Robert-Tarek Fischer:
RICHARD I. LÖWENHERZ
Ikone des Mittelalters
328 Seiten, Verlag Böhlau, 2019
Es gibt Persönlichkeiten der Geschichte, die größeren Glanz ausstrahlen als andere. Allein, dass man Englands König Richard I. (1157-1199) den Beinamen „Löwenherz“ gab, verleiht ihm ein besonderes Flair. Erfolge im Kreuzzug gegen den gleichfalls legendären Saladin, die berühmte, tausendfach erzählte Gefangenschaft in Österreich und Deutschland (um anachronistischerweise die heutigen Begriffe zu verwenden), wo der Sänger Blondel ihn auf der Burg Dürnstein fand, lebenslange Kämpfe um die Herrschaft, früher Tod mit 41 Jahren an einer tragisch empfangenen Wunde… ja, die Engländer nennen ihn einen großen König, wenngleich er kaum je auf der Insel war, und schon das Mittelalter hat angefangen an seiner Legende zu stricken. Besonders gern hat man ihm mit dem Artus-Mythos und Excalibur in Verbindung gebracht.
Ohne Jahrestage-Anlaß erscheint die erstmals 2006 herausgebrachte Biographie von Robert-Tarek Fischer (als Historiker im Österreichischen Bundeskanzleramt tätig) nun in überarbeiteter Neuauflage. Der Autor wirft einen durchaus „modernen“ Blick auf diesen Mann, dessen Taten nicht ungeprüft aus den Chroniken übernommen werden dürfen. Immer wieder wird die Frage gestellt, warum Richard in dieser und in jener Situation so und nicht anders gehandelt hat. Freilich, Antworten gibt es nicht immer, aber das Bild wird lebendiger.
Die Faszination ging schon von den Eltern aus, zumal von der Mutter, jener Eleonore von Aquitanien, die zweifellos eine besondere Frau war, elf Jahre älter als ihr zweiter Gatte, Heinrich Plantagnet, den sie nach ihrer Scheidung von dem französischen König heiratete (allein diesen Skandal muss man sich vorstellen). Sie brachte große Teile des heutigen Frankreich in die Ehe mit dem Mann ein, der Anspruch auf den englischen Thron hatte und diesen als Heinrich II. auch bestieg (und seinerseits auch durch den Konflikt mit Thomas Beckett berühmt wurde).
Zwei überdimensionale Persönlichkeiten mit jeweils sehr viel persönlicher Macht, die gemeinsam acht Kinder hatten. Richard war der dritte Sohn und der zweite, der überlebte. Als sich die Eltern so feindselig auseinander lebten, dass jeder in „sein“ Reich zurückkehrte, war Richard der erwählte Nachfolger der Mutter. Ganz wichtig ist, dass er in Aquitanien in einer Welt der Künste, der Musik, der Literatur, aufwuchs, und dass man höchsten Wert auf Bildung legte. Richard war auch ein „Troubadour“, im Anhang der Biographie finden sich Texte und Noten zu von ihm verfassten Liedern. Auch dieser Grad von Bildung trägt zu seinem Rang bei.
Heinrich II. hatte seinen ältesten überlebenden Sohn, Heinrich, zu seinem Mitkönig gemacht, im politischen Spiel waren noch die anderen Söhne des Paares, Richards Brüder Gottfried und Johann (als Johann Ohneland in die Geschichte eingegangen, obwohl er nach Richards Tod König wurde). In die Macht- und Territorialkämpfe mengten sich zahlreiche französische Fürsten, vor allem aber die französischen Könige, und weite Teile von Richards Biographie sind nahezu unübersehbar angesichts der dauernd wechselnden Bündnisse, Kämpfe, Siege, Niederlagen, Verträge. So wandte sich Richard gegen den Vater, unterlag, unterwarf sich ihm, um ihn später wieder zu bekämpfen.
Zuwachs an Macht wurde damals durch Ehen gewonnen, aber der Biograph vermerkt ganz richtig, wie wenig die Frauen in den mittelalterlichen Quellen auftauchen. Das Spiel der Heiratsverhandlungen, ob die Nichte des französischen Königs, ob die Tochter des Königs von Navarra, die er dann heiratete (um seine französischen Besitzungen gegen den Süden „abzudichten“) – verwirrend schon, wenn man darüber liest, wie verwirrend erst in einer Welt, wo Nachrichten nicht in Sekunden, sondern nur in Wochen übermittelt werden konnten. Zweifellos war Richard ein Machtpolitiker, dauernd damit beschäftigt, seinen Einflussbereich auszuweiten.
Erst der Tod der beiden älteren Brüder und der Tod des Vaters machte Richard 1189 zum König von England, wobei er nach der Krönung dann zum Kreuzzug (dem Dritten in der Geschichte) aufbrach. Obwohl ihm auch hier ununterbrochene Schlachten bevorstanden und er Saladin mehrfach besiegen konnte, wurde Jerusalem nicht „befreit“.
Für österreichische Leser ist dann jene Passage besonders interessant, die von seiner Gefangennahme im Dezember 1192 in Wien handelt – wobei der Autor viele berechtigte Fragen stellt.
Wenn es (was der Biograph bezweifelt) wirklich im Heiligen Land zu einer schweren „Ehren“-Auseinandersetzung zwischen Richard und dem Babenberger-Herzog Leopold V. gekommen sein sollte, war es absolut nicht zu erklären, warum er seinen Rückweg durch dessen Länder nahm. Richard hätte sich von Brindisi aus am Ende Italiens östlich halten und nach Ungarn wenden können, wo ihm keine Gefahr gedroht hätte. Dass er so unbeschwert nach Wien ging – wo nicht klar ist, ob eine byzantinische Münze, ob sein Ring ihn preisgab, beides machte unweigerlich auf ihn aufmerksam -, könnte einfach von Leichtsinn zeugen. Oder auch daran liegen, dass man diesen Ehrenhandel erst später erfunden hat, um Leopold zu rechtfertigen. Es könnte bedeuten, dass dieser im Auftrag des deutschen Kaisers Heinrich VI. nach Richard Ausschau hielt und diesen „kidnappte“, um einen Anteil an der zu erwartenden gewaltigen Lösegeldsumme zu erlangen…
Man weiß es nicht, viele Möglichkeiten stehen offen, Tatsache dürfte sein, dass Richard erst einmal völlig verschwand und niemand wusste, wo er war. Dass Blondel von Richards Hof aufbrach, von Burg zu Burg zog und mit einem Lied seinen „Troubadour“-König suchte, dürfte historisch sein, wenn es vermutlich auch unendlich ausgeschmückt wurde. Jedenfalls fand er Richard in Dürnstein, wo er im Auftrag von Leopold von den Kuenringern bewacht wurde, und später lieferte man ihn nach Speyer (wo man ihm 2017 eine Großausstellung widmete), dann Worms, dann Mainz aus, wo er auch als Gefangener politisch agierte und vor allem England die verlangte Lösegeldsumme abpressen musste.
Kaum zurück (er wurde im Jänner 1194 frei gelassen), nahm er die Kampfhandlungen mit dem französischen König wieder auf, und er starb 1199 an einer Armbrustwunde, die er bei der Belagerung der Burg Chalus Chabrol davon getragen hatte. Es dauerte noch bis zum „Hundertjährigen Krieg“ (14. bis 15. Jahrhundert), um die Engländer endgültig vom Festland zu vertreiben und den Vorrang der Valois über die Plantagenet im Hinblick auf die französische Krone zu fixieren.
Schon bald nach dem tragisch frühen Tod begann die Idealisierung Richards – der Autor widmet dieser Frage ein langes Nachwort-Kapitel. Im Zweiten Weltkrieg benützte man ihn propagandistisch für den Widerstand der Engländer – wie auch sein charakteristisches Banner mit den drei springenden Löwen. Er und seine Eltern haben nie aufgehört, die Nachwelt zu faszinieren – der Film „Der Löwe im Winter“ (1968) mit Katherine Hepburn als Eleonore von Aquitanien, Peter O’Toole als Heinrich II. und Anthony Hopkins als junger Richard Löwenherz ist nur ein Beispiel dafür. Film, Fernsehen, Pop- und Rockmusik nahmen sich immer wieder seiner an, seine gewaltige Reiterstatue steht vor dem Westminster Palace, neben jener Westminster Abbey, wo er gekrönt wurde (begraben ist er allerdings in Frankreich).
Und diese Biographie beweist wieder einmal: Er war eine spannende Persönlichkeit.
Renate Wagner