromaca lässt Aurora Faggioli mit einem vollmundig dunklen Mezzosopran und dynamischer Stimmführung aufhorchen. Letzteres tut erneut auch Jusung Gabriel Park als Pirros Erzieher Fenicio. Im Duett mit Orestes Freund Pilade wird er leider von der etwas strengeren Tenorstimme von Chuan Wang überlagert. Bartosz Jankowski gefällt als Pirros Vertrauter Attalo mit charaktertenoraler Frische und lebhaftem Auftreten. Als Vertraute der beiden Frauen ergänzen Mariana Poltorak (Cleone) und Katarzyna Guran (Cefisa). Der bereits genannte Festspielchor beteiligte sich am bzw. kommentierte das Geschehen mit engagiertem, stimmlich ausgewogenem Einsatz. Dem Festspielorchester obliegt hier eine im Belcanto-Bereich erheblich erweiterte Vertiefung und Differenzierung, die die vokalen Einsätze entsprechend unterstützen und verdichten. So wird das Orchester zum ebenbürtigen Ausdrucksträger der Stimmen. Unter der anfeuernden und voran treibenden, aber auch umsichtigen Leitung des musikalischen Festival-Chefs Antonino Fogliani schwappen die geballten Emotionen dieser Oper, als deren Auslöser und Schuldige mehrfach Amor beklagt wird, wie eine Welle ins Publikum und verhindern jegliche Langeweile. Die MusikerInnen aus Krakau bewiesen erneut ihre Kompetenz für Rossini-Bedürfnisse. Der Jubel nach dieser im Deutschland-Radio übertragenen Vorstellung war entsprechend gewaltig.

Udo Klebes

 

 

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