Robert Lackner:
HUGO BOTSTIBER UND DAS WIENER KONZERTHAUS
Leben und Wirken eines Kulturmanagers vom Fin de Siècle bis zum Anschluss
260 Seiten, Böhlau Verlag, 2015
Selbst Musikfreunde, die sich nicht nur für Interpreten (und möglicherweise auch noch Komponisten) interessieren, sondern auch dem Musikbetrieb ihr Augenmerk zuwenden, werden den Namen Hugo Botstiber möglicherweise nicht kennen. Übrig bleibt ja meist nur Geschriebenes, aber seine Beiträge zu Beethoven oder Haydn (und auch eine Geschichte der Ouvertüren) haben es nie in die Oberliga der Musikliteratur geschafft.
Und dennoch kann man über diesen Mann ein ganzes Buch schreiben, wie der in Graz tätige Musikwissenschaftler Robert Lackner beweist. Hugo Botstiber (1875-1941) war nämlich in dem tätig, was man heute Kulturmanagement nennt. Und das war und ist immer eine wichtige, aufregende und verantwortungsvolle Sache.
Angesichts dessen, wie wenig direkte Unterlagen es zu Hugo Botstiber gibt, der auch kein Tagebuch oder Aufzeichnungen hinterlassen hat (nur auf Erinnerungen von dessen Sohn konnte der Autor zurückgreifen), ist es schlechtweg bewundernswert, wie der Robert Lackner dieses Leben zusammen gesetzt hat – es muss Jahre und Jahre gebraucht haben, Archive in Österreich, den USA, England und Israel zu befragen, wobei sich für den Leser auch immer frappante Details ergeben: Wer hätte gedacht, dass das Archiv des Konzerthauses Anfang der siebziger Jahre (es ist noch gar nicht so lange her!) auf Grund einer feuerpolizeilichen Verfügung „verlegt“ wurde – und das buchstäblich, weil bei dieser Gelegenheit riesige Mengen an Material aus den Zeiten vor 1945 einfach verschwanden… Kurz, es ist eine wissenschaftliche Arbeit erster Ordnung (gesponsert offenbar von einer Botstiber Foundation, der Universität Graz und Wien Kultur), die ihren großartigen Beitrag zur „Selbstwahrnehmung“ Österreichs als Musiknation leistet.
Wobei schon die typische Botstiber-Familiengeschichte faszinierend ist, gerade, weil sie in der Monarchie so oft vorkam. Dass Juden, die wie Botstibers Vater noch als „fahrende Händler“ – sprich: Hausierer – umherzogen (in diesem Fall mit Holz), nach und nach in Richtung Wien strebten, nicht nur, um bessere Lebensbedingungen zu finden, sondern vor allem, um der nächsten Generation den Aufstieg in die Welt der Intellektuellen zu ermöglichen, was angesichts der jüdischen Verehrung von Wissen das höchste Ziel war, erlebte man auch anhand dieser großen Familie.
Tatsächlich hat es nicht nur Hugo Botstiber geschafft, sondern auch zahlreiche seiner Cousins, die sich als Ärzte, Ingenieure und hohe Beamte im Wiener Großbürgertum etablierten und dabei auch in Künstlerkreise kamen, die dann für Hugo so wichtig wurden. Sein Vater Ignaz, der mit Nina Bassel die Tochter eines Juweliers heiratete, konnte so seinen Aufstieg fixieren, erwies sich im Lauf der Jahre aber immer als weniger geschäftstüchtig als seine Frau. Beide wanderten in die USA aus (Sohn Hugo ging mit und kehrte nach einem Jahr nach Wien zurück), wurden dort wohlhabend, waren durch Heiraten in der zahlreichen Familie mit Freud-Verwandten verschwägert, blieben aber quasi „Händler“ – der Autor, der nichts über seinen „Helden“ verschweigt, fragt sich, ob es nicht intellektueller Hochmut war, der Hugo veranlasste, mit seinen alten, nach Wien zurückgekehrten Eltern nicht mehr zu verkehren, weil sie zu ihm, den nun so Etablierten, nicht mehr passten…? Doch vieles an Botstibers Aktionen muss punkto Motivation fraglich bleiben, weil er selbst keinerlei „Erklärungen“ für sein Tun mitgeliefert hat.
Fest stehen sein Ehrgeiz und seine vielfältigen Interessen. Es war nicht einfach, als unbemittelter junger Jude die Studien durchzuhalten – der Rechte zuerst, den Jurist war eine Basis für alles, der Wirtschaftswissenschaft und Musikwissenschaft dann, später studierte er auch noch ein Semester Medizin. Alles bis auf das Letztere konnte er in seiner beruflichen Laufbahn bestens brauchen, wurde er doch ein Mann, der als „Vermittler zwischen dem Künstlerischen, dem Administrativen und dem Ökonomischen“ geradezu unersetzlich war.
Vor allem die Musikwissenschaft (unter Guido Adler, dem der Moderne aufgeschlossenen Nachfolger von Eduard Hanslick an der Universität) brachte ihn in die ersehnten Kreise, Botstiber studierte selbst Komposition (bei Bruckner-Schüler Robert Fuchs) und befreundete sich schon in jungen Jahren mit Arnold Schönberg, für dessen Werk er sich unermüdlich einsetzen sollte.
In dem Berufsweg, den Botstiber in der Folge einschlug, würde man ihn ungerechtfertigt als „Hansdampf in allen Gassen“ bezeichnen – tatsächlich waren sein Fleiß und seine Unermüdlichkeit wohl Kennzeichen seiner Persönlichkeit. In einer Noch-Monarchie-Welt, deren Bedarf nach Kunst und Musik auch von einem Explodieren des Konzertsektors gekennzeichnet war, arbeitete Botstiber zuerst für die Gesellschaft der Musikfreunde (wo es zu der unglücklichen „Busoni-Affäre“ kam, der große Komponist, der sich als so unwilliger Lehrer erwies), dann für das Konservatorium, und als das „Produkt Musik“ (Konzertbesuche galten auch als Selbstrepräsentation des Publikums – ein Motiv bis heute?) letztlich auch Geld brachte und die Errichtung des Konzerthauses beschlossen wurde, war Hugo Botstiber der Mann, der von allem Anfang an mit der Planung und Durchführung des Baus befasst war, die Eröffnung 1913 bewerkstelligte (obwohl noch nicht alles fertig war) und als erster Generalsekretär der Institution benannt wurde. Das war, nachdem Botstiber 1908 die aus wohlhabender katholischer Familie stammende Luisa Perl geheiratet hatte (zwei Kinder, Eva, geboren 1910, und Dietrich, geboren 1912) und in eine Villa in der Kaasgrabengasse gezogen war, ein erster Höhepunkt in seinem Leben.
Er währte nur kurz, schlimmer als 1913 hätte man wenig beginnen können. Der Monarchist Botstiber meldete sich – wie viele Juden, die ihre Zugehörigkeit zum Kaiserreich demonstrieren wollten – zur Armee und machte auch dort Karriere, überstand den Krieg und musste sich im Konzerthaus durch die finanziell und dann auch politisch schwierigen zwanziger und dreißiger Jahre kämpfen. In bewusster Konkurrenz zum Musikverein suchte er das Konzerthaus als „modernes“ Haus zu positionieren, aber ein konservatives Direktorium legte ihm alle möglichen Steine in den Weg – dennoch konnte Botstiber nicht nur Mahler, sondern auch Schönberg und die damals Modernen einigermaßen in die Spielpläne bringen, schuf sogar einen Vorläufer von „Wien modern“, als er etwa 1923 eine „Moderne Musikwoche“ aufs Programm setzte. Das Konzerthaus war „die Arbeit meines Lebens“, wie er einmal sagte, aber am Ende des Buches steht auch jener Brief, in dem Botstiber meinte: „In meiner nunmehr 32jährigen Tätigkeit habe ich meist Undank und Gleichgültigkeit, nie aber Dank kennen gelernt.“
Bostibers Schicksal als Jude war so tragisch wie das seiner Leidensgenossen, und schon in seinen letzten Arbeitsjahren wurde er, der Jude (das schon lange zurück liegende Konvertieren zum Katholizismus nahm ihn von den „Rassengesetzen“ nicht aus), von den Nationalsozialisten, die auch im Konzerthaus Boden gewannen (und dort viele Nazi-Feste veranstalteten), verdrängt. Allerdings konnte er mit seiner Gattin nach England entkommen (Sohn Dietrich, der die Naturwissenschaft der Geisteswissenschaft vorzog, war in die USA gegangen), während ein Teil seiner Familie ermordet wurde. Wo er selbst stets großzügig gewesen war, stand er oft vor verschlossenen Türen (das Buch erwähnt, wie schlecht Eugene Ormandy sich ihm gegenüber verhalten hat, als Botstiber Hilfe brauchte).
So schwer dem aller seiner irdischen Güter Beraubten das Leben in England auch gemacht wurde, so konnte er doch als Wissenschaftler hier an seinem Lieblingsthema, nämlich Joseph Haydn, arbeiten, dessen englische Jahre sich hier in den Bibliotheken dokumentiert fanden.
Botstiber, seit langem ein schwer kranker Mann, starb am 15. Jänner 1941 in Shrewsbury. Die Gattin, die ihm in die Emigration gefolgt war, ging erst zu dem Sohn in die USA und kehrte nach dem Krieg nach Wien zurück. Mit sich brachte sie die Urne des Gatten. Wo diese allerdings beigesetzt ist, konnte auch der so unendlich gründlich recherchierende Autor nicht erfahren.
Renate Wagner