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ROMAN NOVITZKY im Portrait – Dreifach talentierter Erster Solist fürs Charakterfach

25.02.2019 | TANZ-NEWS, Tänzer

 


 In „Lucid dream“ von Marco Goecke mit Alexander McGowan   –  Copyright: Stuttgarter Ballett

Im Portrait:  ROMAN NOVITZKY Dreifach talentierter Erster Solist fürs Charakterfach

Unter den Ersten Solisten des Stuttgarter Balletts ist er der Unscheinbarste, aber auch Ungewöhnlichste, dennoch nimmt Roman Novitzky eine künstlerische Sonderstellung ein, die in dieser Ausprägung nur sehr selten vorkommen dürfte: Tänzer – Fotograf – Choreograph. In dieser Reihenfolge betrachtet er selbst seine Tätigkeit, auch wenn letztlich alle drei Berufungen zusammenfließen und gegenseitige Inspiration schaffen. Zeitlich ist das nicht immer so leicht unter einen Hut zu bringen, in Summe jedoch erfüllend schön.

Diese Erfüllung ist dem 1984 in Bratislava (Slowakei) in eine kunstbegeisterte Familie Hineingeborenen im Gespräch deutlich anzumerken. Getragen von privatem Glück an der Seite seiner Frau, der ebenfalls aus Bratislava stammenden Ersten Solistin Miriam Kacerova, und dem gemeinsamen, inzwischen 2 Jahre alten Sohn Lucas,  spricht aus seinen Äußerungen eine wohltuende Leichtigkeit und Freude.

 

Ausbildung und rascher Aufstieg in der Heimat

Begonnen hat alles 1995 mit dem Start der Ausbildung am Ballettkonservatorium seiner Heimatstadt. Bis dahin hatte ihn alles, was mit Bewegung, mit Sport zu tun hat, und ganz besonders die Athletik interessiert. Aufgrund offensichtlich guter Figur bei tänzerischen Übungen wurde er zu einem Vortanzen angeregt, aus dem er unter 100 Teilnehmern an dritter Position hervor gegangen war. Schwankte er bezüglich einer beruflichen Zukunft zuerst noch zwischen Ballett und Athletik, so entschied er sich schließlich doch für den Tanz,  nachdem ihm klar geworden war, dass er mit dem speziellen Muskelaufbau für den Beruf des Tänzers auch für einen eventuellen Wechsel zum Sportler profitieren würde.

Nach dem Abschluss seiner Ausbildung 2003 am Ballettkonservatorium seiner Heimatstadt hatte er wohl aufgrund seiner bereits solistischen Einsätze während der Schulzeit im Slowakischen Nationalballett (darunter immerhin der Blaue Vogel in „Dornröschen“) sofort einen Vertrag für diese Compagnie erhalten. Jedoch nicht wie gewöhnlich als Gruppentänzer, sondern als Halbsolist, was einerseits viel Neid bei anderen Mitgliedern ausgelöst, aber auch sein Selbstbewusstsein immens gestärkt habe. Die rasante Beförderung zum Solisten und schließlich an die Spitze innerhalb weniger Jahre – wobei zu berücksichtigen ist, dass das künstlerische Niveau in Bratislava nicht dem des Stuttgarter Balletts entspricht – machte ihn gleichzeitig glücklich und doch auch spüren, wie er gepuscht und unter Druck gesetzt wurde.

Dauerhaft hätte er sich dort nicht mehr weiter entwickeln können, weshalb der Wunsch nach einer Veränderung aufkam. Seine langjährige Schulfreundin Miriam Kacerova, die schon vor ihm zum Stuttgarter Ballett gekommen war, bestärkte seine Einschätzung und empfahl ihm es doch auch zu versuchen. Und es klappte!

 

Neue Erfahrungen und Entwicklung zum Charaktertänzer in Stuttgart


Als Torero in „Don Quijote“   –  Copyright: Stuttgarter Ballett

Der Einstieg in Stuttgart zur Saison 2009/2010 als Gruppentänzer bedeutete zwar rein hierarchisch gesehen eine Rückstufung, ermöglichte ihm aber jene Erfahrungen zu machen, die er in Bratislava übersprungen hatte, dabei auch die Compagnie besser kennen zu lernen und sich in den doch schnelleren Probenprozess einzuarbeiten. Der Aufstieg folgte denn kontinuierlich in Zweijahres-Schritten über den Halbsolisten und Solisten bis zur ersten Garde. Neben der Mitwirkung in vielen abstrakten Choreographien entpuppte er sich nach und nach als der Mann fürs zweite Fach, d.h. für die hinter den Hauptrollen stehenden, aber in ihrer Ausprägung nicht zu unterschätzenden Charakterparts: Lucentio und Hortensio anstatt Petrucchio („Der Widerspenstigen Zähmung“), Des Grieux und jüngst auch Monsieur Duval anstatt Armand („Die Kameliendame“), Tybalt statt Romeo („Romeo und Julia“), Torero statt Basilio („Don Quijote“) oder Gurn statt James („La Sylphide“) um nur einige zu nennen. Roman gesteht, dass es nie sein Ziel gewesen sei, ein Prinz zu sein. Bereits in Bratislava hätte er sich in solcherlei Rollen nicht richtig zuhause gefühlt und schon damals gewusst, welche Aufgaben zu ihm passen und welche nicht. Im tragischen Bereich erachtet er z.B. den Rotbart für reizvoller als den Königssohn Siegfried („Schwanensee“), und auf der anderen Seite im komischen Fach bietet für ihn die Travestierolle der Witwe Simone statt des jungen Liebhabers Colas („La fille mal gardée“) doch einiges mehr an gestalterischer Herausforderung am Grat zwischen Spaß und Übertreibung. Im krassen Kontrast dazu steht der Frauen-Serienmörder Jack the Ripper in Christian Spucks „Lulu“. Nach starken Rollenvorgängern verblüffte er in diesem gruseligen Part als ein sichtbar krankhaft Getriebener mit einer bislang nicht geahnten körperlichen Präsenz.

Passend dazu lautet sein Credo: es müssen nicht Hauptrollen sein, um glücklich zu sein. John Crankos einstiger Kommentar, wonach es keine unwichtigeren oder kleinen Rollen gibt, könnte demzufolge auch von ihm stammen.

 

 

Sonderstellung Onegin


In der Titelrolle von „Onegin“   – Copyright: Miriam Kacerova

 

Lediglich die Titelrolle in „Onegin“ findet sich als wirklich zentrale Figur in seinem Repertoire, doch diese tragische Puschkin-Gestalt ist schließlich etwas ganz Besonderes und nicht mit einer gängigen Hauptrolle zu vergleichen. Seine Verhaltensweise müsse auch aus seiner Umwelt, die ihn bestimmt hat, gesehen werden. Etwas zu spät zu erkennen sei doch sehr menschlich, weil wohl viele im Leben auf irgend eine Weise eine solche Erfahrung machen. Cranko hat ja auch keine Schwarz-Weiß-Zeichnung geschaffen, sondern eine differenziert schillernde komplexe Charakterfigur. Den Ausgang des Stückes empfindet er auch als etwas ganz Besonderes, weil er weder ein Happy End noch eine tödliche Tragödie ist, sondern zwei Menschen auf unterschiedliche Weise in tiefer Verzweiflung zurück lässt.

Nachdem Roman auf Anfrage zunächst einmal beide Pas de deux mit Miriam Kacerova als Tatjana für Galas einstudieren durfte, wurde ihm 2015 erstmals die komplette Partie anvertraut – nicht sehr lange nach einer Operation und auf einer Japan-Tournee und auch mit einer anderen Partnerin. Offensichtlich aufgrund seither zu weniger Vorstellungen dieses Balletts  in Stuttgart ist es bislang noch nicht zum dortigen Debut gekommen; stattdessen hatte er Gasteinladungen als Onegin zu den Ballettcompagnien in Amsterdam und Oslo erhalten.

 

Der Fotograf

„Onegin“ ist auch jene Rolle bzw. das Stück, der er in seiner Funktion als Fotograf das größte Interesse entgegen bringt, weil sich dabei weniger die Posen, verstärkt die Emotionen einfangen lassen und durch eine Aufnahme sprechend gemacht werden können. In der Fotobuch-Dokumentation „Zeitsprünge“, das im Anschluss an eine Ausstellung der darin abgebildeten Motive in einer privaten Stiftung heraus gegeben wurde, nimmt Puschkins Weltliteratur-Stück bzw. Crankos Klassiker einen breiteren Raum ein.

Bis zu dieser öffentlichen Präsentation war es indes ein längerer Weg. Roman hatte als Teenager im Urlaub mit den Eltern immer gerne zur Kamera gegriffen und versucht, das optimale Motiv fest zu halten. Später versuchte er es auch im Theater in Bratislava, doch war die Ausrüstung nicht gut genug, um daraus auch ein professionelles Standbein aufzubauen. Erst als ihm sein Schwager eine digitale, aber nicht automatische, sondern manuell einzustellende Profi-Kamera günstig verkauft hatte, konnte er richtig loslegen. Bei seiner ersten Japan-Tournee mit dem Stuttgarter Ballett hatte er verschiedene Aufnahmen hinter den Kulissen gemacht und dafür so viel Lob erhalten, dass er den Auftrag bekam, für die künftigen begleitenden  Touren-Tagebücher Aufnahmen zu machen und schließlich offiziell als Fotograf des Stuttgarter Balletts bestellt wurde. Seine Spezialität sind Motive aus ungewöhnlichen Positionen. Wo viele dieser Zunft nur aus einem fixen Winkel oder von einem Stuhl aus agieren, begibt er sich in die ungewöhnlichsten Stellungen, von unten, von oben, quer von der Seite usw., um so möglichst eindringliche, unkonventionelle und aussagekräftige Momente überhaupt einfangen zu können. Die Intuition spielt dabei eine große Rolle, und er muss dabei (genauso wie in seiner Funktion als Tänzer) immer das Gefühl haben, das Best Mögliche erreicht zu haben! Er könnte sich auch gut vorstellen rein als Fotograf für die Compagnie tätig zu sein, wenn er mal nicht mehr tanzen kann. Basierend auf seiner jahrelangen Kenntnis der Companie, ihres Geistes, ihrer Atmosphäre und der Menschen hinter den Künstlern, des gesamten Hintergrundes und seines Gefühls hier zuhause zu sein, könnte er viele neue und spezielle Ideen, ja eine bestimmte Handschrift einbringen. Bis es soweit ist, möchte er indes noch die Leidenschaft spüren, wie sie sich meist nur für ein Hobby einstellt.

 

Der Choreograph


 In seinem eigenen Stück „The hours“ mit Miriam Kacerova   – Copyright:  Stuttgarter Ballett

Das tanzschöpferische Talent Roman Novitzkys steht gegenüber den anderen noch etwas zurück, weil es auch eine Zeitfrage und er als Tänzer und Fotograf gut ausgelastet ist. Doch sind seine zunächst für die Noverre-Abende „Junge Choreographen“ entstandenen Arbeiten sehr achtbar aufgebaute Kreationen unterschiedlichster Couleur, angefangen bei „The hours“, einem auch technisch nicht zu unterschätzenden Pas de deux für sich und seine Frau, indem er ihre gemeinsame Lebensgeschichte nachempfunden hat, gefolgt von „Are you as big as me“? einem Trio als Wettbewerb voller komischer Elemente, das nicht nur ins Repertoire für Galas übernommen wurde, sondern auch eine Gast-Einladung zur Ballett-Gala „Princes of Ballet“ in Japan zur Folge hatte, wo er das Stück mit internationalen Star-Tänzern einstudieren durfte und darüber hinaus noch den Auftrag erhielt das Entrée und das Finale zu choreographieren.

Nach weiteren zwei Choreographien für die Noverre-Abende schaffte er mit „Under the surface“ im Rahmen des Ballettabends „Die phantastischen Fünf“ im März 2018 den Schritt ins offizielle Repertoire des Stuttgarter Balletts. Und wiederum mit einer anderen Vorgehensweise, denn so sehr es wichtig ist, dass ein Choreograph seine eigene Sprache findet, meint Roman Novitzky, muss er immer wieder andere Ideen ansetzen und Neues ausprobieren, sonst gibt es keine Weiterentwicklung.

 

Der Schauspieler

Verletzungen sind auch bei ihm nicht ausgeblieben. Nach mehreren Rückschlägen mit einem Problem an der Ferse war schließlich eine Operation unumgänglich. Sein Ausfall als Tänzer ist immerhin so geschickt genutzt worden, indem Demis Volpi in seiner „Salome“ die Rolle des Herodes im Rollstuhl als schauspielerisch mimische Studie für ihn konzipiert hatte. Der auf den Oberkörper und das Gesicht konzentrierte Einsatz war für ihn eine ganz neue Erfahrung und für das Publikum die Gelegenheit ihn auch als Schauspieler mit ungeahntem Profil kennen zu lernen. Ging er aus dieser Verletzungsphase gestärkt hervor, so schöpfte er auch durch die Geburt seines erwähnten Sohnes ein neu empfundenes Glück der Freiheit beim Tanzen und beim Fotografieren!

In Summe sind wohl so viele Wünsche in Erfüllung gegangen, dass er erst nach einigem Zögern und Nachhaken zwei noch offene bekennt: „Petite mort“ von Jiri Kylian, in das er sich beim ersten Kennenlernen sofort verliebt hatte, die Carabosse in der unverwüstlich heraus ragenden Rollenanlage in Marcia Haydées „Dornröschen“ und „Onegin“ mit seiner Frau als Partnerin und endlich hier in Stuttgart! Den Armand in „Die Kameliendame“ hätte er sehr gerne getanzt, ist aber zugunsten zweier anderer bereits vorher erwähnter Rollen in Neumeiers Choreographie an ihm vorbei gegangen.

Bis die genannten Wunsch-Projekte vielleicht Wirklichkeit werden, steckt er weiterhin viel Energie in seine Aufgaben, denn er glaubt, dass diese irgendwie und in irgend einer Form früher oder später zurück kommt. Möge sein wohltuender Optimismus Roman Novitzky Recht geben und ihm seine positive, überaus glückliche Ausstrahlung erhalten bleiben.

Udo Klebes

 

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